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„Das zerstört die Dramatik“Markus Merk nimmt die neuen Regeländerungen auseinander

Lesezeit 5 Minuten
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Markus Merk

  1. Zur Saison 2019/2020 gibt es wieder einige Änderungen im Regelwerk des Fußballs.
  2. Bei Handspielen soll mehr Klarheit herrschen, zudem können auch Trainer und Betreuer Gelbe und Rote Karten sehen.
  3. Zusammen mit dem dreimaligen Weltschiedsrichter Markus Merk analysieren wir die Neuerungen und werfen einen Blick in die Zukunft.
  4. Der Artikel ist Teil unser PLUS-Serie „Countdown” zum Start der Bundesliga – täglich mit einer weiteren Folge.

Köln – Am Freitag startet die 57. Bundesliga-Saison mit dem Spiel des FC Bayern gegen Hertha BSC (20.30 Uhr). Auch 2019/2020 gibt es Regelneuerungen. Zusammen mit Markus Merk analysiert der „Kölner Stadt-Anzeiger“ die vom International Football Association Board (Ifab) beschlossenen Änderungen im Regelwerk.

Wohin mit den Händen?

Ab sofort sind alle mit der Hand oder mit dem Arm erzielte Tore irregulär, auch die Vorbereitung mit Hand und Arm ist unabhängig von der Absicht abzupfeifen. Marco Reus’ Treffer gegen Uerdingen, als sich der Dortmunder Kapitän den Ball versehentlich mit dem Arm vorgelegt hatte, war also irregulär – allerdings gibt es im DFB-Pokal erst ab dem Achtelfinale den Videobeweis. In der Bundesliga wäre das Tor nach Intervention des „Kölner Kellers“ (siehe oben) zurückgenommen worden. Merk hält diese Reform für überfällig: „Da sind Jahrzehnte vergangen.“

Zudem ist es ein zu ahndendes Handspiel, wenn ein Spieler die Arme über Schulterhöhe hält und dann den Ball berührt. „Als Profisportler muss ich so trainiert sein, dass ich beim Springen die Hand oder den Arm nicht irgendwo da oben habe“, sagt Merk. Die unnatürliche Vergrößerung der Körperfläche wird ebenfalls in den Regeltext aufgenommen, bleibt aber im Ermessen des Schiedsrichters. „Es wird nie eine allumfassende Lösung geben, die Grauzone wird es immer geben“, so der Experte.

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Markus Merk befürchtet, dass der Hauptschiedsrichter irgendwann nur noch ein „Erfüllungsgehilfe des Videoschiedsrichters“ sein könnte.

Für Merk ist eine möglichst einheitliche Linie bei der Umsetzung der Regeln wichtig, „egal ob Außenstehende diese Linie jetzt für richtig oder falsch empfinden. Aber sie muss nachvollziehbar sein“, erklärt der 57-Jährige, der nun die Schiedsrichter in der Pflicht sieht: „Wir müssen zeigen, dass wir die Kriterien, die wir schon immer haben wollten, auch umsetzen können.“ Ein „weiter so“ beim Thema Handspiel wäre für Merk undenkbar gewesen: „Was wir im letzten halben Jahr in der Bundesliga erlebt haben, war fast Willkür.“

Schiedsrichter ist keine Luft mehr

Wenn eine Ballberührung des Referees zur Folge hat, dass der Ballbesitz wechselt, ein „vielversprechender Angriff beginnt“ oder der Ball im Tor liegt, geht es mit Schiedsrichterball weiter. „Mir fällt kein Beispiel ein, dass ein solcher Kontakt einen Konter eingeleitet hat. Aber das kann passieren und wäre ärgerlich. Darum ist es sinnvoll“, sagt Merk. Ohnehin ärgere es einen Schiedsrichter, wenn er vom Ball getroffen wird: „Es ist in der Regel dein Stellungsfehler.“

Karten gegen die Bank

Schiedsrichter können auch Trainern, Assistenten oder Physios Gelbe und Rote Karten zeigen. Rot ist das Äquivalent des bisherigen Innenraumverweises. Ist der Übeltäter nicht ausfindig zu machen, wird der Trainer bestraft. Ob mehrere Gelbe Karten auch zu einer Sperre führen, wird noch diskutiert. „Es bestand für mich kein zwingender Handlungsbedarf“, sagt Merk. Es sei mehr eine Visualisierung der Strafe. Auch hier setzt Merk auf eine einheitliche Umsetzung von klar festgelegten Leitlinien.

