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Debatte über Weihnachtsbeleuchtung„Wer da heulen muss, der tue das bitte leise“

Lesezeit 6 Minuten
Weihnachtsbeleuchtung Hohe Straße 2021

Adventliche Beleuchtung auf der Hohe Straße im November 2020

  1. Die Deutsche Umwelthilfe hat ausgerechnet, dass die private Weihnachtsbeleuchtung Deutschlands so viel Strom verbraucht wie zum Beispiel Wuppertal das ganze Jahr.
  2. Ein Grund, das Flutlicht-Rentier im Garten dieses Jahr vom Netz zu nehmen, sagt Claudia Lehnen. Weihnachtsglück kommt schließlich nicht aus der Steckdose.
  3. Alles nur Symbolpolitik, sagt Anna Westkämper. Weihnachtsbeleuchtung schenkt schließlich auch Hoffnung und Geborgenheit in unsicheren Zeiten.

Köln – Es bietet sich an, in diesem Fall bei Maria und Josef zu beginnen. Sie wissen: Winter, Wehen, alle Hotels ausgebucht. Dann die glückliche Wendung: Stall, Ochs und Esel, Jesuskind.

Egal wie gläubig man ist, die Krippengeschichte ist ja nun mal die Urstory, auf die all unsere Weihnachtsüberlegungen zurückgeführt werden müssen. Und deshalb sei die Frage erlaubt: Haben Sie je davon gehört, dass Maria vor der Niederkunft erstmal die Zentralheizung im Stall auf fünf gedreht hat? Oder Josef den Kronleuchter anschaltete, auf dass der sehnsüchtig erwartete Sohn sich durch die Festbeleuchtung auch gleich richtig willkommen fühlen sollte? Ich bin bestimmt nicht ganz bibelfest, aber ich glaube, mit derlei nebensächlichen Annehmlichkeiten hielt man sich damals in der Heiligen Nacht nicht auf.

Claudia Lehnen ist Ressortleiterin NRW/Story.

Und das sollten wir auch nicht tun. Der Klimawandel bedroht die Zukunft unserer Kinder. Wir befinden uns in einer Energiekrise, Russland führt seit mehr als einem halben Jahr einen Angriffskrieg gegen die Ukraine, Menschen sterben, werden verletzt, verlieren ihre Heimat und Putin versucht, den größten Teil der Welt mit seinen Gasspielchen schachmatt zu setzen. Und wir? Jammern, weil wir das 250-Watt-Rentier im Vorgarten dieses Jahr nicht von Ende November bis Neujahr durchballern lassen sollen. Wer da heulen muss, der tue das bitte leise.

Ein Leucht-Rentier kommt zum anderen. Das läppert sich

Klar können Sie jetzt rumrechnen und tricksen und sagen, Ihr Energiespar-Rudolf sei ein genügsames Tier und das bisschen Kilowatt sei der Spaß ja wohl wert. Aber Fakt ist eben auch: Kleinrentier macht auch Mist. Zumindest hochgerechnet. Die jährliche private Weihnachtsbeleuchtung in Deutschland frisst rund 600 Millionen Kilowattstunden Strom. Hat die Deutsche Umwelthilfe ausgerechnet. Und das ist mehr Strom als Städte wie Bochum oder Wuppertal in einem ganzen Jahr verbrauchen.

Sie fragen, wo denn die Heimeligkeit bleibe? Der Glanz in den Kinderaugen, in denen sich die Elektrobirnen spiegeln? Schließlich ist Weihnachten auch und besonders ein Fest der Jüngsten und gerade die hätten doch unter Corona schon genug gelitten. Nun will man ihnen nicht auch noch die Lichterkette ausknipsen. Richtig ist: Niemand soll und muss im Dunkeln Weihnachten feiern. Aber geht es nicht grade zum Fest der Liebe eigentlich um etwas anderes als um das Glück aus der Steckdose? Um Rückbesinnung auf das Wesentliche. Um Nächstenliebe. Um Geben statt Nehmen. Um das Bewahren der Welt.

Helle Herzen statt Glitzer-Bling-Bling

Das klingt jetzt vielleicht arg pastoral, aber ist das Weihnachtsfest nicht sogar der beste Zeitpunkt, um Opfer zu bringen? Solidarisch zu sein. Zeichen zu setzen, dass es auf Glitzer-Bling-Bling eben nicht ankommt, weil wir das wirklich helle Licht eigentlich im Herzen tragen sollten? Oder glauben Sie ernsthaft, die Weihnachtsfreude hat ihren Ursprung bei den Stadtwerken?

Und vergessen Sie bloß nicht die Kerzen! Denn die sowohl klassischste als auch stimmungsvollste aller Weihnachtsbeleuchtungen besteht ja wohl aus Wachs und braucht weder Stecker noch Gasverstromung. Wir sollten das einfach dieses Jahr mal ausprobieren: Weihnachtsgeschichten vorlesen statt Filme streamen, Kerzen anzünden statt Kronleuchter anknipsen, an Heiligabend zu dem einzigen beleuchteten Baum im Veedel spazieren und dort unterm stromlos funkelnden Sternenhimmel die Nachbarschaft treffen, statt aus lauter Einsamkeit zu Hause jeder für sich in Lichterketten gehüllt Strom zu verballern.

