Arbeit ohne EndeEltern im Homeoffice an der Belastungsgrenze
- Die drastischen Maßnahmen zur Unterbrechung der Infektionsketten treffen vor allem Familien hart.
- Neben der Verzweiflung gibt es aber viel Hilfe und Impulse für eine neue Arbeitswelt.
Köln – Sarah Thiel (Name geändert) und ihr Mann haben sich einen straffen Plan gemacht. Ihr Arbeitstag wird in den kommenden Wochen mindestens 16 Stunden haben. Die Thiels haben zwei Kinder, acht und zwei Jahre alt, Schule und Tagesmutter haben geschlossen. „Wir teilen uns das auf. Aber es wird hart“, sagt die 43-jährige Kölnerin. Sarah Thiel steht zu allem Überfluss vor einem Abgabetermin, „eigentlich müsste ich zehn Stunden am Tag arbeiten. Mit den Kindern geht das aber nicht. Ich bin irgendwann nicht mehr effektiv. Ich habe Angst, es nicht zu schaffen.“
Ihr Mann werde um halb fünf aufstehen und ins Büro gehen. Sie wird sich morgens um die Kinder kümmern, nachmittags wird gewechselt. Abends, wenn die Kinder schlafen, wird weitergearbeitet. „Aber irgendwann müssen wir natürlich auch mal schlafen. Ich fürchte, nach spätestens zwei Wochen kommt der komplette Zusammenbruch“, sagt Thiel.
„Wir schalten auf Autopilot“
Die Corona-Krise bringt gerade vor allem berufstätige Eltern an den Rand ihrer Belastungsfähigkeit. Auch bevor das Virus Europa heimsuchte und den Alltag mit drastischen Einschnitten veränderte, war ihr Leben kein Zuckerschlecken. Auch da arbeiteten viele Eltern wie die Thiels schon versetzt, um Arbeitszeiten zu schaffen, die sich selten an die Stunden halten, in denen Kindertagesstätten geöffnet sind. „Sie müssen bedenken: Zu allem Überfluss schläft unsere Kleine nicht durch, der Alltag mit zwei Jobs und den beiden Kindern ist also ohnehin schon hart.“
Und jetzt? „Wir schalten um auf Autopilot“, sagt Thiel. Die Zweijährige muss ununterbrochen betreut werden, aber auch der große Sohn erledigt sein Leben nicht von alleine. „Der muss auch seine Aufgaben machen und üben, wenn jetzt keine Schule ist. Da muss man immer motivierend hinterher sein.“
Köln: Welle der Hilfsbereitschaft wächst
Verständnis vom Auftraggeber erlebt Sarah Thiel in der Ausnahmesituation nicht. Dabei würde ihr „ein Puffer von vier oder fünf Tagen“ reichen, um alle Aufgaben zur Zufriedenheit zu erledigen. Aber Entgegenkommen gebe es derzeit nicht. Trotzdem will Thiel versuchen, sich zusammenzureißen und nicht zu jammern: „Wichtig ist unsere Gesundheit. Wir haben Freunde, die arbeiten beide in der Gastronomie. Da geht es jetzt an die Existenz. Verglichen damit ist bei uns alles gut.“
Mit der Anzahl der Infizierten wächst auch die Welle der Hilfsbereitschaft, die durch Köln und NRW brandet. Carla Mombartz aus Nippes zum Beispiel ist Schülerin am Albertus-Magnus-Gymnasium in Ehrenfeld, und eigentlich wollte sie sich in den kommenden Wochen auf das Abitur vorbereiten. „Aber jetzt, wo die Schule ausfällt, kann ich auch nicht fünf Wochen durchlernen. Da fällt mir die Decke auf den Kopf“.
Deshalb hat sie sich mit ein paar Freundinnen ein Hilfsangebot für Menschen aus der Risikogruppe und überforderte Eltern überlegt.
Einkaufen und Babysitten
Schon 120 Schüler und Studenten in allen Stadtteilen hat die 19-Jährige zusammentrommeln können, die nun bereit sind, unentgeltlich anderen unter die Arme zu greifen: Einkaufen gehen und Babysitten zum Beispiel.
