Fremde Menschen, die sich gegen Geld zum Kuscheln treffen. Was erhofft man sich davon? Unser Autor hat es ausprobiert.
Gegen die EinsamkeitWas bei einem Kölner Kuschel-Kurs passiert

Beim Kuschelteam kommen fremde Menschen auf der Suche nach körperlichen Kontakt zusammen – ganz ohne sexuelle Hintergedanken.
Copyright: Uwe Weiser
Irgendwann, ganz am Ende dieses Sonntagnachmittags, liege ich selig eingebettet in einem Menschenknäuel und kann für einen kurzen Moment vergessen, wo ich gerade bin. Elisabeth (Name geändert) streicht mir sanft über meine Schultern und den Nacken. Mein Herzschlag kommt zur Ruhe, mein Atem verlangsamt sich. Elisabeth kenne ich zu diesem Zeitpunkt erst seit ein paar Stunden. Genauso wie die anderen sieben Menschen, die sich hier, auf ein paar blauen Yogamatten in Köln-Zollstock, ineinander verhakt haben.
Wir alle sind Teilnehmer der „Berührungsoase“, einem Kuschel-Workshop, den Bernd Wachsmann zusammen mit seiner Frau Judith Harraß seit 2018 als „Kuschelteam“ anbietet. Kurz bevor ich einzuschlafen drohe, reißt mich die Stimme von Wachsmann aus dieser Trance. Die Übung ist beendet.
Mit Kuschelkursen gegen Glaubenssätze
Das Konzept klingt skurril, irgendwie esoterisch und auch ein bisschen anrüchig: Fremde Menschen, die sich gegen Bezahlung für ein paar Stunden in einer Yoga-Halle irgendwo in Köln-Zollstock treffen, um miteinander zu kuscheln. Wer geht dahin? Und was erhoffen sich die Teilnehmer von so einem Workshop?
Ein paar Stunden zuvor sitze ich mit Wachsmann und Harraß im Vorraum des Yogasaals, den die beiden für ihre Workshops gemietet haben. „Wir haben in der Gesellschaft ein merkwürdiges Verhältnis zur Berührung“, sagt Harraß dann. Damit meint sie Glaubenssätze und Vorurteile, die unserem Bedürfnis nach Nähe im Weg stünden. Eines davon: „Kuscheln muss zwangsläufig auf Sex hinauslaufen“.
Mit ihren Kursen wollen sie mit solchen Glaubenssätzen brechen und Menschen einen sicheren Rahmen geben, in dem sie ihr Bedürfnis nach Nähe stillen können. Menschen etwa, die in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen mit körperlicher Nähe gesammelt haben und seitdem traumatisiert sind, Menschen, die einfach neugierig sind oder Menschen, die sich einsam fühlen.
Zu Beginn gruppieren wir uns in einem Kreis um unsere beiden Kursleiter. In der Mitte brennen drei blaue Kerzen. Der Altersschnitt liegt irgendwo bei 50. Drei Männer stehen sechs Frauen gegenüber, die meisten von ihnen könnten meine Eltern sein.
Bei Trommelschlägen „den Raum erarbeiten“
Wachsmann verkündet noch die wichtigsten Regeln („Keine Berührungen in der Intimsphäre, alle bleiben angezogen, nicht passiert, was nicht gewollt ist, Alkohol und andere Drogen sind verboten!“), dann kann es losgehen. Als Erstes sollen wir langsam die Halle durchschreiten, und uns „den Raum erarbeiten“, wie Wachsmann sagt. Dann, allmählich, folgt der erste Blickkontakt mit den anderen und die ersten Berührungen an den Händen. Im Hintergrund dudelt leise Ambient-Musik aus einem CD-Player. In einer Ecke des Raumes hockt eine vergoldete Froschskulptur im Schneidersitz und grinst uns an.
So wate ich also durch den Raum und spüre, wie mein Ressentiment gegenüber dem esoterischen Einschlag der Veranstaltung die Oberhand gewinnt. Bei dem Gedanken, einen dieser fremden Menschen gleich zu umarmen, schrecke ich zurück. Doch es ist paradox, denn gleichzeitig habe ich Angst vor Ablehnung: Was, wenn mich auch niemand umarmen will?
