Cirque Bouffon in KölnPremiere mit Hommage an Gründungsväter der Bohème
Köln – Auf der kleinen Holzbühne im Zirkusrund steht ein Campinganhänger voller maskierter Menschen, der umkreist wird von einer musizierenden Straßenkapelle. Man beäugt sich, die Ankömmlinge steigen aus, die Masken fallen, der Wohnwagen verschwindet unter der Zirkuskuppel. Das Spiel beginnt.
Eine Verbeugung vor dem fahrenden Volk nennt der Direktor des Cirque Bouffon, Frédéric Zipperlin, sein Programm „Bohemia“, mit dem der Zirkus bis 22. Mai vor dem Schokoladenmuseum im Rheinauhafen gastiert.
Titel als Hommage an Gründungsväter
Der Titel „Bohemia“ stehe „für eine Hommage an die Gründerväter der Bohème, die aus Böhmen stammenden Roma, beschreibt aber gleichzeitig auch eine ganz eigene Lebensart: die einer Subkultur intellektueller Randgruppen, der Maler, Dichter und Literaten, der Unangepassten und der gemeinsam geteilte Wunsch, bürgerliche Werte, die als einschränkend erlebt werden, zu überwinden.
Kreative Freiheit über alles, gegen die bestehenden Normen – der Cirque Bouffon selbst hat sich in seinem kreativen Kern dieser Philosophie verschrieben.
Im Stile des französischen Noveau Cirque
Im Stile des französischen Noveau Cirque will man „die Zeit entschleunigen, die Herzen berühren.“ Das gelingt vor allem durch hervorragende Artisten.
Der Inder Sandeep Kale etwa kombiniert an eine drei Meter hohen glatten Holzstange, dem „Indian Pole“, die traditionelle Mallakhamb-Technik mit neuen Bewegungen im zeitgenössischen Stil. Die Gesetze der Schwerkraft scheinen für ihn nicht zu gelten.
Auch das Trapez-Duo Angélique Cabanes und Katherina Dzialas beeindruckt mit Kraft und Können. Wenn die beiden Frauen sich gegenseitig in immer neuen Variationen durch die Luft wirbeln, hält das Publikum den Atem an.
Zwei US-Amerikaner begeistern mit Akrobatik in der Höhe
Die Vertikalseil-Akrobatik von Una Bennett und ihrem Bruder Ezra Weill, mal solo, mal als Duo, begeistert mit einer Mischung aus Poesie und turnerischer Eleganz, zwei spielende Wildfänge in luftiger Höhe. Wie vielseitig die beiden US-Amerikaner sind, zeigen sie bei weiteren Auftritten: Ezra beeindruckt mit einer hinreißenden Hutjonglage, während Una demonstriert, was mit bis zu fünf Hula-Hoop-Reifen selbst kopfüber alles möglich ist. Sehr eigenwillig, aber nicht minder beeindruckend, sind die Jonglagen von Jochen Schell, der Kreisel auf der Klinge eines Samurai-Schwertes tanzen lässt, mit einer Art Fensterjalousie skulpturale Formen zaubert und bis zu fünf Jonglierreifen scheinbar magnetisch choreografiert.
Clown wird zum Publikumsliebling
Kein Zirkus ohne Clown, und so entwickelt sich der Schweizer Antonin Wicky vom anfänglichen „Pausenclown“ zum gefeierten Publikumsliebling, der mal tollpatschig, mal filigran die Leute mit kleinen Alltagsgeschichten zum Lachen bringt. Wer kennt es nicht, am Aufbau eines Möbelstücks zu verzweifeln? „Kein Problem“ ist sein Standardsatz, auch wenn es ganz anders aussieht.
Womit wir bei der Musik wären. Die beginnt als herrlich schräge, mal blechern, mal virtuose Straßenmusik (Rudik Yakhin, Akkordeon und Jana Mishenina, Geige), das Ensemble singt dazu in einer Fantasiesprache. Das passt zum Titel „Bohemia“.
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Es gibt auch stillere Momente, Stille allerdings, etwa wenn das Publikum den Atem anhält, gibt es nicht. Das ist schade, denn die dann doch gefühlt etwas monotone Dauerbeschallung ist nach fast drei Stunden Programm eher ermüdend.
Jaulen da jetzt die eingeklemmten Kniee, weil die engen Sitze nur für Menschen bis 1,65 Meter Körpergröße bequem sind? Oder ist das doch ein Stück dieser Musik, das im Gehörgang stecken geblieben ist? Das ist letztendlich Geschmacksache. Es gab jedenfalls langanhaltende, stehende Ovationen zum Finale. Auch für die Musik. (sw)