Vielleicht entdecken wir beim Vorbereiten und Feiern ja etwas, das im ganzen Konsumwahn vergangener Jahre ein bisschen untergegangen ist: Lachen, lieben, glücklich sein – das geht ja wohl auch bei Kerzenschein und notfalls sogar im unbeheizten Stall.

Claudia Lehnen, 43, ist Ressortleiterin Story/NRW und hat das in ihrer Erinnerung hellste Weihnachtsfest ihrer Kindheit in einer Berghütte in den Alpen verbracht. Eine Lichterkette gab es nicht, die hatte man zu Hause vergessen. Aber es gab eine selbstgeschlagene Tanne aus dem Wald, funkelnde Sterne, die ganze Familie und Schnee.

Bei der Diskussion geht es nur um Symbolpolitik

Stille Nacht, dunkle Nacht? Die Energiekrise hat ihren nächsten absurden Auswuchs hervorgebracht. Am Pranger steht: die Weihnachtsbeleuchtung. Der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, Jürgen Resch, hält vor, dass allein „private Beleuchtungsorgien“ so viel Strom verbrauchten wie eine mittlere deutsche Großstadt im Jahr. Beleuchtungsorgien? Oh, du Fröhliche. Wir sollen also alle unsere Lichterketten im Keller lassen, den Tannenbaum im Wald, und die Weihnachtsmärkte können wir dann wohl gleich ganz geschlossen lassen. Was für ein Unsinn!

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Denn es ist vollkommen klar, dass es sich in der Diskussion rund um Weihnachtsmärkte und Lichterketten um reine Symbolpolitik handelt. Die Verbraucherzentrale hat berechnet, dass eine LED-Lichterkette in vier Wochen Stromkosten von gerade einmal 40 Cent verursacht. Die Leistung einer solchen Lichterkette liegt im einstelligen Wattbereich.

Weihnachtsmarktbeleuchtung verbraucht gar nicht so viel Strom

Auch bei den großen Weihnachtsmärkten und der Straßenbeleuchtung ist der Verbrauch deutlich geringer, als es die Debatte vermuten lässt. Die Beleuchtung von Hohe Straße und Schildergasse verbraucht rund 10.000 Watt, erklärte die Geschäftsführerin des Stadtmarketings Annett Polster erst kürzlich im Kölner Stadt-Anzeiger. „Das entspricht dem Betrieb von sechs Kaffeemaschinen.“

Private Festtagsbeleuchtung und einen weichen Wirtschaftsfaktor wie Weihnachtsmärkte in die Mangel zu nehmen, zeugt nur davon, dass sich die Politik nicht traut, die wahren Großverbraucher empfindlich einzuschränken. Stattdessen sollen die Bürgerinnen und Bürger weniger duschen, weniger heizen, weniger beleuchten. Natürlich kann jeder und jede versuchen, den eigenen Verbrauch zu reduzieren. Schon allein im Sinne der Umwelt. Und des Geldbeutels. Doch komplett auf Weihnachtsbeleuchtung zu verzichten, löst weder die Energiekrise, noch sendet es ein starkes Signal in Richtung Russland. Es ist eine Selbstgeißelung ohne signifikanten Effekt.

Weihnachtsgeschäft ist für Läden wichtig

Für die Weihnachtsmarktbetreiberinnen und -betreiber wäre ein Verzicht auf Beleuchtung außerdem eine Katastrophe. Nachdem es 2020 gar keine Märkte und 2021 einen durch Corona-Regelungen eingeschränkten Betrieb gab, hoffen die Schausteller eigentlich nur auf ein wenig „business as usual“. Die Märkte locken die Menschen in die Innenstädte, wodurch auch der lokale Einzelhandel wieder angekurbelt wird. Das Weihnachtsgeschäft ist für die meisten Läden die wichtigste Zeit im ganzen Jahr. Ohne die entsprechende Beleuchtung und damit Atmosphäre werden die Innenstädte jedoch deutlich unattraktiver.

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Nicht zuletzt ist Weihnachtsbeleuchtung aber eben auch mehr als die reine Rechnerei um Watt-Zahlen und Wirtschaftsfaktoren. Die Adventszeit ist emotional aufgeladen. Für viele Menschen, mich eingeschlossen, bietet die vorweihnachtliche Stimmung die Möglichkeit, den großen Krisen der Welt ein wenig entfliehen zu können. Von denen gab und gibt es bekanntlich mehr als genug.

Plätzchen backen, Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt trinken, Weihnachtsbeleuchtung anbringen. Das mag alles trivial anmuten, schenkt aber trotzdem ein Stück weit Hoffnung, Gemeinschaftsgefühl und Geborgenheit in unsicheren Zeiten. Dafür sollte sich niemand rechtfertigen müssen.

Anna Westkämper, 27, ist Redakteurin in der Lokalredaktion Köln. Jedes Jahr an Weihnachten schaut sie mit ihrer Familie den Film „Eine schöne Bescherung“. Ein komplett mit Lichterketten zugetackertes Haus wie bei Familie Griswold muss es auch bei ihr nicht sein. Komplett verzichten will sie aber keinesfalls.