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Der Fall „Leiche ohne Kopf”Wie die Kölner Polizei Hayiang S. langsam auf die Spur kam

Lesezeit 5 Minuten

Polizisten durchsuchen im Mai 2017 nach dem Fund eines Schädels ein Waldstück in Vogelsang. 

  1. Im Juli 2016 fanden spielende Kinder am Rheinufer fest verschnürte Plastiksäcke mit einem aufgeschwemmten Leichenteilen.
  2. Ein Jahr später waren es wieder Kinder, die den abgetrennten Kopf entdeckten.
  3. Wie die Leichenteile die Ermittler zum mutmaßlichen Mörder führten – eine Rekonstruktion.

Köln – Ein Sack abgetrennter männlicher Leichenteile am Rheinufer. Ein Jahr später ein skelettierter Schädel, der zu den Leichenteilen passt. Doch nicht der geringste Hinweis, der zur Identität des gewaltsam ums Leben gekommenen Opfers führt. Erst Spezialisten der Münchener Rechtsmedizin brachten 2017 den Kölner Ermittlern in einem der wohl ungewöhnlichsten Kriminalfälle der Kölner Verbrechensgeschichte mit einer molekularbiologischen Untersuchung den entscheidenden Hinweis.

Mit der sogenannten Isotopenanalye lässt sich beispielsweise herausfinden, wo ein Mensch gelebt oder wie er sich hauptsächlich ernährt hat. Knochen, Fasern und Organe geben dabei Auskunft über die komplette Biografie des Toten. Ab Oktober wird der Fall vor dem Kölner Landgericht verhandelt.

Spielende Kinder fanden den Leichnam

Als spielende Kinder im Juli 2016 am Rheinufer neugierig die fest verschnürten Plastiksäcke öffneten, glaubten sie beim Anblick des aufgeschwemmten Torsos, ein totes Schwein gefunden zu haben, und riefen die Polizei. Ein knappes Jahr später waren es wieder Kinder auf einem Schulausflug, die im Mai 2017 in einem Waldstück in Vogelsang den abgetrennten Kopf entdeckten. Ein DNA-Abgleich bestätigte: Der skelettierte Schädel gehörte zu dem Torso und den abgetrennten Armen und Beinen.

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Skelett

In dieser Grube wurden die menschlichen Überreste gefunden.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatten Rechtsmediziner mit Hilfe der vorhandenen Leichenteile festgestellt, dass der unbekannte Tote sich von frühester Kindheit an äußerst pflanzenreich ernährt haben musste, so wie es im asiatischen Raum üblich ist. Erst in den letzten beiden Jahren – so die Expertise der Mediziner – hatte der Mann seine Ernährung komplett umgestellt, was für eine geografische Veränderung sprach. Der Rückschluss, dass der Unbekannte aus Asien nach Europa umgesiedelt sei, bestätigte sich mit einem Abgleich des Einwohnermeldeamtes und einer Datenbank, die weltweit Vermisste registriert. Die Eltern des Unbekannten hatten in China ihren Sohn als vermisst gemeldet.

Kurz darauf stand fest: Hayiang S. (28), ein 28-jähriger Familienvater aus China, ist das Opfer. Er war vor zwei Jahren – so wie es die Rechtsmediziner in ihrer Analyse bereits vorausgesagt hatten – aus der Heimat nach Deutschland gekommen und arbeitete seit 2014 im Kölner China-Restaurant „Konfuzius“ als Koch, wo er mehrfach mit Mitarbeitern aneinandergeriet und Streit anzettelte.

Mal waren ihm die Kollegen zu faul, mal arbeiten sie nicht so, wie er es gern gehabt hätte. Zwei Kollegen kündigten wegen der Auseinandersetzungen, die immer wieder in verbalen Beleidigungen, aber auch in Handgreiflichkeiten mündeten. So zumindest schilderte es die Restaurantbesitzerin der Polizei. Ein Dritter, Koch Jitao W. (36), wurde dem Opfer nach Überzeugung der Ermittler zum tödlichen Verhängnis. Die Staatsanwaltschaft ist sich sicher: Jitao W. hat seinen Widersacher – denn beide nennen sich „Spezialitätenköche“ – aus Rache getötet, weil er immer wieder vom Opfer brutal verprügelt worden war.

Etwa ein Jahr vor dem Fund des Schädels wurden weitere Leichenteile und Kleidung gefunden.

