Bickendorf – Mit der obligatorischen Maske kommt Björn Heuser zum vereinbarten Treffpunkt am Kääzmann’s. Auf dem Kopf trägt er den schwarzen Hut mit kurzer Krempe, der längst zu seinem Markenzeichen geworden ist, auf dem Rücken die Gitarre. „Da stehen immer Nüsschen auf dem Tisch“, erklärt Heuser kauend und zeigt auf sein Büro, das zwei Häuser weiter an der Rochusstraße untergebracht ist. Nachdem wir uns auf den Modus Ohne-Maske- dafür-mit-Abstand-Laufen geeinigt haben, geht es los durch sein Veedel. Seit neun Jahren lebt der 38-Jährige Musiker in Bickendorf. Für den gebürtigen Ehrenfelder war das ein harter Schnitt. „Der Liebe wegen habe ich den Sprung über die große Äußere Kanalstraße gewagt, meine Mutter sagt bis heute, ich weiß nicht, wann ich es mal zu dir schaffe“.
Die Grenzen verlaufen eben nicht nur links und rechts des Rheins in dieser dörflichsten aller Großstädte. Wir schlendern also den Sandweg entlang und kommen am Bickendorfer Büdchen vorbei. „Das gibt es ja eigentlich gar nicht“, weiß Heuser. Die Fööss hätten das Büdchen nur wegen der Alliteration nach Bickendorf verlegt. Das Original stehe streng genommen in Bömmel Lückeraths Heimatveedel Rath.
Wo sich die Straßen Am Brunnenbogen und Grüner Brunnenweg treffen, steht der Brunnen des treuen Husaren. Für Heuser ist er Sinnbild dieses Corona-Jahres. „Hier fängt an Weiberfastnacht traditionell der Straßenkarneval an.“ Im kommenden Jahr wird dieses Ritual zum ersten Mal seit Jahrzehnten wohl nicht stattfinden. für den Kölner Heuser ist das alles sehr schmerzlich. „Wem es am 11.11. nicht juckt, der ist kein Kölner“, findet Heuser, der auch im Karneval unterwegs ist, aber nicht nur.
Mit seinen Mitsingkonzerten füllt Heuser inzwischen Hallen wie die Lanxess-Arena, im Gaffel am Dom animiert er Freitag für Freitag die Gäste zum Singen. Bis zu 400 Auftritte absolviert Heuser im Jahr, in diesem Jahr ist alles anders. „Der Austausch mit den Menschen, das fehlt mir am meisten“, sagt er, als wir durch die Rosenhof-Siedlung in Richtung Venloer Straße gehen. Dass die Leistungen der Künstler in normalen Zeiten gerne genommen werden, jetzt aber quasi Berufsverbot herrscht, kann Heuser nicht wirklich verstehen. „Man fühlt sich wie in Fesseln“, sagt der Bühnen-Profi, der jetzt aus seinem Dachboden-Studio heraus Streaming-Shows sendet, eine davon immer freitags um 20.15 Uhr.
