Was erfährt man bei einem dreistündigen Spaziergang durch Köln? Wir waren bei einer Tour von Freewalk Cologne dabei.
Mit einer Free Walking Tour durch Köln„Tünnes ist ein richtiger Kölner, in der Kneipe drinkste eine met, ist der vorne mit dabei“
Mit einer Schiebermütze wie von FC-Trainer Steffen Baumgart auf dem Kopf und einem Kölsch in der Hand steht Matthias Boden auf einer Treppe neben der Trankgasse, sie führt hinauf zur Domplatte. Von dort ertönen die Klänge von „Viva Colonia“. Doch Boden ist gerade bei einem anderen Thema, kölsche Musik wird später noch kommen.
Der 42-Jährige spricht über die vielen Baustellen in Köln, rund um die Philharmonie und das Stadtarchiv, wie lang doch schon alles dauert. Dann wechselt er zu dem Wort „Klüngel“. „Dabei macht man Geschäfte mit Freunden hinterm Rücken, bei Wohnung und Job“, sagt Boden.
Free Walking Tour Köln: Gäste entscheiden, wie viel sie bezahlen
23 Menschen, sie stehen im Halbkreis und werden immer wieder von Passanten angerempelt, lauschen den Worten von Boden, denn er ist heute ihr Tourguide bei einer sogenannten Free Walking Tour. Eine Stadttour, bei der man mit einem Einheimischen, oder mit jemanden, der die Stadt liebt, einen Spaziergang durch die Stadt macht.
Das Prinzip ist einfach: „Die Gäste entscheiden am Ende selbst, wie viel ihnen die Tour wert war“, sagt der Kölner, der das Unternehmen Freewalk Cologne 2014 gegründet und damit die erste Free Walking Tour in seine Heimat geholt hat. Damit kann er die kölsche Lebensart in die Welt hinaustragen: „Wenn du was verlierst, wärste traurig, oder? Brauchste nicht, das kölsche Grundgesetz hilft dir da: Wat fott es, es fott. Mehr ist es nicht. Einfach weiterleben und et hätt noch immer jot jejange.“
Das Besondere an Free Walking Touren ist aber nicht nur die authentische Art, sondern auch vermeintlich langweilige Fakten locker zu erzählen. „Köln ist eigentlich die nördlichste Stadt Italiens. Die Römer kamen ins Rheinland und bildeten ein römisches Soldatenlager. Das war erstmal gut, hier war es nicht so kompliziert, Gläschen Wein trinken, ne, bisschen entspannen. Aber eine Sache fehlte: richtig, Frauen! Dann haben sie die Ubier kennengelernt - die Basis der kölschen Bevölkerung“, sagt Boden.
Die Anfänge von Köln erzählt er schnell weiter und landet schließlich bei „Aggrippina die Jüngere“, die als Stadtgründerin von Köln gilt. „Mädchen aus Kölle haben Pfeffer im Arsch. Sie wollte Karriere machen und hat den Kaiser, ihren Onkel, geheiratet“, sagt er zu der Gruppe und versichert: „Alle Geschichten sind anlehnend an die wahren historischen Analysen, um das Ganze einfacher verdaulich zu machen.“ Aber alle Fakten seien von einem Historiker gecheckt worden.
Themenwechsel. Zwischen der Bedeutung der Symbole auf dem Stadtwappen und der LGBTQ-Szene lässt Boden auch den Fußball nicht unerwähnt: „Wenn es um den FC geht, haben die Kölner eine hohe Frustrationstoleranz. Obwohl der FC fast immer verliert, ist das Stadion immer ausverkauft.“
Es sind die ersten dreißig Minuten der knapp dreistündigen Tour. Wer schon öfters bei einer Free Walking Tour dabei war weiß, dass die Kölner Tour damit einer der Längeren ist. Man könnte meinen, dass es in Köln ja auch viel zu erzählen gibt. Allein die ganzen Fakten über den Kölner Dom könnten einen ganzen Tag einnehmen: „533 Stufen, im Jahr 1248 begann der Bau, 1880 fertig, hinten der kölsche Baustil“ und „der Dom gehört sich selber“.
Es ist eine Wucht an Informationen, die sich die Nicht-Kölner nicht alle merken können und auch verwirren. Zum Beispiel, wenn Boden über Veranstaltungen im zwei Kilometer entfernten Belgischen Viertel spricht.
Es hätte der Tour an diesem Samstag gutgetan, sie um ein paar Minuten, wenn nicht sogar eine ganze Stunde, und einige Fakten zu verschlanken, Bodens lustige und authentische Erzählweise, gepaart mit einigen Highlights hätten genügt. Und Höhepunkte gab es genug.
Zwischen Stadtmauer im Parkaus und Tünnes und Schäl beim Alter Markt.
Wie zum Beispiel der Abstecher in eine Tiefgarage, wo ein Teil der Stadtmauer und das Fundament des Kölner Doms zu sehen sind. „Ein bisschen random, hier im Parkhaus, oder?“, fragt Boden in die Runde und erzählt: „Wenn man in Köln anfängt zu graben, findet man ständig irgendwas.“ Vor allem Bomben. „Man ist kein richtiger Kölner, wenn man noch nicht evakuiert worden ist.“
Oder die Geschichte von den zwei legendären Figuren aus dem Hänneschen-Puppentheater Tünnes und Schäl, bei denen die Gruppe nach einem Stopp bei den Rathaus-Figuren und auf dem Alter Markt, mit Geschichten über Jan von Werth und der Hennes-Dynastie, stehen bleibt. Eine Geschichte, die Matthias Boden authentisch, an einigen Stellen auch mit Dialekt und der gleichen Körpergröße wie Tünnes, lässig an ihn angelehnt, erzählt.
„Ein richtig geborener Kölner, sehr bodenständig, hat offene Arme, lädt euch ein in die Stadt Köln.“ Zwar habe er eine leichtere Denkweise, „aber ist für jedes Kölsch zu haben: In der Kneipe drinkste eine met, ist der vorne mit dabei.“ Und dann gibt Boden noch den Tipp: „Wenn ihr die Nase vom Tünnes rubbelt habt ihr Glück in der Liebe, die Handfläche vom Schäl ist Glück im Jeld.“
Nicht jeder, der bei einer Free Walking Tour von Freewalk Cologne mitmacht, wird Tünnes und Schäl kennenlernen. Denn jeder der 14 Guides gestaltet seine Tour etwas anders. So läuft eine Gruppe mit englischsprachigen Teilnehmern zwei Wochen später an den beiden Figuren vorbei. Schade eigentlich.
Und es sind auch die Sprache und kulturellen Unterschiede, die es schwieriger machen zu erklären, warum Kölner kostümiert und bei Temperaturen um die Null Grad fünf Tage lang etwas feiern, das Karneval heißt. Doch auch bei der deutschen Gruppe scheint die Motivation am Ende der Tour gesunken zu sein, so schunkeln sie nur noch langsam mit Boden mit, der kölsche Musik anstimmt und sagt: „Wir sind stolz, die meist besungene Stadt der Welt zu sein. Eine tolle Hymne ist Tommi von AnnenMayKantereit.“
Trotz Überziehung der Tour-Zeit, die auf der Website mit zweieinhalb Stunden angegeben ist, zeigen sich alle Teilnehmer zufrieden - sogar ein Kölner ist unter ihnen. „Matthias ist super authentisch und gibt gut wieder, wie wir Kölner leben“, sagt Jonas Rubers aus Sülz am Ende der Tour auf dem Ostermannplatz. Dann geht er noch mit Boden und drei anderen Teilnehmern ins Brauhaus: Kölsch trinken.