Benzion Wieber weiß, warum man in Köln einst Fleischersatz aus Kohl fertigte.
100 Jahre altes RezeptWas das „Kölner Schnitzel“ so besonders macht
Schnitzel sind aus Köln nicht wegzudenken. In den kölschen Lokalen sind die panierten Fleischscheiben in unzähligen Varianten zu haben, als Wiener, Jäger-, Holland- und Budapest-Schnitzel. Nur das „Kölner Schnitzel“ fehlt. Dabei existiert ein 100 Jahre altes Rezept, das diesen Namen trägt, allerdings ohne Fleisch auskommt:
Der Longericher Benzion Wieber stieß bei seinen Recherchen zufällig darauf. Der ehemalige Geschäftsführer der Kölner Synagogengemeinde suchte ein besonderes Rezept für das jüdische Purimfest, in einem Buch aus dem Regal, dass er schon lange nicht mehr in der Hand hatte: das „Kochbuch für die jüdische Küche“.
„Kölner Schnitzel“ kommt ohne Fleisch aus
Die Erstausgabe wurde 1926 vom „jüdischen Frauenbund“ veröffentlicht und geschrieben von der Deutschen Ottilie Schönewald. Die jüdische Politikerin und Frauenrechtlerin stammte aus Bochum und flüchtete 1939 mit ihrem Mann vor den Nazis zunächst in die Niederlande und dann nach London. Sie starb 1961 in Chicago.
Das vergilbte Buch in Wiebers Regal ist eine ihrer Hinterlassenschaften in ihrem ehemaligen Heimatland. Darin stieß Wieber auf das „Kölner Schnitzel“ und sein ganz einfaches Rezept: Aus feingehacktem Weißkohl, Zwiebeln, Eigelb, und Paniermehl wird ein Teig geknetet in Schnitzelform gebracht, noch einmal paniert – und dann gebraten.
Kohl als Fleischersatz
Warum das vegetarische Gericht „Kölner Schnitzel“ heißt, konnte Wieber nicht in Erfahrung bringen. Er weiß allerdings, warum man in Köln damals Fleischersatz aus Kohl fertigte: „Nach dem ersten Weltkrieg herrschte eine riesige Armut“, sagt er. „Die Leute hatten nichts zu essen. Was es aber immer gab, war Kohl.“
Sein Buch gehört allerdings zur zweiten Auflage des Jüdischen Kochbuchs aus dem Jahr 1935 und ist auch ein Zeugnis der deutschen Geschichte, ihres besonders finsteren Teils. In dem Buch sind Palästina-Rezepte zu finden, mit Zutaten wie Auberginen, damals ein in Deutschland gänzlich unbekanntes Gemüse. Das Buch bereitete die jüdischen Frauen auf die Emigration nach Palästina vor.
1935 waren die „Nürnberger Rassengesetze“ erlassen worden. Dem jüdischen Teil der deutschen Bevölkerung klargeworden, was sie in ihrem Heimatland erwartete. Im Kochbuch sind die ersten wichtigen Vokabeln vermerkt: „Chatzilim“ lautet beispielsweise das palästinensisch-arabische Wort für Aubergine.
„Die Frauen reisten damals nicht aus ohne ein Kochbuch im Gepäck“, erläutert Wieber. Sie mussten ihre Küche in den kommenden Jahren umstellen. Aus vielen deutschen Hausfrauen jüdischen Glaubens wurden im Jahrzehnt nach Erscheinen der zweiten Auflage ihres Kochbuchs Bürgerinnen eines neuen Staates: 1948 wurde Israel gegründet. Ob sie dort weiterhin Kölner Schnitzel brieten, weiß man nicht.
Wieber hat es nachkochen lassen und es zwei Testpersonen serviert: dem Rabbiner der Kölner Synagogengemeinde Yechiel Brukner und seiner Frau Sarah. Sie befanden: „Die Kölner Schnitzel waren sehr fein und haben sehr gut geschmeckt.“
Rezept für das Kölner Schnitzel: 250 Gramm Weißkohl, 2 kleine Zwiebeln, Fett/Öl, 1 Eigelb, Paniermehl, nach Bedarf Salz und Pfeffer.
Der geputzte Weißkohl wird in Salzwasser oder Gemüsebrühe halb weichgekocht, abgegossen, sehr fein gehackt und in eine Schüssel gegeben. Die fein geriebenen Zwiebeln werden in Fett oder Öl gedünstet und auf den Kohl in der Schüssel gegeben. Dazu kommen das Eigelb, Salz und Pfeffer sowie so viel Paniermehl, dass alles nach dem Durchkneten gut zusammenhält und die Konsistenz stimmt. Nun werden die Schnitzel geformt, noch einmal paniert und ebenfalls in Fett oder Öl gebraten.