Fünf Jahre „Wir schaffen das“So herausfordernd ist das Leben für Geflüchtete in Köln
Köln – Medea Al Abdallah redet nicht gern darüber, wie das damals war. Dann kommen die Erinnerungen der Flucht aus Syrien zurück. Die Bilder, als die junge Frau geklammert an ihren Mann Ezzat in dem hoffnungslos überladenen kleinen Boot auf dem Mittelmeer schaukelte. Hochschwanger, voller Angst, am Leib nur ihre Kleider und den Ausweis. Sie sind geflohen vor Assads Krieg, in dem ihr Mann zwei Jahre als Soldat dienen musste. Dann floh er und versteckte sich drei Jahre vor Assads Schergen, um nicht wieder an die Waffe zu müssen. „Das war kein Leben mehr, es ging nicht mehr“, sagt sie.
Auf Herbergssuche
Fünf Jahre ist es her, dass sich die 27-Jährige und ihr Mann (30) auf den Weg gemacht haben. Zuerst zu Fuß von Syrien in die Türkei, im siebten Monat. Dann weiter nach Griechenland und von dort zu Fuß die Balkanroute entlang bis nach Österreich. Wie eine Herbergssuche mutet das an, der weite Weg bis nach Köln, wo zwei Tage vor dem Heiligen Abend ihre kleine Tochter zur Welt kam. Angela haben sie das Mädchen genannt, das dieses Jahr Weihnachten seinen fünften Geburtstag feiert. Aus Dankbarkeit gegenüber der deutschen Kanzlerin. Ein halbes Jahrzehnt sind die beiden und mit ihnen Tausende andere, die sich auf den Weg gemacht hatten, jetzt Kölner.
„Wir schaffen das“, dieser bis zur Politplattitüde abgedroschene Satz war als Ermutigung an uns, die aufnehmende Gesellschaft gedacht. Nur dass für uns die herausfordernden Themen längst andere sind – Corona oder Klimaschutz. Kaum einer redet mehr über die Geflüchteten.
Kampf mit der Bürokratie
Aber für die, die gekommen sind, ist die Sache mit dem „Schaffen“ weiter jeden Tag eine Herausforderung: der Kampf mit der deutschen Sprache, mit der Bürokratie, mit Vorbehalten – und oft auch mit dem Heimweh. Dass sie viel geschafft haben, verdanken sie zwei Dingen: erstens ihrer eigenen Energie und Entschlossenheit, sich hier eine Zukunft aufzubauen. Und zweitens der Tatsache, dass sie in Köln-Rondorf gelandet sind. In der dortigen „Dorfgemeinschaft Rondorf“ haben die Menschen nämlich genau das gemacht, was laut Integrationsstudien darüber entscheidet, ob Integration gelungen ist: Gemeinsam haben sie für die Bewohner der Flüchtlingsunterkunft Feiern organisiert, gemeinsames Kochen, Hausaufgabenhilfe.
Viele Patenschaften
Bis heute haben der Enthusiasmus des Helfens und das gemeinsame Erleben von Alteingesessenen und Neu-Rondorfern nicht nachgelassen. Vor allem haben Familien Patenschaften für Geflüchtete übernommen und sie eng im Alltag begleitet. So wie Angelika und Markus Schöneberger. „Allein die Bürokratie: Was da an Bescheiden vom Bundesamt für Migration, vom Sozialamt, vom Jobcenter im Briefkasten landet. Da muss man sich selbst als Muttersprachler reinfuchsen. Ohne Unterstützung ist man da als Neuankömmling verloren“, sagt Angelika Schöneberger, die bis heute die Behördenkämpfe für ihre Schützlinge ausficht.
So haben die Schönebergers dafür gesorgt, dass Familie Abdulla nach schwierigen Zeiten in der Notunterkunft eine kleine Wohnung gefunden hat. Und Ezzat eine Arbeit: Der gelernte Schweißer und Elektriker arbeitete in einem Betrieb in Dormagen: Morgens um 4 Uhr fuhr er mit dem Bus los, um abends zurückzukehren – drei bis vier Stunden Fahrt täglich.
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Das Problem, was er mit so vielen Geflüchteten teilte: Seine syrische Ausbildung wurde nicht anerkannt. Er wurde deshalb nur als Elektrohelfer beschäftigt, unter seiner Qualifikation und unterbezahlt. „Das war auf Dauer für ihn keine Perspektive, um die Familie zu ernähren.“ Die Schönebergers überzeugten ihn, erst Intensiv-Sprachkurse zu machen, um das Sprachzertifikat B2 zu schaffen, das berechtigt, eine Ausbildung zu machen. Ezzat geht nun diesen Weg, er büffelt mit 30 Jahren fleißig Deutsch, um hier die Ausbildung zu machen, die er eigentlich schon gemacht hat.
