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Gast-KommentarImmobilien dürfen nicht allein als Ware gesehen werden

Lesezeit 4 Minuten

Für wen werden die Städte gemacht?

Welche Stadt hat sie nicht: die Großbauprojekte, die ohne Ausschreibung an Baufirmen oder Immobilienentwicklungsunternehmen gegeben werden? Oder die Gebäude, die von privaten Gesellschaften, transnationalen Fonds oder ähnlichen Konstrukten errichtet und dann in Für-die-Ewigkeit-gemacht-Verträgen überteuert an die öffentliche Hand zurück vermietet werden? Oder all die anderen Objekte, die gekauft und verkauft werden, um dann wieder gekauft und verkauft zu werden, bis sie irgendwann der Abrissbirne zum Opfer zu fallen, weil das Stück Land, auf dem die graue Masse steht, plötzlich doch viel mehr wert ist als die graue Masse selbst?

Zur Person

Tatjana Schneider

Tatjana Schneider ist Professorin. Sie leitet das Institut für Geschichte und Theorie der Architektur und der Stadt an der TU Braunschweig. 2021 trat sie als OB-Kandidatin für die Grünen an.

Die Position, dass Gebäude und Infrastrukturen unschuldige Objekte seien, die mal eben so entstehen, ist untragbar. Deutlich ist, dass Immobilien regelrechte Geldschluck- und Gelddruckmaschinen sein können und dann gemeinhin auch als solche konzipiert sind, um von Bauträgern, Anwaltskanzleien oder Banken als Waren gehandelt werden. Diese Erkenntnisse sind nicht neu. Dennoch kommt die wichtige Diskussion darüber, wer Stadt macht, für wen Stadt gemacht wird und wer von diesen Prozessen profitiert, nicht unbedingt dort an, wo sie geführt werden könnte und sollte: In unser aller Alltag, in unseren jeweiligen Nachbarschaften, den Dörfern und Städten, in denen wir – die Vielen – wohnen, leben und arbeiten. Dort also, wo Entscheidungen über die Renovierung oder den Neubau von Schulen, Kindergärten, Wohnbauten, Bürogebäuden, die Erweiterung oder den Umbau von Straßen und Infrastrukturen und vielen anderen möglichen Projekten konkrete Veränderungen bewirken und Konsequenzen haben.

Wesentliche Entscheidungen sind häufig längst getroffen

Noch viel wichtiger als die Auseinandersetzungen über die von langer Hand geplanten Transformationen von Raum wären die Schlussfolgerungen, die daraus gezogen werden sollten. Denn: Wenn wir von Bauprojekten erfahren, sind wesentliche Entscheidungen oft schon getroffen worden, und es ist meist zu spät, kritische Fragen zu stellen oder Entwicklungen in andere, gemeinwohlorientierte und solidarische Richtungen zu leiten.

Obwohl Stadtverwaltungen durch politische Räte und Gremien kontrolliert werden sollten, bleibt doch bei vielen Projekten ein Gefühl der Ernüchterung oder gar Ohnmacht zurück – nicht nur für diejenigen unter uns, die sich mit Stadt beruflich beschäftigen. Das Fazit, immer wieder: Stadt ist nie gerecht gewesen und wird auch heute immer noch nicht gerecht gedacht und gemacht. Das klingt pauschalisierend?

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Sicher wäre es richtig, differenzierter auf einzelne Städte und Entwicklungen zu schauen: Prämierte Verfahren und Modellprojekte, die von den politischen Vertretenden einer Stadt gerne als Leuchtturmprojekte zelebriert und dann als Beispiele dafür hergenommen werden, dass es mehr gute Projekte gibt als skandalöse.

Doch darum geht es mir hier nicht. Wir wissen viel zu wenig darüber, wie Stadt gemacht wird, Prozesse sind intransparent, und dann gehen wir immer noch davon aus, dass politische Ausschüsse die richtigen Entscheidungen für uns treffen. So soll die Wohnungskrise weiterhin mit bauen, bauen, bauen besiegt, Teilhabe mit professionalisierten Beteiligungsagenturen und Klimaanpassungen mittels überdimensionierter Dämmschichten umgesetzt werden. Stadt und Architektur müssen raus aus dieser Endlosschleife des „Immer weiter so“.

Innovativer, grüner, ressourcenschonend, weniger profitorientiert. Eine neue Rhetorik allein reicht dafür nicht. Die Systeme, die diese Versprechen aktualisieren sollen, müssen anders oder gar andere werden. Es gilt also, die politische Ebene des Bauens zu (re-)formieren. Hier geht es um nichts weniger als einen Bruch mit dem Status quo, mit intransparentem Finanzgebaren und Deals, die in Hinterzimmern abgeschlossen werden und die weder Klimakrise noch zunehmende sozioökonomische Disparitäten ernst zu nehmen scheinen. Die Stadt, sie gehört uns allen. Aber das Recht auf Stadt bringt auch die Notwendigkeit mit sich, Verantwortung zu übernehmen: Für einen gerechten Umgang mit diesem schwer fassbaren und so fragilen Gebilde. Stadt wie wir sie heute kennen ist keine Frage des Schicksals. Sie ist eine Frage der Entscheidung.