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Angststörungen bekämpfenWenn Sorgen krankmachen

Lesezeit 4 Minuten
Illustration: Frau stützt Kopf in den Händen auf

Angststörungen werden häufig mit Depressionen verwechselt.

„Geht es meiner Tochter gut?“, „Hatte mein Mann einen Autounfall?“, „Mögen mich die Kollegen?“ Sorgen sind verbreitet, aber bei manchen Menschen bestimmen sie das Leben. Angststörungen werden oft erst spät erkannt. Wie man die Furcht eindämmt.

Die Sorgen kamen immer früh am Morgen über Elisa Will*. In Gedanken spielte sie durch, wie ihr Mann auf dem Weg zur Arbeit mit dem Auto einen Unfall haben würde. Nachdem sie sich dieses Szenario ausgemalt hatte, jagten ihre Gedanken weiter zur geplanten Familienreise nach Italien. Dafür musste Will mit ihrer Familie im Auto die Poebene durchqueren. Da war doch immer Nebel, wie oft kam es deshalb zu Unfällen? Sie stellte sich vor, wie ihre Kinder blutüberströmt im Auto lagen. Und überhaupt die Kinder, die konnten doch auf dem Schulweg verunglücken. Als Elisa Will um 6.30 Uhr aufstand, hatte sie sich schon anderthalb Stunden lang gesorgt.

„Solche Sorgenketten sind typisch für die Generalisierte Angststörung“, sagt Christoph Flückiger, Professor am Psychologischen Institut der Universität Zürich, der Elisa Will in seiner Praxis therapiert hat. Er gibt ihren Fall mit leicht veränderten Details wieder. 5 bis 10 Prozent aller Menschen sind während ihres Lebens betroffen. „Die Häufigkeit der Störung nimmt mit dem Alter zu – vor allem bei den Frauen.“

Angststörung wird oft mit Depressionen verwechselt

Oft wird die Störung spät erkannt. „Sie wird oft verwechselt mit einer Depression“, sagt Flückiger. „Aber vereinfacht gesagt sind Patienten mit Generalisierter Angststörung in ständiger Unruhe, während Depressive eher niedergeschlagen sind.“ Oft erschwert eine Kombination verschiedener Störungen die Diagnose. „Zu 85 Prozent tritt die Generalisierte Angststörung in Verbindung mit anderen Erkrankungen wie sozialer Angst, Depressionen und Phobien auf“, sagt Eni Becker, Leiterin der Abteilung Klinische Psychologie an der Uni Nimwegen und Mitautorin des „Ratgeber Generalisierte Angststörung“. „Diese sind leichter zu diagnostizieren und verdecken oft die Generalisierte Angststörung.“

Die Häufigkeit der Störung nimmt mit dem Alter zu – vor allem bei den Frauen.
Christoph Flückiger, Professor am Psychologischen Institut der Universität Zürich

Bei Elisa Will dauerte es sechs Jahre, bis sie ihre Diagnose erhielt – eine übliche Zeitspanne. Das liegt neben der Schwierigkeit der Diagnose auch daran, dass Patientinnen und Patienten lange keine Hilfe suchen und nicht auffällig sind. „Es ist ein stilles Leiden, viele Patienten sind nach außen hin voll funktionsfähig“, sagt Flückiger.

Sorgen haben eine wichtige Funktion

So war es auch bei Elisa Will. Sie leitete den Verkauf in einer Bäckerei. Wurde weniger verkauft, machte sie sich Vorwürfe, das sei ihre Schuld und ihr Job sei in Gefahr. Verwehrte sie einer Mitarbeiterin einen Urlaubstag, machte sie sich Vorwürfe, zu streng gewesen zu sein. Dabei waren eigentlich alle zufrieden mit ihr. „Generalisierte Angststörungen entwickeln oft Menschen mit ausgeprägtem Leistungsbewusstsein“, sagt Flückiger.

Wie viele Sorgen sind normal und wann werden sie pathologisch? „Sorgen haben eine wichtige Funktion“, sagt der Psychologe. „Vor einer Bergtour kann es lebenswichtig sein, sich vor einem Absturz zu fürchten – solche Gedanken machen uns aufmerksam.“ Bedenklich wird es, wenn die Sorgen über Stunden anhalten. Eine Studie, an der Eni Becker mitgewirkt hat, zeigte, dass sich Patienten mit einer Generalisierten Angststörung mehr als sechs Stunden am Tag intensiv Sorgen machen. „Alarmierend ist, wenn sich Sorgen nicht stoppen lassen“, sagt Flückiger. „Die Diagnose Generalisierte Angststörung stellen wir, wenn ein Mensch wirklich leidet.“

Die Störung verschlimmert sich oft durch den Umgang der Betroffenen mit den Ängsten. Elisa Will war ständig angespannt, schlief schlecht, versuchte, sich dazu zu zwingen, nicht an die Sorgen zu denken. Doch das gelang nicht. „Wer versucht, etwas bewusst zu verdrängen, richtet meist noch mehr Aufmerksamkeit auf das Problem“, sagt Eni Becker.

Verhaltenstherapie kann oft helfen

Manche fürchten, dass ihren Kindern, ihrem Partner oder ihren Eltern etwas zustoßen könne – und suchen Gewissheit. Auch Elisa Will begann, ihren Mann ständig anzurufen, um zu hören, ob alles in Ordnung sei. Durch die vielen Stunden, die sie mit Ängsten beschäftigt war, bekam sie das Gefühl, Job und Familie nicht mehr bewältigen zu können. „Spätestens, wenn man sich auch noch Sorgen macht, weil man sich zu viel sorgt, sollte man über eine Behandlung nachdenken“, sagt Becker.

Bei Elisa Will waren es auch Probleme in der Familie, die sie dazu brachten, eine Therapie anzufangen. Ihrem 13-jährigen Sohn verbot sie das Hockeyspiel, Ausflüge waren nicht mehr möglich. Schließlich kam sie mit ihrem Mann überein, eine Therapie anzufangen. „Die kognitive Verhaltenstherapie hat eine gute Wirksamkeit“, sagt Flückiger. „In 80 Prozent der Fälle erreichen wir schnell Fortschritte.“

Strukturierter Tagesablauf ist für viele Patienten wichtig

Im Zentrum der Therapie steht, Ängste zu Ende zu denken und auszuhalten. „Wenn man über die Sorgen spricht, reduziert sich die Anspannung oft schon um 50 Prozent“, sagt Flückiger. Auch Entspannungsverfahren wie autogenes Training haben ihren Platz in der Therapie.

Patienten mit Generalisierter Angststörung sollten laut Flückinger zusehen, dass sie einen strukturierten Tagesablauf haben und nicht zu lange zu Hause mit Sorgen beschäftigt sind. Für Elisa Will war die Verhaltenstherapie ein Erfolg – dem nächsten Urlaub sieht sie gelassen entgegen. Sorgen hat sie immer noch – doch sie bestimmen ihren Tag nicht mehr. (RND)

*Name geändert


Dieser Text gehört zur Wochenend-Edition auf ksta.de. Entdecken Sie weitere spannende Artikel auf www.ksta.de/wochenende.