Laut einem neuen Online-Ranking gilt Köln als die sexuell freizügigste und liberalste Stadt der Welt – die Zahlen und Daten im Check.
Sexuelle Orientierung, Geschlechter, KulturWie divers ist Köln wirklich?
„Für mich war und ist Köln, neben Berlin, die offenste, angenehmste, toleranteste und auf sympathische Weise verrückteste Stadt Deutschlands.“ Das antwortet Jürgen Domian über seine Wahlheimat, wenn man ihn fragt, wie divers es in Köln zugeht. Der 65-Jährige wurde bekannt als Moderator des Midnight-Talkformats „Domian“, das bis 2016 im WDR ausgestrahlt wurde und lebt seit mehr als 40 Jahren in Köln.
Online-Ranking zeigt: Köln ist die liberalste Stadt der Welt
Er ist mit seiner Meinung nicht allein: Laut einem aktuellen Online-Ranking, das Faktoren wie die Anzahl von Gay-Bars und jährlich wiederkehrenden LGBTIQ-Events, den Zugang zu Verhütungsmitteln und HIV-Prophylaxe, aber auch gesetzlich Regelungen auswertet, ist Köln die sexuell freizügigste und liberalste Stadt der Welt.
Das zeigt auch die große LSBTIQ-Szene in Köln. Rund jede zehnte hier lebende Person bezeichnet sich als lesbisch, schwul, bisexuell, trans, inter oder queer – deutlich mehr als im deutschlandweiten Schnitt. Unter ihnen ist auch Jürgen Domian, der sich offen zu seiner Bisexualität bekennt. Im Rest der Bundesrepublik zählt sich nur jede 15. Person zu dieser Gruppe.
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Die Zahlen stammen aus einer Studie, die die Stadt Köln im Jahr 2019 in Auftrag gab. Ziel war es, „LSBTIQ als Wirtschaftsfaktor für Köln“ – so auch der Titel der Studie – zu beziffern. Die Ergebnisse zeigen, dass „Köln von einem weltoffenen und toleranten Image und dem bundesweiten Ruf als Hochburg von Lesben und Schwulen in mehrfacher Hinsicht wirtschaftlich profitiert“. Ein offenes, tolerantes und LSBTIQ-freundliches Umfeld „beeinflusst die Attraktivität der Stadt gerade für jüngere Unternehmen oder Start-ups positiv“.
Die Detailauswertung der Studie zeigt, dass Köln vor allem eine Hochburg des schwulen und bisexuellen Lebens ist. Der Anteil der Männer, die sich selbst als schwul oder bisexuell einordnen, ist in Köln deutlich höher als im bundesweiten Vergleich.
Die Studie zeigt auch, dass überdurchschnittlich viele Menschen (78 Prozent), die sich der LSBTIQ-Gruppe zugehörig fühlen, nicht in Köln geboren wurden, sondern im Erwachsenenalter hergezogen sind. Die eigene sexuelle Orientierung war mit 51 Prozent der meistgenannte Umzugsgrund.
Auch WDR-Talker Jürgen Domian ist erst im Erwachsenenalter nach Köln gezogen, seine sexuelle Orientierung sei dafür allerdings nicht ausschlaggebend gewesen, sagt er. „Ich bin 1980 aus Gummersbach, also aus tiefer, dunkler Provinz, hierhergezogen. Und es war schon damals gigantisch, wie weltoffen es in Köln zugeht.“
Seitdem hat sich vieles weiterentwickelt, ist zur Normalität geworden: „Man muss sagen, dass es uns in puncto Weltoffenheit und Toleranz noch nie so gut ging wie heute“, sagt Jürgen Domian, der in seiner Talk-Sendung mit vielen Schicksalen konfrontiert wurde von Menschen, die diskriminiert und ausgestoßen wurden. „Köln nimmt da als Stadt natürlich eine Sonderrolle ein, aber selbst auf dem Land sind die Menschen in den vergangenen Jahren viel offener geworden.“
41,5 Prozent der Menschen in Köln haben Migrationshintergrund
Dass Diversität mittlerweile ein wichtiger Wirtschaftsfaktor ist, bestätigen auch die im Rahmen der Studie befragten Unternehmen. 86 Prozent sagen: „Das Klima von Toleranz und Weltoffenheit macht Köln attraktiv für hoch qualifizierte Fachkräfte.“
Diese Attraktivität zeigt sich auch mit Blick auf die Zuzugszahlen: So gab es im Jahr 2022 insgesamt 66.362 Zuzüge nach Köln, während die Fortzüge auf 53.186 zurückgingen. Besonders stark entwickelten sich die Zuzüge aus dem Ausland, mit fast 28.000 im Jahr 2022 machen sie mehr als 42 Prozent aller Zuzüge nach Köln aus. Einen großen Anteil daran tragen die vielen Geflüchteten aus der Ukraine, die im vergangenen Jahr nach Köln gekommen sind. Sie bilden innerhalb Kölns inzwischen die drittgrößte Gruppe der insgesamt 177 hier vertretenen Nationen. Nur aus der Türkei und Italien leben noch mehr Menschen im Kölner Stadtgebiet.
