AboAbonnieren

„Wollte auf Totimpfstoff warten“Wieso sich manche Kölner jetzt erst impfen lassen

Lesezeit 7 Minuten
IMG_5320

Teils stundenlang warteten Kölner am Freitag in Ehrenfeld auf eine Impfung im Bürgerzentrum. 

  1. Wir haben mit Menschen gesprochen, die lange gezögert haben, sich gegen Covid-19 impfen zu lassen.
  2. Für eine Impfung entschieden haben sich einige nun, weil der Druck größer wird, andere haben sich überzeugen lassen.
  3. Sauer sind die beiden Großeltern, die ihre schwerkranken Enkel pflegen. Für die beiden Kinder bedeutet jede Impfverweigerung ein größeres Risiko zu sterben.

Köln – Einmal um den ganzen Platz vor dem Bürgerzentrum geht die Schlange an Wartenden, dann die Straße hinunter bis hinter das Fitnessstudio. „Ich bin seit genau 11.07 Uhr hier“, sagt eine Frau im vorderen Mittelfeld der Wartenden, die ihren warmen Schuhen zuhause hinterhertrauert. Es ist 13.34 Uhr. „Aber wir brauchen ja offensichtlich kein Impfzentrum mehr.“ Sie ist eine von hunderten Menschen, die sich an diesem Freitagmorgen in Ehrenfeld impfen lassen möchten. Booster-Impfung, sagt die Frau, genau wie die Menschen vor und hinter ihr. Ein Teil der Wartenden, wenn auch ein kleiner, wird jedoch zum ersten Mal geimpft. Wieso wollen einige Menschen heute die Impfung, die sie noch im Sommer ausgeschlagen haben?

Daniel Wenzl, 22 Jahre, erste Impfung

Erstmal wollte ich abwarten und gucken, wie andere Menschen auf die Impfung reagieren. Als Informatiker arbeite ich im Home Office und gehöre auch nicht zur Risikogruppe, so habe ich nicht viele Menschen gefährdet. Ich bin kein Impfgegner – gegen fast alle Krankheiten habe ich mich impfen lassen. Bei dieser Impfung hatte ich ehrlich gesagt Angst, dass die mRNA bis in den Zellkern vordringt. Doch ich habe mich informiert und bin mir heute sicher, dass meine Sorge unbegründet ist. Der Biontech-Impfstoff wurde im Dezember 2020 zugelassen. Das ist fast ein Jahr her. Wenn irgendwelche Horror-Szenarien mit der Impfung einhergehen könnten, dann wären sie längst aufgetreten.

Lilli Heikaus, 23 Jahre, zweite Impfung

Ich habe mir im Juni den Arm gebrochen. Danach war ich immer wieder auf Schmerzmitteln, das ging bis in den Oktober. Ich hatte starke Nebenwirkungen, mein Immunsystem litt darunter. Deshalb wollte ich mich erst im Oktober impfen lassen, damit ich geschützt bin und mehr Freiheiten habe. Ich bin Sportlerin – da habe ich keine Lust auf eine eingeschränkte Funktion meiner Atemwege, jetzt, wo auch immer mehr Menschen in meinem Alter erkranken. Ich bin ganz happy, dass ich heute meine zweite Impfung kriege. Die erste habe ich allerdings nicht so gut vertragen – da wusste ich, was eine Männergrippe bedeutet.

Andrea, 25 Jahre, erste Impfung

Ich hatte schon Corona, letztes Jahr im September. Kein schlimmer Verlauf, ich hatte nur ein bisschen Fieber. Ich habe Angst vor der Impfung – deshalb habe ich versucht, sie so weit es geht hinauszuzögern. Eine Bekannte von mir kam nach der Impfung ins Krankenhaus, sie hatte Lähmungserscheinungen im Gesicht. Wenn man so etwas hört, dann kriegt man schon ein wenig Panik. Aber es führt kein Weg mehr dran vorbei. Ich möchte an Weihnachten meine Eltern in Österreich besuchen. Da gilt 2G, überall. Ich will mit meiner Mama eine schöne Zeit verbringen, in ein Café gehen, nicht einfach zehn Tage zuhause sitzen. Von 2G halte ich eigentlich nicht viel. Eine Impfung sollte jedem selbst überlassen sein. Aber ohne Impfung haben wir nicht denselben Freiraum. Meine Eltern haben sich deshalb auch kurzfristig impfen lassen.

René und Klara Z., 67 und 64 Jahre alt, Booster-Impfung

Während einige Impflinge sich nur widerwillig in die Schlange der Wartenden eingereiht haben, halten Klara und René Z. die Papiere der Ärzte ihrer Enkelkinder bereit. Als Angehörige von schwer kranken Menschen brauchen sie dringend eine Booster-Impfung. Die fünf Monate nach der zweiten Impfung sind erst in vier Tagen herum, sagt René Z. „Ich hoffe sehr, dass wir uns trotzdem impfen lassen können.“

Wir pflegen unsere beiden Enkelkinder, Zwillinge, zwei Jahre alt. Sie waren Frühgeburten und haben starke Lungenschäden. Ihr erstes Lebensjahr verbrachten sie auf der Intensivstation, neun Monate davon beatmet. Beide haben Epilepsie, eine von ihnen landet immer wieder im Krankenhaus. Eine Corona-Infektion wäre tödlich für die beiden. Wenn die Eltern mit dem einen Kind ins Krankenhaus gehen, dann bleiben wir bei dem anderen Kind – es hängt ja ständig an einem Monitor und muss überwacht werden. Morgen gehen wir wieder hin. Wir müssen einfach gesund sein, wir können kein Risiko eingehen. Heute Abend testen wir uns nochmal, bei dem Besuch morgen setzen wir eine Maske auf.