Tanz auf der Torlinie

Im Moment der Ausführung eines Elfmeters muss der Torhüter mindestens mit einem Fuß Kontakt zur Torlinie haben. Bei der Frauen-WM wurde die Regel mit enormer Konsequenz angewandt und sorgte für Unmut, weil Torhüterinnen beim Verstoß mit Gelb bestraft wurden. Der Zwang wurde nun gelockert. Für Merk problematisch: „Der eine Torhüter steht einen halben Meter vor der Linie, der andere 15 Zentimeter – ab wann wird eingegriffen?“

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Doch große Konsequenzen fürchtet er nicht. „Es könnte wie bei der Ausführung des Elfmeters sein, wenn zehn Spieler zu früh in den Strafraum einlaufen. So ein Elfmeter wird auch nur einmal pro Saison wiederholt“, meint Merk. Ohnehin liege bei der Neuerung ein falsches Verständnis vor. „Eigentlich ist es keine Reglementierung. Es ist eine Freigabe. Früher hieß es, dass beide Füße auf der Linie stehen müssen. Es wurde nur nicht durchgesetzt“, sagt Merk.

Sonstige Neuerungen

Stellt das verteidigende Team drei oder mehr Spieler in die Freistoßmauer, müssen Gegner einen Meter Abstand halten. Verstöße werden mit einem direkten Freistoß geahndet.

Abstöße müssen nicht mehr den Strafraum verlassen, so sollen die Mannschaften mehr spielerische Lösungen erhalten.

Ausgewechselte Spieler haben das Feld an der nächstgelegenen Außenlinie zu verlassen. Ziel: weniger Zeitspiel.

Der Schiedsrichterball wird reformiert. Nun erhält das Team den Ball, das ihn zuletzt berührt hatte – mit Ausnahme des Strafraums, dort erhält der Torhüter den Ball. Gegenspieler haben vier Meter Abstand zu halten.

Auch beim Münzwurf gibt es eine Änderung. Bislang durfte der Sieger nur die Seite wählen – nun kann er sich auch für den Anstoß entscheiden.

Die Schiedsrichter-Rolle

Merk fordert, dass die Position des Haupt-Schiedsrichters wieder gestärkt wird: „Er ist der Top-Entscheider auf dem Feld.“ Doch diese Rolle sei in Gefahr: „Wir hatten im letzten halben Jahr nur noch vier oder fünf Schiedsrichter, die noch entschieden haben. Andere sehen eine Situation im Strafraum, hören dann nach und winken ab. Natürlich: Weil es niemals ein Elfmeter war“, sagt Merk. „Aber genau diese Unsicherheit dürfen die Schiedsrichter nicht wachsen lassen. Sonst ist man nur noch ein Erfüllungsgehilfe des Videoschiedsrichters, also ein Videoassistent-Assistent.“

Kritisch sieht Merk auch die mit gewissem Stolz geführten Statistiken über durch den Videoassistenten korrigierte Entscheidungen. „Man darf nie vergessen: Jede Situation, die durch den Videoassistenten korrigiert wird, ist eine Fehlentscheidung des Schiedsrichters“, so Merk. Und letztlich sei das Ziel, „den Videoassistenten – darum heißt er ja Assistent – viel seltener zu benötigen.“

Ein Blick in die Zukunft

Merk spricht sich für ein Verbot von Auswechslungen in der Nachspielzeit aus, abgesehen von verletzungsbedingten Wechseln. „Das zerstört nur die Dramatik einer Schlussphase, die wir so lieben“, sagt Merk.

Dazu wünscht sich der Experte eine härtere Bestrafung für taktische Fouls, gerade tief in der gegnerischen Hälfte und in der Schlussphase der Partie. „Der Spieler weiß, dass er nur Gelb bekommt und bedankt sich tausendmal dafür. Es ist eine Art Kavaliersdelikt“, sagt Merk. „Aber wo bleibt die entscheidende Strafe? Man könnte den Ball weiter nach vorne legen, um eine möglicherweise entscheidende Freistoßsituation zu bekommen, 20 oder 25 Meter vor dem Tor. Dann ist es auch eine echte Spielstrafe.“

Markus Merk (57), geboren in Kaiserslautern, von 1988 bis 2008 mit 339 Einsätzen als Bundesliga-Schiedsrichter. Merk leitete 2004 das EM-Finale und war dreimal Weltschiedsrichter.