Forscher schlägt Alarm„Drogenkonsum in der Ultraszene ist ein wachsendes Problem“
- Drogenkonsum in der Ultraszene ist Standard, sagt Forscher Daniel Deimel von der Katholischen Hochschule in Köln.
- Erhöhtes Gewaltpotenzial ist nur eine der Folgen daraus.
- Im Interview erklärt er, welche Wirkung Stadionverbote haben – und warum der 1. FC Köln die Ultras als Fans dringend braucht.
- Aus unserer Best-Of-Reihe.
Herr Deimel, Sie machen an der Katholischen Hochschule Studien über Fans. Sind Sie selber auch FC-Fan?
Ehrlicherweise nein. Bei mir ist es Fortuna Köln. Ich lebe seit langem in Zollstock, da war das eine natürliche Liebe. Ich mag dieses Bodenständige mit Tartanbahn. Beim FC ist mir da zu viel Pathos und alles auf Show und Gewinn ausgelegt. Fortuna hat einfach noch mehr Seele. Aber professionell beschäftige ich mich mehr mit den Fans des FC.
Als Suchttherapeut haben Sie festgestellt, dass bei vielen Ultras Drogenkonsum Standard ist. Wie haben Sie das rausgefunden?
Es ist sehr schwer, Zugang zur Hooligan- und Ultraszene zu gewinnen. Es gibt den Kodex, nicht mit Außenstehenden zu reden. Gleichzeitig gab es die Rückmeldung von Sozialarbeitern aus Fanprojekten, dass Substanzkonsum ein wachsendes Problem ist. Daher haben wir es mit einer anonymisierten Online-Umfrage auf Fan-Foren versucht. Und waren überrascht, dass sich 800 Fans geöffnet haben. Offenbar brodelt es in vielen, und es gibt Bedarf, im geschützten Rahmen zu reden.
Best-Of-Artikel
Dieser Artikel ist im Oktober 2018 im „Kölner Stadt-Anzeiger” erschienen. Im Rahmen unserer „Best Of”-Reihe veröffentlichen wir regelmäßig interessante Texte aus unserem Archiv.
Ihre These war, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen Drogenkonsum bei Fans und deren Gewaltbereitschaft gibt. Hat sich das durch die Umfrage bestätigt?
Auf jeden Fall: Knapp die Hälfte der Befragten bezeichnet sich als Ultras oder Hooligans. Die hauptsächlich konsumierte Substanz ist natürlich Alkohol, aber 30 Prozent hatten im Monat vor der Befragung Cannabis konsumiert, 13 Prozent Kokain und zehn Prozent Amphetamine. 42 Prozent gaben an, deswegen Hilfe zu brauchen. 16 Prozent thematisierten psychische Probleme. Außerdem Aggressivität und Reizbarkeit.
Wie wirken die Substanzen bei den Fußballfans im Stadion?
Gewaltbeschleuniger Nummer eins ist Alkohol. Aber auch die anderen Substanzen werden bewusst von Fans eingesetzt, um die Angst bei Auseinandersetzungen zu mindern. Kokain macht sehr wach, latent aggressiv und senkt die Hemmschwelle. Ich fühle mich großartig und überhöhe meine eigene Person. Amphetamine sorgen dafür, dass ich bei Gewalt den Schmerz nicht mehr so spüre. Ich habe eine höhere Schmerztoleranz. Auch das wird zweckgebunden eingesetzt.
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Was ist der Antrieb?
Ziel ist es, in Fan-Auseinandersetzungen belastbarer zu sein, um in der Hierarchie der Ultra-Gruppe aufzusteigen. Etwa beim Fahnenklau. Dazu muss man wissen: Wenn die Fahne geklaut ist, löst sich die Fangruppe auf. Es geht also ums Ganze. Da muss man mutig vorne mit dabei sein. Im Grunde ist diese Art des Konsums aber nichts Neues.
Inwiefern?
