Einzelcoaching für alle, alternative Lernformen und ein neues Fach: So hat das Joseph-DuMont-Kolleg die Jury überzeugt.
Kölner Kolleg geht neue WegeDie Schule, an der es keine Klingel gibt – „Stressfrei und erfolgreich“
Wirklich geglaubt hatten sie hier im Joseph-DuMont-Berufskolleg nicht daran, dass es klappen würde mit dem Deutschen Schulpreis. Berufskollegs werden in der öffentlichen Wahrnehmung oft eher stiefmütterlich behandelt. Erst ein einziges Mal in der fast zwanzigjährigen Geschichte dieses renommierten Schulpreises wurde ein Berufskolleg ausgezeichnet. „Wir sind alle mega stolz auf das, was wir erreicht haben“, sagte Schulleiter Michael Piek.
Eine kleine Abordnung von Schülerinnen und Schülern war dabei, als im Berliner Tempodrom das Geheimnis gelüftet wurde, wer zu den Preisträger-Schulen gehörte. Die anderen verfolgten die Preisverleihung per Livestream in der Schule in Bilderstöckchen, um danach als Schulgemeinschaft ausgelassen zu feiern. Das DuMont-Berufskolleg mit dem Schwerpunkt Wirtschaft und Verwaltung wurde gemeinsam mit vier weiteren Schulen in Deutschland mit dem Preis ausgezeichnet.
Erfolgreich ganz ohne Stress und Leistungsdruck
„Es ist einfach ein schönes Gefühl, dass gesehen wird, was hier geleistet wird. Nach den vielen Jahren, die wir uns bemühen, Schule und Lernen besser zu machen“, so Piek. Die Juroren seien begeistert gewesen davon, „was wir unseren Schülerinnen und Schülern hier ermöglichen“. Am Joseph-DuMont-Berufskolleg „lernen die Schülerinnen und Schüler in wertschätzender Atmosphäre selbstorganisiert, stressfrei und praxisnah“, begründete die Jury ihre Wahl. Vor Ort habe besonders beeindruckt, dass die Schülerinnen und Schüler kaum Stress und Leistungsdruck empfänden. Trotzdem gab es in der überwiegenden Zahl der dort angebotenen Bildungsgänge bei den abschließenden Prüfungen der Industrie- und Handelskammer fast immer eine hundertprozentige Bestehensquote.
Dass das gelingt, liegt daran, dass hier Bildung neu gedacht wird: „Welche Kompetenzen und Werte sind wichtig für ein gelingendes Leben?“, steht quasi als Leitfrage über allem. Eine wichtige Säule dafür ist etwa das Coaching-Konzept: Jeder Schüler und jede Schülerin kann sich in persönlichen Gesprächen über die ganze Schulzeit hinweg einzeln coachen lassen. Ein Angebot, dass fast alle annehmen, weil sie spüren, dass das hilfreich ist.
Dabei geht es darum, wie man lernt, sich selbst zu organisieren, wie man herausfindet, wo der eigene persönliche Weg hingeht, aber auch sehr oft um persönliche Probleme, die das Lernen erschweren. Möglich wird das durch Doppelbesetzungen im Unterricht: Eine Lehrkraft unterrichtet, die andere führt parallel im Nachbarraum Einzelgespräche. Gerade im Hinblick auf bessere mentale Gesundheit der Schülerinnen und Schüler hält Piek dieses Konzept für zentral.
Eine weitere zentrale Säule ist das selbst organisierte Lernen, bei dem die Lehrkräfte als Lernbegleiter fungieren. Orientierung geben dabei digitale Tools, mit deren Hilfe die Schülerinnen und Schüler individuelle Lernziele definieren und kontinuierlich überprüfen. Gelernt wird mit der so genannten Think-Pair-Share-Methode. Dabei setzen sich die Schüler erst allein mit einer Aufgabe auseinander, tauschen sich danach mit einer Mitschülerin und anschließend mit der ganzen Gruppe aus. Dass man sich den Stoff gegenseitig erklärt, sichere eine tiefe kognitive Verarbeitung, die von den Lehrkräften vielfältig konstruktiv unterstützt werde, so die Jury. Auch das Kollegium funktioniert so: Man arbeitet in Teams, hospitiert sich gegenseitig. Lehrkräfte lernen voneinander in Mikrofortbildungen, die sie sich gegenseitig geben. „Eine Kultur des Teilens“ nennt Schulleiter Piek das.
Einen Schulgong gibt es nicht, weil die Schulstunden quasi flexible Längen haben. Wer gerade noch etwas fertigstellen will, kann das tun. Ziel ist, dass Schülerinnen und Schüler lernen, in einen Flow zu kommen, was gerade in Zeiten ständiger digitaler Ablenkung eine wichtiges Lernziel ist. Besonders ist außerdem, dass die Schule sich und ihren Unterricht im Rahmen eines selbst gesteuerten Qualitätsmanagements jährlich in Eigenregie evaluiert und sich jedes Jahr neue konkrete Ziele setzt. Auch die Schülerinnen und Schüler geben ihren Lehrkräften in anonymisierter Form über Feedback-Bögen regelmäßig Rückmeldung zu ihrem Unterricht.
Mentale Gesundheit spielt an der Kölner Preisträgerschule eine große Rolle
Der dritte Schwerpunkt liegt auf mentaler und körperlicher Gesundheit: Nicht nur durch bewegte Pausen und Koordinations- und Bewegungsspiele wird immer wieder darauf hingewirkt, gute Lernbedingungen zu schaffen. Das Fach interkulturelle Kompetenz, das in einer multikulturellen Gesellschaft und gerade angesichts der derzeitigen Herausforderungen mit dem Rechtsruck unter jungen Wählern eine nochmal neue Relevanz bekommt, rundet das Konzept ab.
Das Joseph-DuMont-Berufskolleg ist neben dem Mülheimer Genoveva-Gymnasium, das 2011 ausgezeichnet wurde, erst die zweite Kölner Schule überhaupt, die den renommierten, mit 30.000 Euro dotierten Preis bekommen hat. Wichtiger als das Preisgeld findet Schulleiter Piek die Anerkennung. Schulleitungen und auch Lehrkräfte bekämen eigentlich nie positive Rückmeldung für ihre Arbeit, beklagt er. Feedback gebe es nur, wenn Dinge nicht gut laufen.
Aber jetzt habe ihn der Staatssekretär ins Schulministerium zu Ministerin Dorothee Feller eingeladen, die Bezirksregierung habe ebenso angerufen wie das städtische Schulentwicklungsamt. Der schulpolitische Sprecher der SPD, Oliver Seeck, gratulierte und würdigte, dass das Joseph-DuMont-Berufskolleg gerade beim Thema mentale Gesundheit bundesweit Maßstäbe setze. „Das tut einfach richtig gut“, sagt Piek. Solcherlei Wertschätzung für Schulen bräuchte es viel öfter. Auch ganz ohne Schulpreis, wünscht sich Piek. „Einfach, weil an so vielen Orten und Schulen so großartige Arbeit geleistet wird.“