Gastronome werden bestraft
Auch die Gastronomen tun ihm leid. Viele hätten viel Geld investiert, um die Corona-Bestimmungen umzusetzen, würden jetzt aber dennoch bestraft. Am Bickendorfer Hof, seinem Lieblingslokal im Veedel, hängt ein großes Transparent, das über die Zeiten des Außer-Haus-Verkaufs und Lieferservices informiert. Auch die Soforthilfen für Soloselbständige sieht er kritisch. „Das Geld durfte man ja nur für Betriebsausgaben verwenden, nicht für den Lebensunterhalt, das geht doch voll an den Bedürfnissen vorbei.“ Als wir an der Kirche St. Dreikönigen vorbei den Weißdornweg entlang Richtung Sandweg gehen, erzählt Heuser von seiner Kindheit. Aufgewachsen ist er mit einer neun Jahre älteren Schwester – „also quasi wie ein Einzelkind“ – in der Körnerstraße. „Meine Eltern sprachen Kölsch zu Hause. Erst in der Grundschule habe ich gelernt, dass es was und das heißt und nicht wat und dat.“ Ein wenig habe er sich damals wie ein Alien gefühlt, die anderen Kinder sprachen zu Hause alle möglichen Zweitsprachen, aber kein Kölsch. Und seinem vierjährigen Sohn droht nun ein ähnliches Schicksal, wie er mit einer Anekdote aus dem Kindergarten illustriert. „Eine Erzieherin suchte Bennis Schnuller und er sagte dann: Der ist in de Botzetäsch. Sie kannte das Wort einfach nicht.“
Wir überqueren den Sandweg und betreten die Parkanlage zwischen Rochus- Fronhof- und Feltenstraße, die auch Überreste eines alten Friedhofs umfasst. Hier singt Heuser den Refrain seines Stücks „Zick es Jlöck“. Zeit ist Glück, das hat der 38-Jährige in diesen Corona-Zeiten auch unfreiwillig erfahren müssen. Nach 20 Jahren fast ununterbrochenem Auftrittsmarathon war Heuser während des ersten Lockdowns im April derjenige, der sich um Sohn und Haushalt kümmerte. Statt noch einmal nach Nashville zu fahren, wo er sich im vergangenen Jahr mit einer Country-Platte einen Traum erfüllte, blieb er zo Hus. Auf der Wiese entdeckt Heuser etwas, was wie Fetzen eines weißen Barts aussieht. Er nutzt den Moment, um mit seinem Handy eine Aufnahme für seine Insta-Story zu machen. „Hey Leute, ist hier vielleicht gerade der Weihnachtsmann explodiert? Was meint ihr?“
40 000 Menschen folgen ihm
Etwa 40 000 Follower hat Heuser, viele davon sind auch Nicht-Kölner. „Die werden vielleicht enttäuscht sein, wenn das analoge Leben einmal weitergeht“. Denn so viele Online-Auftritte wie derzeit wird er nicht absolvieren können, wenn das normale Bühnenleben eines Tages weitergeht.
Heusers Karriere als Liedermacher begann am Vorabend des Muttertages im Jahr 1995. Weil der damals 13-Jährige sich zu alt fühlte, ein Bild zu malen oder etwas zu basteln, komponierte er kurzerhand ein Lied. Das Gitarre-Spielen hatte er sich selbst beigebracht, Keyboard lernte er in der Musikschule. Weil es ihm am Anfang unangenehm war, alleine aufzutreten, bei Familienfeiern oder anderen kleinen Anlässen, brachte er seinem Vater das Gitarre-Spielen bei und die zwei gingen gemeinsam auf die Bühne. Vater Günter starb im September. Zick es Jlöck.
Beste Texte von Gerd Köster
Seit Corona ist Heuser auf einer Reise, auch einer Reise zu sich selbst. „Seit einem halben Jahr schon singe ich nur noch eigene Sachen“. Bei seinen Mitsing-Konzerten war die Quote zuletzt 50/50. Er hat die Zeit genutzt, um weitere Lieder zu schreiben, sein Jubiläumsalbum kam in diesem Jahr heraus mit 48 eigenen Stücken. Heusers Stärke sind die Texte. „Kölsch ist für mich eine Sprache, mit der ich Dinge ganz anders sagen kann als auf Hochdeutsch. „Et kölsche Jeföhl“ heißt denn auch das Lied, das er auf den Stufen von St. Rochus anstimmt. Wir folgen der Rochusstraße zurück zum Ausgangspunkt am Kääzmanns und springen noch kurz in die Buchhandlung von Ulrich Klinger. Ein Buch über Joe Biden, den nächsten US-Präsidenten, nimmt er spontan für das Foto-Motiv. Lesen tut der ehemalige Germanistik-Student gerne und viel. Noch lieber hört er Musik, nutzt Spotify, um neue Künstler zu hören und sich von ihnen inspirieren zu lassen. Gerade hat er Steve Earle entdeckt, zu seinen Allzeit-Helden gehören Bruce Springsteen und Bob Dylan. Kölner Vorbilder sind Wolfgang Niedecken und Gerd Köster. „Der macht echt die krassesten Texte – und die gehen eben nur auf Kölsch“.