Meth – damals unter dem Handelsnamen Perventin – haben schon die Nationalsozialisten in großem Stil eingesetzt, um die Wehrmachtsoldaten aggressiver und leistungsstärker zu machen. So konnten sie 30 bis 40 Stunden marschieren ohne Schlaf. Selbst für die Hausfrau daheim gab es damals Perventinpralinen.
Wie soll man Ihrer Meinung nach mit dem Fan-Konsum umgehen?
Ich rate zu Gelassenheit. Nur so erreicht man die Fans und bekommt Antwort auf die Frage, warum sie konsumieren. Außerdem ist wichtig, sie über die Risiken aufzuklären und Schäden zu mindern. Viele wissen nicht, dass K.-o.-Tropfen in Kombination mit Alkohol komatöse Zustände hervorrufen können und starker Kokain- oder Amphetaminkonsum Depressionen oder psychotische Zustände. Wichtig ist, über Gespräche an die Motive für den Konsum ranzukommen.
Fast alle Ultras sind junge Männer. Was suchen die?
Die Fanszene inklusive der Ultras hat eine wichtige Sozialisationsfunktion für junge Männer. Das war vor zehn Jahren noch nicht in dem Ausmaß so. Da gab es mehr Jugendgruppen oder Organisationen, die Wir-Gefühl schufen. Gesucht wird die Erfahrung, Teil eines großen Ganzen zu sein und sich von anderen abzugrenzen – inklusive Schweigegelübde. Ultrasein ist ein Lebensgefühl. Im Kern geht es um die Idee von Männlichkeit, die dahinter steht. Das ist im Grunde die zentrale Frage, über die man über Sozialarbeit in den Fanprojekten mit den jungen Männern ins Gespräch kommen müsste.
Wer ist bei den Ultras anzutreffen?
Da sind quer durch die Bank alle dabei – auch Studierende von Sozialarbeit und Jura. Neben der Gruppenzugehörigkeit geht es um die Reibung an der Erwachsenenwelt. In den 60ern reichte es, sich die Haare wachsen zu lassen, um gegen die Eltern zu rebellieren. Aber wie soll das heute gelingen? Beim Kölner Hooligan-Prozess wohnte ein verurteilter junger Fan bei seinen Eltern in einem noblen Kölner Vorort und man fragte sich, was er ihnen mit der Aktion wohl sagen wollte...
Die Frage ist, wie man mit diesen Gruppen umgehen soll. Der FC setzt auf eine Kommission, die als Höchststrafe Stadionverbote ausspricht. Was halten Sie davon?
Ich sehe die FC-Kommission kritisch: Das ist wie ein Tribunal, das Freisprüche erteilt oder Stadionverbote. Ein runder Tisch ist sinnvoll, aber nicht als Sanktionsmodell. Die betroffenen Ultras bekommen nach dem Stadionverbot nicht selten Märtyrerstatus. Sie fahren weiter mit zu den Spielen und warten vor dem Stadion. Läuterungseffekte gibt es dadurch nicht. Sonst müsste sich ein Effekt zeigen. Problematisch ist zudem, dass die Stadionverbote durch keine unabhängige juristische Instanz erteilt werden. Werden Verfahren durch Staatsanwaltschaft oder Gericht eingestellt, bleiben Stadionverbote unter Umständen bestehen.
Was hilft dann?
Grundsätzlich tut auch hier etwas Gelassenheit gut, indem man – selbstverständlich abgesehen von Gewalt – nicht alles für voll nimmt. Es geht den Ultras darum, Aufmerksamkeit und Empörung zu kreieren, etwa, indem man in Armeebekleidung ins Stadion zieht. Es ist wie in der Pubertät. Da geht’s auch ums Provozieren. Strafen und Schreien bringen da wenig...
Es geht also im Grunde um Erziehung. Was bringt denn was?