Die Sache mit dem Einkaufen für Risikogruppen, damit die das Haus nicht verlassen müssen, lässt sich leicht bewerkstelligen. Beim Babysitten ist die Verunsicherung schon größer. Schließlich wurden auch Kleingruppenbetreuungen beispielsweise bei Tagesmüttern untersagt – wäre es da im Hinblick auf zu durchbrechende Infektionsketten nicht widersinnig, man würde ähnliche Gruppen jetzt privat organisieren? „Uns ist vor allem wichtig, dass die Leute ihre Kinder nicht doch zu den Großeltern geben. Manche können es sich aber trotzdem nicht leisten, ihre Arbeit zu verpassen und auf Lohn zu verzichten.“ Denen wollen Carla Mombartz und ihre Mitstreiter helfen. „Wir babysitten dann ohnehin zu Hause bei den Familien, so dass die Kinder nicht raus müssen und nur so wenig Kontakte haben wie möglich“, sagt die 19-Jährige.
Auch Margret Müller wollte aus der Krise etwas Positives machen. Eigentlich hilft die 36-Jährige bei Katastropheneinsätzen weltweit.
Hilfe aus Köln
Da man in die meisten Ländern derzeit aber nicht einreisen darf, setzt sie sich nun eben zu Hause in Köln ein. „Wir haben das Gefühl, dass viele Leute Hilfe brauchen. Es haben sich schon 600 Leute bei uns gemeldet.“ Darunter sind nahe liegende Anfragen wie: Wer kann mit meinem Hund Gassi gehen? Wer einkaufen? Wer die Kinder betreuen? Aber die Facebook-Plattform „Corona Hilfe Köln“ will sich weiter entwickeln. Täglich kämen neue Themen hinzu, Müller und die Mitorganisatoren wollen etwa auch Hilfe für Menschen bieten, denen zu Hause der Lagerkoller droht. „Was mache ich mit den Kindern zu Hause? Auch Online-Paarberatung ist geplant“, so Müller. Erreichbar ist die Gruppe bei Facebook.
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Aufgaben neu verteilen
Der Ausfall aller Betreuungsmöglichkeiten muss für Familien nicht nur eine Belastung sein. Krise als Chance, heißt es. Plötzlich müssen Aufgaben neu verteilt werden. Die Betreuung muss partnerschaftlicher aufgeteilt werden, weil einer allein das neben dem Job gar nicht schaffen kann. Judith und Markus Klups von den Zukunftsagenten in Bergisch Gladbach beraten nicht nur Firmen auf dem Weg in eine neue Arbeitswelt und bieten dafür auch eine Softwarelösung an, sie propagieren seit der Geburt ihres ersten Kindes vor sechs Jahren beruflich wie privat auch die absolute Gleichberechtigung. Arbeit und Familie mit mittlerweile drei Kindern teilen die beiden halb und halb untereinander auf.
Digitale Auslagerung
„Der Vorteil ist: Beide können alles. Wenn die Kinder Hunger haben, ist es egal, wer da ist. Wir können beide was kochen.“ Auch die Frage, was digital ausgelagert werden kann, spielt im Alltag der Zukunftsagenten schon lange eine große Rolle. „Lustigerweise habe ich gerade ein Angebot von einem Zauberer bekommen, bei ihm kann man jetzt auch eine digitale Zaubershow für die Kinder buchen. Da dachte ich: Warum denn nicht?“, sagt Judith Klups. Es sei ein guter Zeitpunkt, um Arbeit neu und gerechter unter den Geschlechtern aufzuteilen. Und die Videokonferenzen legen die beiden eben in den Abend. „Das Gute ist: Wir finden immer Kunden, die auch sagen: Ja, um neun ist mir am liebsten. Da schlafen die Kinder.“ Auch die Digitalisierung helfe Eltern. „Wir haben schon lange sehr viel in den virtuellen Raum verlegt. Weil wir als Eltern wissen: Wir können physisch nicht immer anwesend sein. Aber wir müssen doch nicht aufhören zu arbeiten, nur weil wir nicht mehr präsent zusammen sein können.“