Bange Blicke gen HeimatBefürchtungen vieler Kölner Ukrainer sind wahr geworden
Köln – Die Ukraine ist eine gespaltene Gesellschaft. Der eine Teil sieht seine Zukunft an der Seite Russlands, der andere wünscht sich, an der Seite der Europäischen Union unabhängig zu bleiben. Seit dem Ende der Sowjetunion gibt es diese zwei Lager – auch unter jenen Menschen aus der Ukraine, die in Köln leben. Viele Zivilisten befürchten, dass sich der derzeit eskalierende Konflikt in der Ostukraine bald auf das ganze Land ausbreiten wird. Viele der Menschen, die inzwischen hier wohnen, haben bereits einen Krieg erlebt.
Schlimme Erinnerungen an 2014
„2014 haben wir unseren besten Freund Andrej (Name geändert) mit Panzerweste und Helm versorgt, haben ihm dafür das Geld überwiesen und ihn in den Krieg geschickt“, sagt die 34-jährige Natalia. „Er war ein Idealist, wollte eine strahlende Zukunft für seine Kinder, aber der Krieg hat ihn psychisch gebrochen“. Natalia wohnt seit drei Jahren in Deutschland. Als die Situation im Südosten der Ukraine kritischer wurde, beschlossen sie umzuziehen. Ihr Mann ist Bergarbeiter. Die Behörden haben ihn mehrmals zum Militärdienst einberufen. Sie hatten Angst: um sich selbst, um die Familie, um ihre neugeborene Tochter.
„Der Arbeitgeber meines Mannes rief uns mit den Worten an: „Komm heute nicht zur Arbeit, du hast eine Vorladung zum Rekrutierungsausschuss bekommen.“ Neben dem psychischen Druck gab es auch finanzielle Sorgen: „Ich musste neben der Einkommenssteuer auch Kriegssteuer bezahlen“. Kriegssteuer für einen Krieg, den sie nicht wollten.
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Sieben Jahre später erneut Angst vor Krieg
Sieben Jahre später könnte es in Krywyj Rih (eine Großstadt in der südlichen Ukraine), in der Ihre Verwandten leben, erneut Krieg geben. Ob sie davor Angst habe? Natalia wundert sich über die Frage, sie lächelt sogar ein bisschen. „Diese Menschen würden eher sagen: »Noch ein Krieg? Wir haben genug davon! Toilettenpapier und Getreide haben wir noch seit Anfang der Pandemie auf Lager.“
Kölner Expertin: „Russland hat uns gespalten"
Die Historikerin Tatiana Dettmer wohnt seit 2008 in Deutschland, ursprünglich kommt sie aus Odessa, wo viele ihrer Verwandten wohnen. „Meine Familie ist stark gespalten. Russland hat uns gespalten“, sagt sie. Alle politischen Diskussionen würden auf Familienfesten vermieden. Ihre Eltern holte Dettmer Anfang Januar aus Sicherheitsgründen nach Deutschland.
Sie befürchtete, was nun eingetreten ist: dass Russland trotz diplomatischer Bemühungen verschiedener Regierungen in die Ukraine einmarschieren könnte. „Nachdem meine Eltern auf eigenen Wunsch in die Ukraine zurückgekehrt sind, kann ich nachts nicht ruhig schlafen“, sagt Dettmer.
Unterstützung aus Deutschland
Seit 2014 engagiert Dettmer sich für die Ukraine. Kürzlich hat sie an einem Solidaritäts-Happening mit dem Titel „Make Art not War“ für Menschen in der Ukraine teilgenommen. Ukrainische Schriftsteller und Künstler riefen dazu auf, für den Frieden und für die Unabhängigkeit ihres Landes zu demonstrieren. „Das ist ein Krieg der Systeme, der Bürokratie, der moralischen Werte, aber auf keinen Fall ein Krieg zwischen den Menschen“, sagt Dettmer.
Viele Ukrainer würden sich mehr Unterstützung aus Deutschland wünschen. 5000 Helme schickte die Bundesregierung jüngst. Vitali Klitschko, Bürgermeister von Kiew, zeigte sich tief enttäuscht von der deutschen Absage an Waffenlieferungen. Tatiana Dettmer sagt, sie könne es nachvollziehen, dass die Mehrheit der Deutschen Probleme damit habe, der Ukraine Waffen zu liefern. „Aber dann muss Deutschland in anderen Bereichen aktiv werden“, sagt sie – und nennt Sanktionen wie den Stop der Gas-Pipeline Nordstream II, den Bundeskanzler Olaf Scholz am Dientag verkündet hat. Deutschland sei zu abhängig von Energie aus Russland. „Jedes Mal, wenn ich zu Hause den Strom einschalte, unterstütze ich den Krieg gegen mein Heimatland.“
Ukrainer in Köln haben Angst um Angehörige
Während Dettmer Russland als Aggressor bezeichnet, glaubt Iryna, dass „die Ukraine und Russland Bruder und Schwester einer Familie“ sind. Iryna wohnt seit 1994 in Köln. Ihre Eltern leben in Luhansk, einer der ukrainischen Regionen, die Russland am Montag anerkannt hat. Sie wissen aus schmerzhafter Erfahrung, wie es sich anfühlt, in einem Kriegsgebiet zu leben. „Als wir im Mai 2014 erfuhren, dass Panzer in meine Heimatstadt eindringen, waren meine Eltern zu Besuch in Köln. Wir waren schockiert.“
Nach dem Schock kam die Erkenntnis der Eltern, dass sie sich nicht von ihrer Heimat verabschieden konnten. Seit acht Jahren leben sie also mitten im Kriegsgebiet. „Menschen wie meine Eltern haben keinen Krieg angefangen, es ist nicht ihre Schuld, dass sie dort leben. Sie haben ihr ganzes Leben für die Ukraine gearbeitet und erhalten nicht einmal ihre Rente und Medikamente von der ukrainischen Seite“, sagt Iryna.
Familien sind gespalten
Nach acht Jahren des Konflikts um Luhansk kann sie kaum glauben, dass ihr Land schon wieder am Rand eines Krieges steht. „Meine Mutter ist Ukrainerin und mein Vater ist Russe. Gegen wen soll ich kämpfen? Gegen meinen Vater oder gegen meine Mutter?“
Iryna, Natalia, Tatiana Dettmer und ihre Familien haben unterschiedliche Schicksale. Ihre Familien haben verschiedene politische Meinungen. Eines wollen sie alle: Frieden und ein Ende der Sorgen.
Unsere Autorin Eva Bobchenko (20) kommt aus der Ukraine. Sie lebt seit zweieinhalb Jahren in Deutschland und besucht die Kölner Journalistenschule.