Wirksam ist Beziehungsarbeit von Sozialarbeitern in Fanprojekten. Die sind immer dabei, auch im Bus bei Auswärtsspielen. So werden Bindung und Vertrauen aufgebaut. Nur so kann man die Drogen- und Gewaltproblematik und auch den neu aufkommenden Rassismus in den Griff bekommen. Ich sehe mit Sorge, dass Rechtsextremisten die Hooliganszene in manchen Stadien systematisch unterwandern: In Aachen oder Dortmund gehen sie gezielt in die Fankurve, um dort Nachwuchs zu rekrutieren. In Leipzig konnte man sehen, wozu das führen kann. Dort marschierten Hooligans Hand in Hand mit Pegida. Wer denkt, der Fußball sei ein unpolitischer Raum, ist naiv. Hier sind Sozialarbeiter wichtige Seismographen, wenn etwa auch in Köln irgendwann auf diese Weise politisiert werden sollte.
Beim 1. FC Köln gibt es allerdings nur ein einziges Fanprojekt.
Das ist das Problem: Die Fanprojekte leisten wichtige Arbeit. Bei den anstehenden Aufgaben könnte die personelle Ausstattung aber besser sein. In Köln sind 3,5 Sozialarbeiter-Stellen für die gesamte aktive Szene vorgesehen. Das ist nicht viel. Es gibt in Deutschland 59 Fanprojekte bei 5000 bis 10000 Ultras. Hier müssten die Vereine viel beherzter in die Tasche greifen. Zudem müssen die Sozialarbeiter von Fanprojekten geschützt werden: Wenn sie von der Polizei abgehört werden, konterkariert das die Arbeit und unterhöhlt das Vertrauen. Sie müssen von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen können. Hierzu bedarf es einer Änderung des Paragrafen 53 der Strafprozessordnung.
Was braucht es darüber hinaus?
Eine niedrigschwellige Suchtberatung und spezifische Kommunikationsstrategien, die sich an drogenkonsumierende Fans richtet. Hier könnte eine onlinebasierte Beratung hilfreich sein, die Anonymität gewährleistet und Kontaktbarrieren abbaut.
Wie ist denn die Stimmungslage bei Ultras und Hooligans des FC?
Bei den Fans staut sich viel Frust an. Fans und Verein driften auseinander. Fans nehmen die Vereine als Wirtschaftsunternehmen wahr, denen es nur um Spielergehälter und Fernsehgelder geht. Ein Beispiel ist die Entzerrung der Spieltage, um mehr Werbeeinnahmen und Geld aus Übertragungsrechten zu bekommen. Dass der Fan es nicht mehr hinbekommt, bei Sonntags- und Montagsspielen – vor allem auswärts – sein Fansein mit dem Job zu vereinbaren, interessiert keinen. Da entsteht bei den Fans der Eindruck, nicht wir sind wichtig.
Zu Person
Daniel Deimel (41) ist Professor für Klinische Soziale Arbeit an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen in Aachen. Der Fortuna Köln-Fan ist Sozialarbeiter und Suchtherapeut. Der Kölner ist Vater von zwei Töchtern (5 und 2 Jahre alt). Wenn er die mit ins Stadion nimmt, gilt ihre Aufmerksamkeit allerdings nur dem plüschigen Maskottchen im Stadion. (ari)
Dabei profitiert der Verein ja durchaus auch von den Fans...
In der Tat: Die Ultras sorgen für die tolle Choreografie und für die öffentlichkeitswirksamen Bilder, die ja auch in den Kalendern vermarktet werden. Der FC braucht diese Fans. Die spektakulären Fernsehbilder erhöhen den Marktwert. Und für die Fans ist das Stadion die Bühne, wo sie im Wettstreit um die beste Choreografie maximale Aufmerksamkeit erzielen können.
Außerdem weisen Sie auf die regulierende Funktion der Fans hin. Was meinen Sie damit?
Es gibt in den Gruppen einen klaren Kodex, was nicht geduldet wird. Wer sich daran nicht hält, fliegt raus. Das gilt etwa für homophobe Äußerungen, die nicht mehr geduldet werden. Erinnern Sie sich daran, wie noch vor Jahren jeder Fußballer mit afrikanischen Wurzeln im Stadion bei jedem Ballkontakt mit Affenrufen bedacht wurde? Dieser Rassismus ist dank des Regulativs der Fangruppen Vergangenheit. Und wir müssen durch Fanarbeit dafür sorgen, dass das so bleibt.