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„Kein schlechtes Gewissen“Containern – So retten Kölner illegal Lebensmittel

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Zwei Kölner Studierende besorgen durchsuchen einen Container nach genießbaren Lebensmitteln.

Köln – Es ist Freitagmorgen, weit nach 1 Uhr, irgendwo in einem ruhigen Kölner Wohnviertel. Kopfüber beugt sich Max in die Restmülltonne des Supermarkts, um besser an die Lebensmittel zu gelangen, die darin liegen – weggeworfen, aber noch genießbar. Zwischen den Zähnen hält er eine Taschenlampe. Nacheinander fördert er verpackte Tomaten, Möhren und zwei Blumenkohle zu Tage und legt sie in die mitgebrachte Tüte, die Julia ihm hinhält.

Kölner Wohngemeinschaft: Einmal pro Woche gemeinsam Containern

„Nicht für den menschlichen Verzehr!“ prangt in weißer Schrift auf der schwarzen Tonne. Doch dafür sehen Max, 21 Jahre alt, und Julia, 23 Jahre, keinen Grund. In der zweiten Tonne finden die beiden Studierenden dutzende Äpfel. Bis auf ein paar Macken sind sie äußerlich völlig unversehrt, wirken sogar noch frisch.

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Viele der entsorgten Produkte sind noch genießbar.

Zu dem Supermarkt an der Endhaltestelle einer KVB-Station fahren die beiden WG-Bewohner mindestens einmal in der Woche, vor allem deswegen, weil der Zugang zu den Müllbehältern unverschlossen ist. Ihre Räder lehnen draußen am Eingang, auf dem Rücken tragen sie große Reiserucksäcke. Sie tun das nachts, weil das sogenannte Containern illegal ist.

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Kölner Studierende: Erwischt werden bedeutet Anzeige

Werden sie erwischt, droht ihnen eine Anzeige. Aufbrechen tun die beiden Studierenden die Behälter nie. „Wenn die Tonnen außen stehen oder die Tür auf ist, ist das was anderes“, findet Julia. „Die Polizei sucht eh nicht aktiv, höchstens die Betreiber der Läden könnten uns anzeigen“, meint Max.

Containern könne von den Gerichten als Hausfriedensbruch oder Diebstahl gewertet werden, sagt Markus Mohr von der Kölner Polizei. Bestraft würden die Taten mit einer Gefängnisstrafe zwischen einem und fünf Jahren Gefängnis oder einer Geldstrafe. Doch eine Strafverfolgung drohe Aktivistinnen und Aktivisten wie Max und Julia meist nicht – zu geringfügig ist der Sachwert.

Kölner Polizei: Weniger als 10 Anzeigen pro Jahr wegen Containern

Aufgrund dessen komme es nur zu einer Strafverfolgung, wenn jemand die Tat anzeige. „In den Jahren 2020 und 2021 lag diese Zahl im niedrigen einstelligen Bereich“, sagt Mohr. Und überhaupt: „In den Fällen, in denen der Behälter offen zugänglich ist, bleibt im Einzelfall zu prüfen, ob ein Straftatbestand erfüllt sein könnte und ob ein Strafantrag vorliegt.“ Streife vor den Supermärkten fahre die Polizei jedenfalls nicht.

Erschrocken blicken sich Max und Julia um, als ein Mann auf sie zugeht. Doch er fragt nur nach einer Zigarette. Sie verschließen das Tor und durchstöbern die großen Müllcontainer davor. Groß ist die Ausbeute nicht, aber: Neben einigen Kilo Obst und Gemüse finden sie auch ein Uno-Spiel. „Normalerweise holen wir hier auch Käse, Eier, Sushi und viel Saisonales raus“, sagt Max.

Lebensmittel-Aktivist: „Gute Sachen landen im Müll, wenn neue Ware kommt“

„Es ist ein ziemlich günstiger Weg, an Lebensmittel zu kommen. Vieles wird auch einfach deswegen weggeworfen, weil zu viel produziert wurde und Lieferverträge erfüllt werden müssen. Gute Sachen landen im Müll, weil die neue Ware kommt. Ich rette quasi die Arbeit, die in die Produkte gesteckt wurde und schätze ihren Wert“, sagt er.

Zudem bedürfe es mehr Aufklärung. „Viele wissen nicht, wie viele Lebensmittel eigentlich im Müll landen. Das ist ein Aspekt der Konsumgesellschaft“, ergänzt Julia. „Es gibt zwar Konzepte gegen das Wegwerfen von Lebensmitteln, wie Foodsharing und die Tafeln. Aber wir finden trotzdem jedes Mal was.“ Obst und Gemüse kauften sie für ihre WG fast gar nicht mehr. „Ungefähr die Hälfte unseres Bedarfs stammt vom Containern“, sagen die beiden. „Wir riechen an den Sachen und gucken, ob sie noch gut sind. Nur Fleisch lassen wir in der Regel liegen, wegen der Hygiene.“

Lebensmittelverschwendung in Deutschland nicht gesetzlich verboten

In Frankreich besteht seit 2016 ein Gesetz, dass es Supermärkten verbietet, Lebensmittel wegzuschmeißen. Gelöst würde das Problem dadurch wohl nicht, glaubt Karin Fürhaupter, Vorsitzende der Kölner Tafel. „Das ist prinzipiell die richtige Methode, um der Verschwendung beizukommen, aber wenn die Supermärkte die Verwertung ihrer Lebensmittel dann alle auf die Tafeln abwälzen, wird es schwierig“, sagt sie. Kleinere Vereine hätten oftmals keine Kühlmittel, um Lebensmittel zu lagern. Und mit der Annahme derer allein sei es nicht getan.