Vom 17. Oktober an muss sich Jitao W. wegen Totschlags an seinem Kollegen in einem reinen Indizienprozess vor dem Landgericht verantworten. Die Ermittler haben für den Prozess mehr als 2000 Blatt Akten zusammengetragen und sind sich sicher: W., der wie das Opfer in der Heimat in China Frau und einen Sohn hat, hat Hayiang S. getötet und seine Leiche zerstückelt, um seine Identität zu verschleiern, die Leichenteile in einem Plastiksack verpackt und in den Rhein geworfen, den Schädel im Wald vergraben. Weil Rechtsmediziner angesichts des Zustandes der Leiche von einem gewaltsamen Tod ausgehen, zur möglichen Todesursache allerdings nichts sagen können, hat die Staatsanwaltschaft nicht Mord, sondern Totschlag angeklagt. Für den Prozess sind bis Endes des Jahres mindestens 17 Verhandlungstage angesetzt.

Hauptbelastungsmerkmal ist ein genetischer Fingerabdruck, der dem Angeklagten laut Aktenlage nach einer DNA-Untersuchung zuzuordnen ist. Ein winziges Fragment haftete an einem Frotteehandtuch (Aufdruck: „Winnie, the Pooh“), das zusammen mit Unterwäsche, Sportschuhen und einem T-Shirt des Opfers im Plastiksack gefunden wurde. Täter und Opfer hatten sich nicht nur den Arbeitsplatz, sondern auch eine Wohnung über dem Restaurant geteilt.

Diese Schuhe wurden neben den Leichenteilen in einem Plastiksack entdeckt.

Und es gibt weitere belastende Indizien. So hatte das Opfer bereits Ende Mai 2016 sein Arbeitsverhältnis in dem Kölner Restaurant gekündigt, er wollte erst im September von seinem Besuch in der Heimat zurückkehren. Gemeinsam mit seiner Chefin hatte er die Heimreise nach China geplant, das Flugticket war datiert auf den 12. Juli 2016. Die Restaurantbesitzerin hatte die Tickets gebucht, sie wollte am Abflugtag mit S. gemeinsam von Köln zum Frankfurter Flughafen fahren. Doch S. erschien nicht zur verabredeten Zeit. Am nächsten Tag war der erste Plastiksack mit Leichenteilen am Rheinufer gefunden worden.

Weitere Ermittlungen ergaben, dass sich Täter und Opfer vor dem Restaurant am Thürmchenswall vier Tage vor dem Abflugtermin so heftig geprügelt hatten, dass Passanten Schlimmeres befürchteten und die Polizei alarmierten. Nach diesem Vorfall hatte der Angeklagte sich telefonisch bei seiner Chefin gemeldet und geschworen, sich an Hayiang S., der nach Aktenlage wieder einmal die Schlägerei anzettelte, zu rächen. Das spätere Opfer war seit der Prügelei – vier Tage vor dem Heimreisetermin – nicht mehr gesehen worden. Später stellte sich heraus, dass Hayiang S. mit seiner Mutter in China telefonierte und ihr von den Schwierigkeiten mit dem konkurrierenden Arbeitskollegen erzählte. „Wenn mir mal was passiert, dann hat er damit zu tun“, soll er seiner Mutter gegenüber erklärt haben.

Die wissenschaftliche Methode

Die Isotopenanalyse ist eine wissenschaftliche Methode zur Identifizierung von Toten. Sie wird noch nicht lange für Ermittlungen der Polizei verwendet. Mit ihrer Hilfe kommen Fahnder Verbrechern auf die Spur, wenn jeglicher Ermittlungsansatz fehlt. Die Untersuchung, die am Münchner Institut für Rechtsmedizin entwickelt wurde, kann im Idealfall das komplette Vorleben einer Leiche rekonstruieren. Welche Ernährungsgewohnheiten hatte der Tote, wo hat er seine Kindheit verbracht, wann ist er in ein anderes Land gezogen? Ist der Mensch zu Lebzeiten häufig umgezogen, ist die Interpretation der Daten von Knochen, Haaren, Zähnen und Fingernägeln allerdings schwieriger. (HD)

„Mein Mandant bestreitet definitiv die Tat“

Bei seiner Festnahme Anfang dieses Jahres in Rosenheim leugnete der Angeklagte nachdrücklich, mit der Tat etwas zu tun zu haben, vielmehr behauptete er, bei der Prügelei sei ein dritter Asiate (und damit möglicher Täter) dabei gewesen, den die Restaurantbesitzerin als Ersatz für Hayiang S. habe einstellen wollen. Ermittlungen ergaben allerdings, dass von einem Nachfolger damals noch keine Rede gewesen sein soll. „Mein Mandant bestreitet definitiv die Tat“, sagt sein Anwalt dazu. Nach Aussage des Verteidigers Raphael Botor will Jitao W. im Prozess „weder zur Person noch zur Sache zunächst eine Aussage machen“.

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