Auch das gehört zum Kurs dazu, sagt Wachsmann: Eigene Grenzen erkennen und die der anderen respektieren lernen. In der nächsten Übung schlägt er immer schneller in eine Trommel, während wir weiter durch den Raum wandern. Stoppt er, sollen wir dem nächsten Menschen um uns herum per Handzeichen signalisieren, welchen Grad an Nähe wir jetzt für den Richtigen halten. Zunächst entscheide ich mich für einen freundlichen Handschlag. Irgendwann überwinde ich mich und liege einem etwa 45-jährigen Psychotherapeuten in den Armen, der zwei Köpfe größer ist als ich. Ein seltsames Gefühl, bei dem das Befremden überwiegt. So ganz kann ich mich auf dieses Experiment noch nicht einlassen.
Einsamkeit während Corona-Pandemie auf Höchststand
Dabei basiert das Prinzip des Kurses auf einer einfachen Logik: Bei Berührungen schüttet das Gehirn den Botenstoff Oxytocin aus. Es reguliert den Blutdruck und den Cortisolspiegel und kann dabei helfen, Stress zu reduzieren und Empathie zu anderen Menschen zu fördern.
Und Oxytocin war in den letzten Jahren bei vielen Menschen Mangelware. In der Pandemie, als Berührung zwischen Menschen plötzlich zur Gefahr wurde, stieg die Zahl derjenigen, die sich einsam fühlten, rapide an. Laut Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) fühlte sich schon vor Corona jeder zehnte Deutsche einsam. Während der Pandemie stieg der Anteil zwischenzeitlich auf rund 42 Prozent. In NRW fühlen sich nach aktuellen Zahlen 15 Prozent der Menschen einsam. Manche Experten sprechen gar von einer „Einsamkeits-Epidemie“. „Das Bedürfnis nach Berührung“, sagt auch Wachsmann in unserem Vorgespräch, „ist gestiegen, das spüren wir deutlich.“
In der Pause gibt es Kekse und Tee. Ich rede mit Marion, einer der Teilnehmerinnen. „In der Vergangenheit“, sagt die 55-Jährige, „habe ich schlechte Erfahrungen mit Männern gemacht.“ Was genau ihr passiert ist, will sie nicht sagen. Nur so viel: Seitdem habe sie große Schwierigkeiten, körperliche Nähe zu anderen Menschen aufzubauen.
Vor vier Jahren wurde der Stress bei der Arbeit dann zu viel. „Ich habe es mit Yoga, Meditation und anderen Entspannungstechniken versucht, aber so richtig geholfen hat das nicht.“ Dann sei sie auf das „Kuschelteam“ gestoßen. Seit sie an den Workshops teilnimmt, geht es ihr besser, sie fasst langsam wieder Vertrauen zu anderen Menschen: „Der klare Rahmen, ohne sexuelle Handlungen, gibt mir Halt. Und hilft mir, mich langsam wieder an die Nähe zu anderen Menschen heranzutasten“.
Dafür ist sie auch gerne bereit, den Preis für den Workshop in Höhe von 100 Euro zu bezahlen, der mir sehr hoch erscheint. „Bei einer Massage“, sagt Marion dazu, „hinterfragt man den Preis ja auch nicht. Entweder man lässt sich darauf ein oder nicht.“
Nach der Pause wird der Grad der Nähe noch einmal gesteigert. Zuerst teilen wir uns in Dreiergruppen auf und legen uns nebeneinander auf die Matten, schmiegen uns aneinander und streicheln uns. Nach und nach gelingt es mir, mich zumindest zeitweise auf die Berührungen einzulassen und mich zu entspannen. In der letzten Übung, als sich dann alle Teilnehmer auf einer großen Mattenlandschaft aneinanderkuscheln, kann ich mich fallenzulassen. Für einen kurzen Moment sind Marion, Elisa und all die anderen Menschen, die ich vor ein paar Stunden noch nicht kannte, keine Fremden mehr.