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Kölner LiteraturnobelpreisträgerWie aktuell ist Heinrich Bölls „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“?

Lesezeit 3 Minuten
Schriftsteller Heinrich Böll ist eine Kölner Legende. (Archivbild)

Schriftsteller Heinrich Böll ist eine Kölner Legende. (Archivbild)

Zum 50. Jahrestag der Erstveröffentlichung von Heinrich Bölls meistverkauftem Roman erörtern prominente Journalisten die Aktualität des Buchs.

Exakt 50 Jahre ist es her, dass der Kölner Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll seinen inzwischen meistverkauften Roman, „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“, veröffentlichte. Da die im Buch behandelten Themen wie Machtmissbrauch von Boulevard-Zeitungen, die Verbreitung von Falschnachrichten und die Auswirkungen struktureller Gewalt weiter aktuell sind, nahm Joachim Frank, Chefkorrespondent des „Kölner Stadt-Anzeiger“, das Jubiläum zum Anlass, um in seiner Talkreihe „frank & frei“ die Bedeutung des Romans in der Gegenwart zu erörtern. Frank diskutierte am Montagabend mit der Journalistin Christiane Florin und dem Journalisten Frank Überall in der Karl-Rahner-Akademie.

Katharina Blum: Der Roman galt als verpflichtende Schullektüre

„Der Roman spielt an Karneval des Jahres 1974. Die 27-jährige Katharina Blum lernt beim Feiern einen ihr zuvor fremden Mann kennen, den sie zu sich einlädt. Was Katharina nicht weiß: Bei dem Mann handelt es sich um den polizeilich gesuchten Ludwig Götten, dem vorgeworfen wird, Mörder und Bankräuber zu sein. Die fiktive Boulevardzeitung ,Die Zeitung‘ verdreht in den folgenden Tagen zahlreiche Fakten über die Ermittlungen der Polizei, lügt, schreibt über Katharina als ,Terroristenbraut‘ und bedrängt ihre todkranke Mutter, so dass Katharina schließlich den verantwortlichen Journalisten erschießt“, fasste Florin einleitend den Inhalt zusammen. Nur wenige Anwesende gaben an, Bölls Erzählung nicht gelesen zu haben. Immerhin galt sie über Jahre hinweg als verpflichtende Schullektüre.

Christiane Florin: „Heute normal, damals skandalös“

Auch Florin hatte das Buch in der Schule das erste Mal gelesen: „Da war mir noch gar nicht das progressive Frauenbild des Romans aufgefallen.“ Erst beim erneuten Lesen habe sie das „enorme emanzipatorische Potential“ des Buches bemerkt: „Man stelle sich vor: Katharina lebt alleine, empfängt Männer und ist aus der Kirche ausgetreten – heute normal, aber für die damalige Zeit skandalös.“

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Aspekte wie diese, an denen sich das Alter des Romans erkennen lässt, gebe es viele. „Der RAF-Terror und seine Nachwirkungen waren zur Zeit der Veröffentlichung des Romans in der Medienlandschaft omnipräsent. Vor allem der konservative Boulevardjournalismus nutzte das Thema und schürte Ängste. Dieser Zeitgeist lässt sich in der Geschichte der Katharina Blum klar herauslesen“, sagte Joachim Frank.

Heinrich Bölls Roman behandelt auch aktuelle Themen

Dennoch behandele der Roman losgelöst von den konkreten Komplexen auf der übergeordneten Ebene brandaktuelle Themen. „Die Medien galten und gelten bekanntlich als vierte Gewalt“, erklärte Überall. „Dafür müssen sie jedoch eine Kontrollfunktion einnehmen.“ Genau diese Rolle sei heute nicht weniger gefährdet als im Roman. Zwar habe der klassische Boulevardjournalismus an Einfluss verloren, aber: „Politische Diskurse werden mittlerweile schwerpunktmäßig medial ausgetragen. Wenn in einem Interview oder einer Diskussionsrunde gewisse Positionen einfach vorgetragen werden können, ohne dass sie kontextualisiert werden, besteht die Gefahr, dass so immer mehr Falschnachrichten verbreitet werden“, meinte Florin.

Frank Überall führte diesen Gedanken weiter aus: „In dem Moment, in dem alternative Fakten, also de facto Lügen, offen als solche propagiert und bereitwillig angenommen werden, wird jede journalistische Einordnung witzlos. Was erreicht ein Journalist, wenn er jemanden der Lüge überführt, wahr oder falsch aber gar keine relevanten Kategorien mehr sind?“

Konkret befürchteten die beiden Gäste sowohl die Stärkung populistischer Positionen im politischen Diskurs als auch die Medienverdrossenheit. Viele Menschen würden sich lieber tendenziösen Medien wie der fiktiven „Die Zeitung“ aus Bölls Roman zuwenden als traditionellen Leitmedien. „Dabei spielt die Verrohung in den sozialen Medien eine zentrale Rolle“, meinte Überall.

„Eine Stimme wie Böll vermisse ich in der aktuellen politischen Diskussion sehr“, sagte Florin. „Für mich hat er Humanität und gewissenhafte Nachdenklichkeit verkörpert.“