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Flucht von Teheran nach KölnMaryam arbeitete zwei Jahre als Burger-Braterin

Lesezeit 6 Minuten
Eine Frau erscheint im Profil in der Iran-Flagge.

Im Iran sah Maryam keine Zukunft für sich (Symbolbild)

In ihrer Kindheit turnte Maryam getarnt als Mohamad durch Teherans Parks. Für die Freiheit hat sie als junge Frau ihre Familie, ihre Kultur, ihre Sprache verlassen. Wie sie es in Köln geschafft hat.

Als Maryam zwölf Jahre alt ist, greift sie zur Schere und schneidet sich die langen schwarzen Haare ab. Ganz kurz, wo vorher dicke Wellen das Gesicht umrahmten, bleibt nur noch Streichholzlänge stehen. Mohamad sagen die Freundinnen nun zu ihr. Die Haare sind weg, der Vorname auch, aber Maryam gewinnt durch den Verzicht ein Stück ihrer Freiheit zurück. „Ich musste keinen Hijab tragen, ich konnte ungestört im Park turnen, musste keine Angst mehr haben, auf die Straße zu gehen“, sagt die gebürtige Iranerin.

Heute sitzt die 46-Jährige in einem Kölner Café in der Sonne. Die Haare lang und offen getragen, der Lidstrich schwungvoll. Ihre Augen funkeln ununterbrochen, mal aus Wut, mal mitfühlend, mal weil Tränen sie feucht glänzen lassen. Denn Maryam muss die ganze Klaviatur der Gefühle rauf- und runterrasen, wenn sie ihre Geschichte erzählt. Um aus dem durch Teherans Parks turnenden Mohamad von damals die Diplomkauffrau bei der Bundesagentur für Arbeit von heute zu machen, musste Maryam viele Umwege gehen, die meisten davon waren steinig. Heute erzählt sie ihre Geschichte aber vor allem, um Mut zu machen. Anderen Flüchtlingen. Aber auch den Deutschen, die in diesem Land geboren sind. „Vor allen denjenigen, die meinen, sie seien hier unterdrückt. Sie wissen nicht, was Unterdrückung ist und müssen alles versuchen, die Freiheit in diesem Land zu erhalten.“

Für Maryam ist die Freiheit lange nicht mehr als ein Märchen

Als Maryam in den 80er Jahren in Teheran aufwächst, ist die Freiheit nicht mehr als ein Märchen aus einem fernen Land. Schnell weiß sie, dass in der Diktatur nur die Zweigesichtigkeit das Überleben sichert: „In der Schule musste ich „Tod Israel“ und „Tod den USA“ brüllen. Es wurde kontrolliert, ob wir Nagellack trugen. Zu Hause haben wir aber natürlich dennoch heimlich Poster von Madonna oder Tom Cruise aufgehängt. Ich hatte immer Angst. Vor dem Staat, aber auch vor meinem Vater, der am Ende nur versuchte, so unauffällig wie möglich zu sein, um uns und seine Familie vor Schikanen zu schützen.“ Einmal wird ihr Vater selbst mit Alkohol am Steuer erwischt und zu 80 Peitschenhieben verurteilt. Maryams Erwachsenwerden gleicht einem ständigen Versteckspiel. „Ich war heimlich im Kino, ich hatte heimlich Freunde, ich war heimlich auf Partys. Ich musste immer lügen. Das hat mich sehr bedrückt.“

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Menschen rennen in einer Straße in Teheran auf die Kamera zu. Sie fliehen vor einer Rauchwolke.

Während eines Protests 2009 fliehen Demonstranten in Teheran vor dem Tränengas.

Nach dem Abitur studiert Maryam Mathematik an der Polytechnischen Universität. Medizin hätte ihr näher gelegen, aber ohne teure Vorbereitungskurse auf die Aufnahmeprüfung oder ohne Bestechungsgeld ist an die begehrten Plätze kein Rankommen. Als sich Ende der 1990er Jahre die studentische Revolution formiert, macht Maryam mit. „Wir sind zu einem Studentenwohnheim marschiert, von dem es hieß, die Regierung habe es nachts angegriffen. Als wir dort ankamen, sah ich Blut an den Wänden kleben. Eine Studentin war als Opfer für den Propheten aus dem Fenster geworfen worden. Ich konnte es kaum fassen.“ Was folgt, bleibt Maryam wie die traumatische Bildsequenz eines Horrorfilms in Erinnerung: Riesige, wilde Männer mit Bärten, Schlagstöcken und Elektro-Tasern. Tränengas. Apotheke, um Medikamente für verletzte Studenten zu kaufen. Kurze Haft. Kommilitonen, die verschwinden. „Ich wusste, ich habe keine Zukunft mehr in diesem Land.“