Für seine Frau Medea ist alles noch schwieriger. Sie ist studierte Archäologin und hat keine Chance, da auch ihr Studium nicht anerkannt wird. Neben den Kindern – nach Angela wurde 2017 ihr Sohn geboren – lernt auch sie Deutsch, um perspektivisch die Chance auf eine Ausbildung zu haben. „Wir wollen Deutschland etwas zurückgeben und unser Leben komplett selbst bezahlen“, sagt Ezzat.
Viele Vorurteile und Klischees
Hiba Alkhadra, die junge Frau, die die Schönebergers ebenfalls unter ihre Fittiche genommen haben, hat das schon geschafft: Die Syrerin aus Idlib, die ebenfalls in einem kleinen Boot und zu Fuß über die Balkanroute nach Köln kam, ist studierte Wirtschaftswissenschaftlerin. Mit ganz viel Ehrgeiz und Energie hat sie sich ins Deutschlernen gestürzt und in Rekordzeit den begehrten Level B2 geschafft. Nach einer Ausbildung beim Handelshof ist sie dort inzwischen fest angestellt. „Ich bin froh, dass ich gezeigt habe, dass ich nützlich bin“, sagt die junge Frau. Am Anfang sei das alles nicht einfach gewesen, einsam habe sie sich auf der Arbeit gefühlt. Auch die vielen Fragen waren ihr unangenehm. „Willst du jetzt einen Deutschen heiraten.?“ oder „Bekommst du Geld vom Amt?“.
Viele Vorurteile oder Klischees seien da unterwegs. Das mit dem „Wir schaffen das!“ ist nämlich ein schwieriger Balanceakt. Integrieren sollen sich die Geflüchteten. Das ist die gesellschaftliche Erwartung. Aber auch das nicht zu gut, wie die drei Schwestern erfahren haben, die ebenfalls von den Rondorfern unterstützt wurden. Alle drei, die vor fünf Jahren ohne Deutschkenntnisse aus Syrien kamen, haben in diesem Sommer auf dem Irmgardis-Gymnasium ihr Abitur geschafft und jetzt ein Studium begonnen.
Hassmails für Abiturientinnen
In großen Lettern schrieb die „Bild“-Zeitung über die „Abiturientinnen des Jahres“, auf die Deutschland stolz sein könne, und NRW-Integrationsministerin Serap Güler beglückwünschte die Mädchen persönlich: Mit dem Ergebnis, dass – neben viel Anerkennung – auch zahlreiche Hassmails eingingen, in denen die Mädchen bedroht und als Schmarotzer beschimpft wurden. Die drei jungen Frauen seien so schockiert , dass sie über ihre Erfolgsgeschichte nicht mehr öffentlich reden wollten, berichtet Markus Schöneberger. „Erst recht nicht mit ihrem Namen.“
Messerangriff von Unbekannten
Auch Hiba Alkhadra kennt die Situationen, in der ihr Zweifel kamen. Vor zwei Jahren wurde sie in Köln von Unbekannten mit einem Messer angegriffen. Lange habe sie gebraucht, um das zu verarbeiten. Seither ist sie noch vorsichtiger geworden. „Ich möchte einfach in Ruhe hier leben und mich beruflich weiterentwickeln. Ich bin dankbar dafür, in Deutschland zu sein. In einem Rechtsstaat.“ Die Sache mit dem Rassismus, die will sie nicht an die große Glocke hängen.
Auch Medea will nicht klagen über die regelmäßigen Anflüge von Fremdheit und Hoffnungslosigkeit. Über das große Heimweh, das sich in Abständen wie ein Schleier über sie legt. Über den Schmerz, dass ihr geliebter Vater daheim in Syrien gestorben ist, ohne, dass sie zu ihm konnte.
Lieber reden Medea und Ezzat über ihre Kinder, auf die sie so stolz sind: Angela liebt den Kindergarten und hat dort viele Freundinnen. Polizistin will sie mal werden, das weiß sie schon. Beim Deutschsprechen habe die Tochter sie längst überholt, erzählt die Mutter stolz. Ihr dreijähriger Bruder, der soll mal zum FC, meint der Vater. Auch ihm haben sie einen deutschen Vornamen gegeben: Josef. Wie ein Statement, wo sie hingehören möchten. Erstmals haben sie in diesem Jahr einen Christbaum angeschafft, um „deutsche Weihnachten zu feiern“. Für die Schönebergers gehören die vier inzwischen zur Familie: „Wir haben zu unseren eigenen Kindern einen Sohn und zwei Enkelkinder dazu bekommen und erleben das als große Bereicherung.“