Insgesamt zeigt sich Köln mit Blick auf die Migrationsgeschichte der Einwohnerinnen und Einwohner vielfältiger als der Rest des Bundesgebiets: Während deutschlandweit 28,8 Prozent aller Menschen einen Migrationshintergrund haben, sind es in Köln 41,5 Prozent. Rund 220.000 nicht-deutsche Staatsangehörige leben in Köln – also rund jeder Fünfte.
Die meisten Nationalitäten sind in Mülheim, Ehrenfeld, Kalk und Lindenthal zu finden. Der höchste Anteil an Bewohnerinnen und Bewohnern mit Migrationshintergrund findet sich in Finkenberg, Meschenich und Gremberghoven.
Trotz der kulturellen, sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt in Köln sieht Jürgen Domian auch noch viel Arbeit, die vor uns als Gesellschaft liegt – gerade mit Blick auf homophobe Angriffe, zu denen es immer wieder kommt. Bundesweit wurden im vergangenen Jahr knapp 1500 Übergriffe aufgrund von sexueller Orientierung oder geschlechtsbezogener Diversität verzeichnet, die Polizei geht aber von einer sehr hohen Dunkelziffer aus.
Viele homophobe Angriffe kommen aus dem rechten Spektrum
Politisch-motivierte Straftaten werden sogenannten Phänomenbereichen zugeordnet. Soviel vorab: Die meisten Taten lassen sich keiner Gesinnung zuordnen. Ein Großteil der Straftaten, die 2022 einer Ideologie zugeordnet werden konnten, kamen aus dem rechten Spektrum. Aufgrund sogenannter „ausländischer“ oder „religiöser Ideologie“ – dazu werden Taten gerechnet, bei denen Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine im Ausland begründete Ideologie beziehungsweise eine religiöse Ideologie entscheidend für die Tat waren – wurden 2022 bundesweit 49 Übergriffe registriert. Hier sieht Jürgen Domian Handlungsbedarf in Köln: „Diese Toleranz fehlt vielen Menschen aus der migrantischen Community. Das habe ich selbst traurigerweise schon mehrfach erlebt. Leider wird dieses Thema immer noch tabuisiert“, sagt er und fordert: „Wir müssen Offenheit und Toleranz einklagen. Keine Toleranz der Intoleranz!“
Gerade bei jungen Männern aus Kulturkreisen, in denen Homosexualität geächtet ist, darauf teilweise sogar die Todesstrafe droht, „können wir natürlich nicht erwarten, dass uns diese Jungs mit wehenden Regenbogenfahnen entgegenlaufen.“ Domian sieht darin eine komplexe Aufgabe für uns als Gesellschaft, die intensive Integrationsarbeit erfordere. „Unbedingt aber müssen wir diese Problematik benennen, in die Öffentlichkeit bringen. Und zwar wir, die Bunten, die Liberalen, die Diversen. Wir dürfen das nicht rechten Hetzern überlassen.“
Den Umgang mit queeren Lebensentwürfen normalisieren – ähnliches fordert Jürgen Domian auch mit Blick auf Behinderungen: „Ich habe schon vor Jahren vorgeschlagen, dass beispielsweise eine Contergan-geschädigte Person die Tagesschau oder die Tagesthemen moderieren soll.“ Sein Vorschlag verhallte jedoch, die Behinderung würde zu sehr vom Inhalt der Nachrichten ablenken, hieß es. „Ja, vielleicht schaut man beim ersten und zweiten Mal etwas genauer hin, aber spätestens beim zehnten Mal würden Zuschauer und Zuschauerinnen es als völlig normal empfinden. Und genau diese Normalität brauchen wir.“