Oberbürgermeisterin Henriette Reker spricht im Interview über Corona, die Energiekrise, die Klinikfusion und den 11.11.
Reker sagt zum Sessionsauftakt: „Ich bin jedes Jahr froh, dass keiner schwer verletzt wird oder sogar stirbt“
Lockdowns und einen geschlossenen Einzelhandel hält sie momentan für ausgeschlossen.
Reker verteidigt, den Dom nachts nicht anzuleuchten: „Ja, das ist einfach ein Zeichen, wie ernst die Lage ist.“
Köln – Mit bangem Blick schaut Oberbürgermeisterin Henriette Reker auf den Sessionsauftakt am 11.11.. Im Interview verrät sie, warum dieser Tag sie umtreibt. Und sie sagt, warum sie eine andere Isolationspflicht fordert.
Frau Reker, wann ist die Corona-Pandemie vorbei?
Henriette Reker: Das hängt von den möglichen Mutanten des Virus ab. Aber wenn es so bleibt wie jetzt mit Omikron, dann wird sich die Pandemie nicht mehr so deutlich auf unser Leben auswirken. Bislang sind wir in Köln verhältnismäßig gut durch die Pandemie gekommen, es bleibt aber wichtig, die vulnerablen Gruppen zu schützen. Wir bereiten uns als Stadt auf alle Optionen vor und analysieren, welche Mutanten in Köln zirkulieren. Wir fahren weiter auf Sicht, derzeit besteht aber kein Grund für große Sorgen.
…halte ich im Moment für ausgeschlossen. Meiner Meinung nach müsste bei einer Verschärfung der Lage erstmal die Maskenpflicht ausgeweitet werden, damit wäre schon viel erreicht an persönlicher Vorsorge.
Sie waren immer gegen eine Impfpflicht, nun gibt es sie zumindest im Pflegebereich für die Beschäftigten, obwohl dort Fachkräftemangel herrscht. Würden Sie die Pflicht dort abschaffen?
Nein. Im Pflegebereich ist sie berechtigt, um eben die vulnerablen Gruppen zu schützen. In Köln sind die Personalprobleme durch die Impfpflicht nicht besonders groß. Es musste bislang kein einziges Mal ein Bußgeld verhängt werden, die Beschäftigten ließen sich nach der Aufforderung durch das Gesundheitsamt impfen.
Anders als in anderen Ländern gibt es in Deutschland immer noch die mindestens fünftägige Isolationspflicht, die sich per Bürgertest verkürzen lässt. Wie sehen Sie das?
Meiner Meinung nach könnte man durch einen negativen PCR-Test die Dauer der Isolationspflicht verkürzen. Ich wurde zum Beispiel an einem Tag positiv getestet und schon am nächsten Tag negativ. Warum soll jemand weiterhin in Quarantäne bleiben müssen, wenn sie oder er negativ ist? Entweder wir vertrauen den PCR-Tests oder nicht. Aber sich trotz negativen Tests isolieren zu müssen, ergibt für mich keinen Sinn und verursacht gesellschaftliche Schäden.
Auch diesen Winter gibt es keine Luftfilter an den Schulen, weil unterlegene Anbieter sich gegen die Vergabe der Stadt vor Gericht wehren. Wie bewerten Sie das?
Wir haben uns bewusst gegen eine Vergabe im Eilverfahren entschieden, um rechtssicher zu agieren. Weil die Ausschreibungsregeln viel zu kompliziert sind, dauert es jetzt länger als gedacht. Das ist ärgerlich. Aber die Wirkung der Luftfilter an sich ist sehr umstritten. Fest steht, man kann damit die Eltern beruhigen. Sie waren gerade zu Beginn der Pandemie sehr aufgeregt und besorgt um ihre Kinder, das kann ich nachvollziehen. Wir konnten uns dem Wunsch der Eltern nicht entziehen. Also haben wir im Grunde alles gemacht, was möglich ist.
Die Stadt wollte Luftfilter anschaffen, obwohl sie nicht überzeugt davon war?
Ich war nicht davon überzeugt, dass es den gewünschten Nutzen bringt, ja. Aber ich war davon überzeugt, dass es nicht schaden kann und dass wir alles tun müssen, was nicht schaden kann.
Die Pandemie hat den Menschen viel abverlangt, nun folgt wegen der Energiekrise möglicherweise ein harter Winter. Wie viel ist den Menschen zuzumuten?
Ich werde auch oft gefragt: Werden wir in Deutschland frieren müssen, weil in der Ukraine Krieg herrscht? Ich sage dann: Der Krieg ist nur zwei Flugstunden entfernt und niemand weiß, ob Putin nach seinem Angriff auf die Ukraine seine imperialistischen Machtinteressen auf weitere Länder ausdehnt. In der Ukraine wird also auch unsere Demokratie verteidigt. Das warme Wohnzimmer sollte uns nicht wichtiger sein als die Demokratie. Aber die Politik ist in der Pflicht, das immer wieder zu erklären.