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Durch Containern besorgen sich manche günstig Lebensmittel. Das ist allerdings illegal.

„Wir benötigen immer einen Kooperationspartner, der für uns eine Lebensmittelausgabestelle einrichtet, beispielsweise ein Bürgerverein oder die Kirche. Dazu braucht man Ehrenamtler und wenn man Ehrenamtler hat, braucht man auch Fahrzeuge“, schildert Fürhaupter. Nicht zuletzt sei die Menge an gespendetem Essen nicht ausreichend. „Ich würde nie sagen, dass wir genug Lebensmittel haben. Wir haben auch Nachfrage durch Schulen, die sie in ihr Kochprogramm einbinden oder wir beliefern Schulen mit Rohkost, weil Kinder ohne Frühstück herkommen.“

Kölner Tafel: Veränderung an den Lieferketten sinnvoll

Den Betreibern der Supermärkte sei häufig selbst überlassen, ob sie ihre überschüssige Ware spenden oder entsorgen. Längst nicht alle belieferten den ehrenamtlichen Verein. „Wir Tafeln sind natürlich anstrengend. Die Ware muss bereitgestellt werden und die Ehrenamtler können sie nicht immer zu denselben Zeiten abholen.“ Genau wie die beiden Aktivisten sieht Fürhaupter das Grundproblem in der Lieferkette. „Da sollte es einen Hebel geben, man muss viel früher einschreiten, damit nicht so viel verschwendet wird.“

Containern, wie Julia und Max es tun tun, sieht sie zwiegespalten: „Es ist nun mal eine Straftat. Andererseits rettet man dafür Lebensmittel. Schlimm ist nur, dass die Leute sie aus dem Müll rausholen müssen, da gäbe es andere Möglichkeiten für die Märkte. Die könnten die Sachen auch so bereitstellen, dass sich niemand dafür in die Illegalität begeben muss“, so Fürhaupter.

Edeka Rhein-Ruhr: „Wir tragen die Verantwortung“

Doch so einfach ist das nicht, wie Kerstin Holla von Edeka Rhein-Ruhr bekräftigt: „Einerseits ist Containern rechtlich betrachtet eine Straftat. Andererseits bleibt Edeka auch hier in der lebensmittelrechtlichen und produkthaftungsrechtlichen Verantwortung. Das bedeutet, dass wir auch nach der Abgabe weiterhin für die Lebensmittel verantwortlich sind.“ Foodsharing komme deswegen nicht in Frage.

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Um Lebensmittelabfälle dennoch so gering wie möglich zu halten, versuche Edeka durch Lagerung und Logistik, ein Überangebot von vorneherein zu vermeiden. „Im Markt helfen die selbstständigen Edeka-Kaufleute, die Nachfrage und den Bedarf genau abzuschätzen. Waren, die den optischen Erwartungen der Verbraucher weniger entsprechen, qualitativ aber einwandfrei sind, werden in vielen Märkten für frisch zubereitete Convenience-Produkten verwendet“, so Holla weiter.

Deutsche Supermarktkette: „Verbraucherschutz geht vor“

Wie Edeka arbeitet auch Rewe mit den Tafeln in Deutschland zusammen. Aussortiert würden Lebensmittel, deren Haltbarkeitsdatum bald abläuft, aber noch nicht überschritten ist, sagt Sprecher Thomas Bonrath. „Zum Beispiel der Joghurt oder der Apfel mit der Druckstelle. Grundsätzlich handelt es sich um frische oder unverpackte Lebensmittel wie Milch, Joghurt sowie Obst und Gemüse und Brot.“

Nicht an die Tafeln abgegeben würden Lebensmittel, die Mängel haben, verdorben sind oder deren Kühlkette unterbrochen wurde. „Hier haben wir keinen Handlungsspielraum – Verbraucherschutz geht vor. Diese Lebensmittel müssen entsprechend der gesetzlichen und hygienischen Vorgaben sachgerecht entsorgt werden.“ Manchmal entschieden sich Kundinnen und Kunden während des Einkaufs um und legten Waren in falschen Regalen ab.

Containern in Köln: „Ich habe kein schlechtes Gewissen“

„Auch bei möglichem Schimmelbefall müssen wir tätig werden. Bei Obst mit hohem Flüssigkeitsanteil etwa nimmt man den Schimmel von außen nicht wahr. Im Müll können auch Waren landen, die aus Warenrücknahmen oder -rückrufen stammen – für Dritte ist das nicht erkennbar.“

Die beiden Studierenden Julia und Max wollen weiter Containern gehen. „Wir haben kein schlechtes Gewissen“, sagt der 21-jährige. „Ich habe auch noch nie jemanden getroffen, der es gut findet, dass man Lebensmittel wegschmeißt.“