Unser Sohn ist Intensivmediziner. Natürlich darf er uns keine Details erzählen, aber die Zwischentöne hört man schon heraus. Die Arbeit dort ist unglaublich belastend. Die Leute sollten sich wirklich mal mit dieser Beatmung auseinandersetzen. Beatmung – das klingt so harmlos. Aber da wird mit Überdruck mit Sauerstoff angereicherte Luft oder auch reiner Sauerstoff in die Lunge gegeben, damit sie ein bisschen etwas davon aufnimmt. Der normale Sauerstoffaustausch funktioniert in diesem Stadium einfach nicht mehr. Unser Sohn hat sehr darauf gedrängt, dass wir uns schützen und impfen lassen, aber wir machen es natürlich auch, um unsere Enkel nicht anzustecken.

Es nervt einfach: Hätten sich im Sommer genug Menschen impfen lassen, dann wären wir in einer völlig anderen Situation. Andere Länder haben es ja vorgemacht. Der Bruder einer sehr guten Bekannten von uns hat sich nach einer Knie-Operation mit Corona angesteckt und ist daran gestorben. Er war Anfang 70, für unsere heutige Zeit noch jung. Jetzt ist sein Leben vorbei. Was das heißt, wenn man die Familie kennt – das ist einfach grauenhaft. Es hätte vermieden werden können.

Johannes, 36 Jahre, erste Impfung

Wenn ich in Quarantäne müsste, dann würde ich keinen Lohn bekommen. Nur aus diesem Grund, nur wegen dem Druck, lasse ich mich impfen. Was soll ich machen? Ohne Geld kann man nicht existieren. Alle sagen, die Impfung ist freiwillig, aber im Endeffekt wird man doch gezwungen. Eigentlich wollte ich bis April 2022 warten, bis ein Totimpfstoff freigegeben ist. Die Totimpfstoffe sind bekannt, die wurden getestet. Vor Corona habe ich keine Angst. Aber bei der Impfung wird irgendetwas in meinen Körper gespritzt, von dem ich keine Ahnung habe, was es ist. Dabei glaube ich nicht, dass ich die Impfung brauche: Ich habe ja ein gutes Immunsystem. Meine Angehörigen sind auch alle nicht geimpft, da bin ich die „Testperson“. Keiner von denen ist erkrankt, keiner ist gestorben.

Erdina Akca, 52 Jahre alt, erste Impfung

IMG_5294

Erdina Akca ließ sich am Freitag die erste Corona-Impfung geben. 

So langsam wurde es Zeit mit der Impfung, irgendwann muss man ja. Ich wollte erst die Erfahrung von anderen Menschen hören. Aber wenn es so viele Menschen gemacht haben, kann es ja nicht so schlimm sein. Meine Angehörigen sind auch alle geimpft und waren dafür, dass ich mich impfen lasse. Jetzt bin ich hier, um mich zu schützen.

Anonym, weiblich, 21 Jahre, erste Impfung

Alle in meiner Familie müssen sich jetzt impfen lassen, wir haben alle einen Termin. Mein Vater könnte im Zweifelsfall seine Approbation verlieren, meiner Schwester wurde schon mit Kündigung gedroht. Eigentlich wollte ich mich gar nicht impfen lassen, zuletzt wurde ich als kleines Kind geimpft. Ich bin ja ein gesunder, junger Mensch. Aber ganz ehrlich: Ich will meine Grundrechte wieder, ich will wieder raus, ich fühle mich einfach eingesperrt. Vor Corona war ich viel im Ausland, habe jeden Abend etwas unternommen. Das vermisse ich. Ich brauche das Gefühl, in einen Flieger steigen zu können und zu wissen: Heute Abend bin ich an einem anderen Ort. Freiheit, das ist für mich der Grund für die Impfung.

Das könnte Sie auch interessieren:

Anonym, weiblich, 26 Jahre, erste Impfung

Ich war gegen die Impfung und ich bin immer noch dagegen. Aber langsam sehe ich keinen Ausweg mehr. Ich weiß nicht, was mir da gespritzt wird und ich glaube nicht daran, dass es tatsächlich hilft. Aber ich suche gerade nach einer Ausbildung und will meinen Führerschein machen – jeden Tag testen macht auch keinen Spaß.

Anonym, weiblich, 31 Jahre alt, erste Impfung

Ich lasse mich jetzt impfen, weil der Druck zu groß wird. Ich bin Kampfsportlerin, der Sport macht einen großen Teil meiner Freizeit aus. Da könnten nun 2G Regelungen kommen. Grundsätzlich bin ich kein großer Freund der Pharmaindustrie und nehme nur Medikamente, wenn ich lebensbedrohlich verletzt wäre. Auch auf Impfungen verzichte ich eigentlich. Die letzte habe ich 2007 bekommen. Mein Körper reguliert sich sehr gut selber, ich achte auf meine Ernährung. Angst vor der Impfung habe ich nicht. Aber ich bin von mir selber enttäuscht, dass der Punkt erreicht ist, wo ich einknicken muss. Dass ich hier stehe, ist mit einem weinenden Auge verbunden. Meine Familie ist komplett geimpft. Gestern habe ich meinem Vater erzählt, dass ich mich ebenfalls impfen lasse. Er hat sich sehr gefreut.