Sollte Deutschland desertierende russische Soldaten aufnehmen?Meiner Einschätzung nach hat jeder Mensch, der gezwungen wird, am Krieg teilzunehmen, Anrecht auf Asyl. Also lautet die Antwort: ja.
Zur Person: Henriette Reker
Henriette Reker, 65, ist seit 2015 parteilose Oberbürgermeisterin ihrer Heimatstadt Köln. Zunächst hatten sie CDU, Grüne und unter anderem die FDP 2015 als Kandidatin aufgestellt, sie setzte sich damals gegen SPD-Kandidat Jochen Ott durch. Im Wahlkampf war sie bei einem Messerangriff eines rechtsextrem motivierten Täters lebensgefährlich verletzt worden.
Vor ihrer Wahl zur OB war sie von ab 2010 Sozial- und Umweltdezernentin in Köln. Bei der Wahl 2020 gewann sie in der Stichwahl gegen Andreas Kossiski von der FDP, damals unterstützten Reker nur noch CDU und Grüne, die FDP war unzufrieden mit der Arbeit des Mehrheitsbündnisses der beiden Fraktionen.
Reker ist noch bis 2025 gewählt. Die ausgebildete Juristin ist mit dem australischen Golfer Perry Somers verheiratet.
Sorgen Sie sich vor Protesten aufgrund der massiv gestiegenen Energiepreise?Wir müssen dem vorbeugen, indem wir die Menschen immer wieder mitnehmen und informieren. Es braucht dafür aber eine klare Richtung in der Energiefrage und kein Hin und Her. Wir brauchen Orientierung und die wird zu wenig vermittelt.
Sie sprechen damit die verkorkste Gasumlage und eine Gaspreisbremse an. Bekommen Sie in Köln mit, dass die Menschen da nicht mehr mitkommen?Ja. Und ich versuche dann immer zu erklären, wie schwierig es ist, schnell Gesetze zu machen. Wer aus der Hüfte schießt, schießt auch schon mal daneben. Ich finde aber, dass Wirtschaftsminister Robert Habeck die Unsicherheit in dieser Frage gut kommuniziert.
Nur nützt diese Kommunikation Betrieben nichts, die nicht mehr wissen, wie sie ihre Energiekosten zahlen wollen.Industrie und Gewerbe müssen unbedingt unterstützt werden, nehmen Sie das Beispiel der Kölner Bäckerei Schlechtrimen, die unter anderem wegen der zehnfach gestiegenen Energiekosten ihr Geschäft aufgibt. Ein Brötchen, das mehrere Euro kosten muss, kauft niemand. Ich höre auch oft die Rufe nach Hilfe durch die Stadt, doch wir können nicht überall helfen. Das könnten wir nur durch höhere Steuern refinanzieren und das wollen wir nicht. Jede und jeder muss jetzt den Gürtel enger schnallen, nur so wird es nicht gehen.
Trotzdem bleibt die Gasumlage ein Fehler, durch die Verstaatlichung von Uniper hat sich ein wesentlicher Grund für ihre Einführung erledigt. Fehler sollte man doch korrigieren, oder?Immer, da bricht einem kein Zacken aus der Krone. In dem Fall kann man auch sagen, die Situation hat sich so weiterentwickelt, dass die Gasumlage nicht bleiben kann.
„Manche brauchen dieses Damoklesschwert“
Sollte die städtische Rhein-Energie darauf verzichten, Menschen Strom oder Gas abzustellen, wenn sie ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen können?Die Rhein-Energie versucht immer, das zu verhindern. Auf der anderen Seite braucht es den Preis als gewissen Regulator, manche Leute brauchen dieses Damoklesschwert der Sperre, damit sie vernünftig mit ihrem Energieverbrauch umgehen.
Was kann die Stadt noch tun, um den Energieverbrauch zu senken?Also noch kälter als 19 Grad in den städtischen Gebäuden sollte es nicht werden. Bei der Beleuchtung darf es auf keinen Fall zu Lasten der Sicherheit gehen, hier stimmen wir uns eng mit der Polizei ab. Es ist nichts gewonnen, wenn keine Frau abends rausgeht, weil es zu dunkel ist und sie sich deshalb unsicher fühlt, oder wenn die Zahl der Einbrüche steigt.
Und die Weihnachtsbeleuchtung auf den Märkten?Ich finde es gut, dass die Weihnachtsmarktbetreiber offenbar auf LED-Lampen setzen und auf Strom aus erneuerbaren Energien. Also Köln ganz ohne Weihnachtsbeleuchtung? Das kann ich mir nicht vorstellen.
Ist es wirklich nötig, den Dom als Wahrzeichen der Stadt nachts nicht mehr anzustrahlen?Ja, das ist einfach ein Zeichen, wie ernst die Lage ist.