Als sie 24 Jahre alt ist, gibt sie einem Schmuggler all ihr Geld, umgerechnet etwa 2000 Mark, und setzt sich im Herbst 2001 in ein Flugzeug nach Deutschland. Sie ist entschlossen, ihre Familie, ihr Land, ihre Sprache, ihre Kultur zu verlassen, um endlich das zu gewinnen, für das schon der turnende Mohamad im Park kämpfte: Die Freiheit. „Als wir in Hamburg landeten, saß ich neben einem fremden, viel älteren Mann, den ich als meinen Ehemann ausgeben sollte. Wir gaben vor, auf eine Hochzeit eingeladen worden zu sein.“

Zwei Jahre arbeitet Maryam als Burger-Braterin in Köln ehe sie ein Studium beginnt

Es folgt der Aufenthalt in einem Flüchtlingsheim in Chemnitz, der Maryam schwer zusetzt. „Die Gerüche, das Essen, die vielen Menschen, die fremde Sprache, das war sehr hart.“ Einmal wird sie von einem Mädchen bespuckt, weil sie ein Flüchtling ist. Obwohl es Winter wurde, fängt die sportliche Maryam, die als Jugendliche Iran-Meisterin im Turnen war, an zu joggen. Geeignete Schuhe oder warme Kleidung dafür hat sie nicht. Dennoch: Die Bewegung hilft ihr. Mehr vielleicht noch ihr unbedingter Wille vorwärtszukommen.

Nach einiger Zeit bewirbt sie sich in Köln bei einem großen Schnellimbiss als Burger-Braterin. Zwei Jahre wendet sie Fleisch auf dem Grill und lernt Deutsch, arbeitet in einem Sonnenstudio, als Fitnesstrainerin, beginnt an der Uni Köln ein Studium. „Am Anfang habe ich nichts verstanden, obwohl ich den Kurs Deutsche Sprache für die Hochschule bestanden hatte“, sagt Maryam. Sie fühlt sich mit 28 Jahren alt unter all den Anfang-20-jährigen Kommilitonen. Aber da ist auch eine Kraftquelle, es ist wieder, immer noch, die Freiheit, sich immer weiterzuentwickeln. „Abends einfach ohne Angst auf Partys gehen zu können, Menschen kennen zu lernen, alle möglichen Sportarten treiben zu können, sogar Beachvolleyball in knappen Sachen, frei zu sagen, was ich denke – das hat mir sehr gefallen.“

Heute engagiert sich Maryam bei Amnesty International, sie demonstriert für die Freiheit im Iran, wann immer sie kann, betreut ehrenamtlich Flüchtlingsfamilien, um ihnen den Start in Köln zu erleichtern. Die Stadt, sagt sie, sei mittlerweile ihr „zweites Teheran“. Verheiratet ist die schiitische Muslima mit einem Katholiken, den sie an der Universität kennengelernt hat. Sie strahlt, wenn sie über das Zusammenleben berichtet: „Wir beide sind gläubig, aber es gibt überhaupt keine Probleme. Wir haben sowohl kirchlich geheiratet als auch nach persischem Ritus. Einen Widerspruch gibt es nicht. Nur unterschiedliche Wege zum selben Ziel.“

„Da ist mein Land, da ist mein Papa, da ist meine Heimat. Davon kann ich mich nicht trennen“

Ihre Eltern und Brüder kann Maryam erst nach acht Jahren in Deutschland wieder besuchen. Die Zeit ihres Deutschkurses und ihres Studiums wird ihr als Arbeit angerechnet, weshalb sie den deutschen Pass beantragen kann. Sie hat dennoch immer noch Angst davor, irgendwo rausgezogen und zum Bleiben gezwungen zu werden. Aber sie ist auch glücklich, als sie in Teheran aus dem Flugzeug steigt. „Ich wusste sofort: Da ist mein Land, da ist mein Papa, da ist meine Heimat. Davon kann ich mich nicht trennen.“ Ihre Augen glänzen auch heute noch, die Stimme bricht, wenn sie von diesem Besuch erzählt.

Maryam hat die Hoffnung, dass die Menschen im Iran nicht eher zu kämpfen aufhören, ehe sie in Freiheit leben können. Ein Traum, gewiss. Aber der Traum der turnenden Maryam von früher hat sich immerhin schon einmal erfüllt.