Die Flucht von Menschen vom West-Balkan nach Köln hat zahlreiche Gründe. Eine Übersicht.
Ausländeramt überlastetWarum so viele Geflüchtete vom West-Balkan nach Köln kommen
120 bis 160 Geflüchtete kommen aktuell jede Woche in Köln an. Die meisten von ihnen aus den Staaten des West-Balkans, hier vor allem aus Albanien und Nordmazedonien. Die Stadt hat unlängst Alarm geschlagen: Die Bettenreserve für Geflüchtete sei erschöpft. Am Fühlinger See soll ein neues Containerdorf für 450 Geflüchtete entstehen, in der ehemaligen Oberfinanzdirektion an der Riehler Straße und in Porz-Lind sind zwei Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes für jeweils 500 Menschen geplant.
In Köln treten an vielen Stellen Probleme zutage: In der Kalker Ausländerbehörde können nur 30 bis 40 Geflüchtete pro Tag registriert werden – aktuell sprechen indes täglich bis zu 90 Geflüchtete am Ausländeramt vor, um ihre unerlaubte Einreise anzuzeigen, teilt die Stadt Köln auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ mit. Rund 2500 Menschen vom West-Balkan leben nach unerlaubter Einreise aktuell in Köln. 4070 Geflüchtete aus diesen Ländern werden insgesamt von der Stadt untergebracht.
Die Menschen, die von der Stadt Köln nicht registriert werden können, werden laut Stadtverwaltung in die Landesaufnahme oder in umliegende Gemeinden verwiesen.
Zuletzt konnten nicht mehr alle Menschen in Köln auf Notunterkünfte verteilt werden, eine Familie mit zwei kleinen Kindern musste im Park übernachten. Der Fußballverein Fortuna Köln klagt derweil darüber, dass „die Grenze der Belastbarkeit überschritten“ sei, wie ein Vereinssprecher sagte. Das Areal rund ums Südstadion mit einer großen Erstaufnahmeeinrichtung sei „oft völlig vermüllt, unsere Fans haben seit langem keine Parkplätze mehr“. Bei gutem Wetter nutzt der Verein seinen eigenen Aschenplatz als Parkplatz – bei Regen gehe das nicht. Immer öfter würden sich Eltern von Kindern beim Verein beschweren, „das Vereinsleben ist inzwischen negativ beeinträchtigt“.
Bei einem Besuch an einem Nachmittag Ende September sind die Wiesen und Wege rund um die Einrichtung relativ sauber. Ein paar Geflüchtete sitzen draußen, drinnen sind die Mülltonnen überfüllt, vereinzelt liegen auf den Wegen Plastikflaschen und Tüten. Die Stadt teilt dazu mit, dass bei Beschwerden mit den Akteuren vor Ort „Lösungen entwickelt werden, um ein gutes Miteinander zu gewährleisten“.
Die meisten Menschen, die aktuell aus Albanien, Nord-Mazedonien und anderen West-Balkan-Staaten nach Köln kommen, sind Roma. „Für viele ist Köln eine attraktive Anlaufstation – die Stadt ist durch eine Toleranz und Willkommenskultur bekannt, anders als beispielsweise Bayern oder Ostdeutschland. Zudem haben viele Menschen hier Freunde oder Verwandte“, sagt Claus-Ulrich Prölß vom Kölner Flüchtlingsrat. „Das sollten wir zunächst positiv sehen: In der aktuellen gesellschaftlichen Situation brauchen wir dringend eine neue Willkommenskultur.“
Menschen vom West-Balkan dürfen mit einem gültigen Pass zwar nach Deutschland einreisen, gelten aber bei einer Registrierung als illegal eingereist. Theoretisch könnte schon an der Grenze überprüft werden, ob sie über finanzielle Mittel verfügen, um als Touristen zu gelten – das wäre freilich sehr aufwändig.
Nach einer Registrierung durch die Kreise und Kommunen wird überprüft, ob sie schutzbedürftig sind – zum Beispiel wegen Krankheit. Nach diesem Verfahren werden sie verteilt – viele Geflüchtete kämen in Nordrhein-Westfalen regulär zunächst in eine Erstaufnahmeeinrichtung in Mönchengladbach; wenn sie aber schon einmal in Deutschland waren, müssen sie dort untergebracht werden, wo sie nach der ersten Einreise registriert wurden.
Normalerweise bleiben die Geflüchteten für sechs bis acht Wochen in Köln, bevor sie verteilt werden, wenn Rechtsmittel eingelegt werden, könne es bis zu vier Monaten dauern, teilt die Stadt mit.
Die meisten Menschen vom West-Balkan stellen keinen Asyl-Antrag, weil sie nach einer Abschiebung nicht mehr einreisen dürften
„Die meisten Menschen vom West-Balkan stellen keinen Asylantrag, weil sie wissen, dass ihre Aussichten auf Asyl sehr gering sind und sie nach einer Abschiebung nicht wieder einreisen dürften“, sagt Claus-Ulrich Prölß. „Viele Geflüchtete wissen auch, dass sie hier in Gemeinschaftsunterkünften leben. Für sie ist das aber besser als ihr Leben in ihrer Heimat. Dort werden sie oft diskriminiert, haben keinen Zugang zu Arbeit, Bildung und medizinischer Versorgung.“
Eine Untersuchung im Auftrag der Europäischen Union hat herausgefunden, dass Roma in ihren Herkunftsländern oft in abgetrennten Nachbarschaften am Stadtrand leben, ihre Kinder in spezielle Schulen gehen, der Anteil von Jugendlichen ohne Schulabschluss hoch ist. Roma sind nach einem Bericht des UN-Entwicklungsprogramms am häufigsten von Armut betroffen – auch deswegen ist Deutschland für sie so attraktiv.
Natürlich gebe es auch Menschen, die krank sind und deswegen als schutzbedürftig gelten, sagt Prölß. „Das liegt im Recht auf körperliche Unversehrtheit begründet – und über dieses Grundgesetz sollten wir sehr froh sein.“ „Ihre Zähne neu machen lassen“, wie CDU-Chef Friedrich Merz jüngst propagierte, dürften diese Menschen sich freilich nicht: Eine reduzierte medizinische Versorgung samt zahnärztlichen Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten Geduldete erst nach 18 Monaten ihres Aufenthalts. So lange halten sich Geflüchtete vom West-Balkan in den allermeisten Fällen nie am Stück in Deutschland auf.
Dass im Winter viele Menschen vom West-Balkan nach Deutschland kommen, ist überdies nicht neu. Dieses Jahr kommen die so genannten Winterflüchtlinge lediglich früher und stärker über das ganze Jahre verteilt als in den Vorjahren. Gelöst werden könnte das Problem der Geflüchteten ohne Bleibeperspektive „nur über eine europäische und sehr langfristige Lösung“, glaubt Claus-Ulrich Prölß. Bislang hätten EU-Förderprogramme die Situation von Sinti und Roma in ihren Herkunftsländern nicht entscheidend verbessert.