Am Mittwoch tagen die Ministerpräsidenten mit Kanzler Olaf Scholz. Erwarten Sie dort eine Aussage, dass Bund und Länder kriselnde Stadtwerke retten?Der Deutsche Städtetag fordert das schon länger und es würde auch meiner Erwartungshaltung entsprechen.
Bald steht der 11.11. an. Können Sie versprechen, dass es dieses Jahr besser als zuletzt läuft, vor allem auf der Zülpicher Straße?
Was viele nicht verstehen: Die Menschen kommen am 11.11. nach Köln, ob wir wollen oder nicht. Die Frage ist, inwiefern wir als Stadt das überhaupt steuern können. Unser Anliegen ist es, dass die Jecken sicher feiern können. Ich bin jedes Jahr froh, dass keiner schwer verletzt wird oder sogar stirbt. Das ist meine Realität, ich bin immer hochaufgeregt an dem Tag.
Aber das Konzept der Entlastungsfläche ist gescheitert?
Das Ziel ist es dieses Jahr, die Menschenmengen auf die umliegenden Straßen zu verteilen. Das Konzept wird gerade erarbeitet, gemeinsam mit der Polizei. Es geht um Zugänge und Abgänge, die Kontrolle und die Frage, wo Bierverkaufsstände in den Seitenstraßen stehen. Aber machen wir uns nichts vor: Schön wird der 11.11. auch dieses Jahr nicht.
Aber das ist doch ein Scheitern mit Ansage. Wie soll es in den umliegenden Straßen besser funktionieren?
Was gibt es denn sonst für Alternativen? Die Menschen kommen. Wir wollen den Zulauf steuern. Ob es klappt, wird sich zeigen.
Und es wird keine Bühne plus Programm auf den Ringen geben?Das haben wir versucht, aber wir haben keinen Veranstalter gefunden. Auch das Festkomitee wollte es nicht machen. Es wird keine weitere Veranstaltung geben und auch keine Entlastungsfläche an der Unimensa wie im vergangenen Jahr. Das hat mehr Menschen angezogen statt zu entzerren. Warum sollte das dieses Jahr plötzlich besser funktionieren?
2017 wurde der Runde Tisch Karneval nach den Auswüchsen am 11.11. gegründet. Stand jetzt hat die Stadt Köln das Problem bis heute nicht gelöst.Ich finde, die Stadt Köln hat die Situation seit 2017 ganz erheblich verbessert. Ein Beispiel: Damals gab es hier 80 Toiletten an Karneval, jetzt sind es 800. Und den Runden Tisch stellt auch niemand mehr in Frage, das war anfangs anders. Künftig kann es auch beim Christopher Street Day nicht so bleiben, wie es zuletzt war. Hier kommen ebenfalls immer mehr Menschen.
Erwarten Sie, dass das Festkomitee einen Beitrag leistet in der Frage?
Beim Karneval? Ja.
Aber braucht es nicht ein Signal an die Feiernden: So wie bisher geht es nicht?
Es ist Aufgabe des Festkomitees, den Menschen den Karneval zu erklären, oder muss das die Oberbürgermeisterin tun?
Ist das das Problem: Die Stadt scheut eine aktivere Rolle, etwa als Veranstalter einer Bühne auf den Ringen?Die Stadt kann nicht alles leisten. Es müssen sich auch andere kümmern.
Wie kann Köln seinen Ruf als Party-Metropole loswerden?Indem wir über Kampagnen mehr den Fokus auf Köln als Kulturstadt richten. Als ich 2010 nach 35 Jahren zurück nach Köln gekommen bin, hatte ich eine ganz andere Vorstellung von der Stadt. Ich habe Köln von außen glorifiziert. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie Köln sich in dieser Zeit teilweise auch in eine falsche Richtung entwickelt hat. Und es dauert, das wieder umzukehren.
Vor rund vier Jahren haben Sie den Klinikverbund gefordert, passiert ist wenig – und jetzt hat die Grünen-Fraktionschefin Christiane Martin den Zusammenschluss der defizitären städtischen Kliniken mit der Uniklink mehr oder minder öffentlich beerdigt. Bis wann braucht es ein Signal der neuen Landesregierung?Ich weiß, dass die Landesregierung sich in der Frage berät. Ich habe Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann klar gemacht, dass es sich bei dem Verbund nicht nur um ein Kölner Thema handelt, sondern um ein Thema für ganz NRW. Bislang hat sich das Land sehr auf die Defizite der städtischen Kliniken konzentriert. Letztlich muss Ministerpräsident Hendrik Wüst das zu seinem Projekt machen, das meine ich schon.
Uns Sie erwarten dieses Jahr eine Entscheidung?Ja. Ich erwarte, dass diese Hängepartie nicht länger anhält.