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Soziologe über Wandel in Kölner Veedeln„Man kann Entwicklung nicht einfach anhalten“

Lesezeit 7 Minuten

Die Südstadt-Safari lockte viele Kölner ins Veedel. Viele Stadtteile werden sich in Zukunft ändern. Soziologe Jürgen Friedrichs erklärt, wie.

KölnSie haben in einer umfangreichen Studie die Veränderungen in Deutz und Mülheim untersucht. Die Stadtteile gelten als gute Beispiele für die Entwicklungen in der ganzen Stadt. Hat sich die Bevölkerungszusammensetzung dort verändert?

Wir haben sehr deutliche Hinweise darauf, dass das so ist. In Deutz und Mülheim findet ein Bevölkerungsaustausch statt.

Der Prozess der zurzeit viel diskutierten „Gentrifizierung“ scheint also in vollem Gange. Wie übersetzen Sie den schwierigen Begriff?

Ein Wohngebiet wird durch den Zuzug einer statushöheren Bevölkerung aufgewertet. Das heißt auch: Eine Bevölkerung mit einem niedrigeren Status, mit geringerem Bildungsniveau wird möglicherweise verdrängt. Allerdings ist diese Verdrängung für die Wissenschaft nur sehr schwer zu belegen. Dazu müsste klar sein, dass ein Wegzug nur deshalb erfolgt, weil man die Wohnung nicht mehr bezahlen konnte. Natürlich gibt es diese Verdrängung, aber über das Ausmaß können wir keine genaue Aussage machen.

Zur Person

Der Soziologe Jürgen Friedrichs, emeritierter Professor an der Kölner Uni, ist ein Experte für die Entwicklung von Städten. Zusammen mit seinem Kollegen Jörg Blasius hat er das Buch „Gentrifizierung in Köln“ herausgegeben, womit er eine aufwendige Forschung in Mülheim und Deutz abschließt. Friedrichs ist mittlerweile 79 Jahre alt. Die Leidenschaft für Forschung und Lehre lasse ihn nicht los. Während andere in seinem Alter den Ruhestand genießen, startet er immer wieder neue Projekte. (sbs)

Wie läuft ein typischer Gentrifizierungs-Prozess ab?

In ein Gebiet mit viel Altbausubstanz, renovierungsbedürftigen Wohnungen, vielen Migranten und niedrigen Mieten ziehen diejenigen, die wir Pioniere nennen. Sie sind meistens jung, ledig und haben ein relativ geringes Einkommen. Dazu kommen Künstler, Architekten, Galeristen, in vielen Fällen auch Mitglieder der Schwulen-Community. Wenn die diese Gebiete bekannter machen, setzen zwei Prozesse gleichzeitig ein: Es entwickelt sich ein neues Angebot an Gewerbe, an Läden, Restaurants, die für weitere Aufmerksamkeit sorgen. Das Image verändert sich. Das Gebiet wird attraktiv, weil es „in“ ist. Dann kommen die „Gentrifier“. Mit ihnen wandelt sich die Infrastruktur, die Mieten steigen. Am Ende der zweiten Phase hat das Gebiet eine gemischte Struktur. Entstanden ist ein vielfältiges, urbanes Gebiet.

Das ist der Punkt, an dem man die Entwicklung stoppen möchte.

Aber leider kann man diese Dynamik – zumal in kapitalistischen Gesellschaften – nicht einfach anhalten. So kommt zu den ersten Konflikten: Den Pionieren laufen die Mieten weg. In der nächsten Phase wird es zu Luxussanierungen und zu Umwandlungen von Miet- in Eigentumswohnungen kommen. Die Vielfalt nimmt wieder ab.

Jürgen Friedrichs in seinem Büro in der Uni.

Beklagen die Neuzugezogenen irgendwann die Folgen ihres Zuzugs?

Darüber haben wir keine empirischen Hinweise. Wer sich beklagt, sind die Pioniere. Weniger beklagen sich die Alteingesessenen. Solange sie nicht selbst von Verdrängungen betroffen sind, sehen sie die Entwicklung und Aufwertung positiv.

Die Politik diskutiert Gegenmaßnahmen, weil man befürchtet, dass die soziale Mischung verloren geht. Ist dieses Ideal nicht nur eine schöne Selbsttäuschung?

Das Ideal der Mischung ist uralt. Es durchzieht städtebauliche Utopien und lebt von zwei Ideen: Wenn möglichst alle sozialen Schichten zusammen wohnen, können sie voneinander lernen. Außerdem entsteht auf diese Weise eine höhere Toleranz. Vorurteile kann man am besten durch Kontakte abbauen. Dieser Zusammenhang ist gut erforscht.

Gleichzeitig bleiben Leute gerne unter sich, ziehen dahin, wo ihresgleichen schon wohnen.

Das ist richtig. Es wird in einer Stadt immer ausgeprägte Oberschicht-Gebiete und arme Viertel geben. Wenn es soziale Ungleichheit gibt, wird es immer auch sozialräumliche Ungleichheit geben. Aber es gibt eben auch eine breite Mittelschicht, die extreme Trennungen verhindert.

Stadt und Land haben diverse Instrumente beschlossen, um Einfluss auf die Entwicklungen zu nehmen. Kann man einen Gentrifizierungs-Prozess stoppen?

Man kann nur versuchen, den Prozess zu verlangsamen. Aber es ist sehr schwierig, solange eine solche Nachfrage nach Wohnungen besteht.

In seiner letzten Sitzung hat der Stadtrat die Einführung eines Vorkaufsrechts beschlossen. Wenn Häuser verkauft werden, hat die Stadt den ersten Zugriff. Ist das ein wirksames Instrument?

Die Frage ist nicht nur, wie die Stadt den Aufwand bezahlt. Sie muss ja auch das Geld haben, um die Gebäude kaufen zu können. Das wird dann wahrscheinlich ihre Wohnungsbaugesellschaft, die GAG, übernehmen. Aber dann muss die GAG dafür das Kapital haben.

Seit langem wird der Erlass von Milieuschutzsatzungen geplant, mit der man vor allem Luxussanierungen und Umwandlungen in Eigentumswohnungen verhindern kann. Was halten Sie davon?

Ich habe vor vier Jahren mit Kollegen im Rathaus über dieses durchaus wirkungsvolle Instrument referiert. Es ist bis heute immer noch keine Satzung in Kraft. Es dauert alles zu lange.

Wo wäre so eine Satzung, mit der man in die Eigentumsrechte der Hauseigentümer eingreift, sinnvoll?

In Teilen von Mülheim, Ehrenfeld und Nippes, in Deutz und im Severinsviertel. Über das Agnesviertel und die Südstadt, wahrscheinlich auch über den Rathenauplatz, muss man nicht mehr verhandeln. Da ist es wohl zu spät.

Hat es Folgen für die anderen Teile der Stadt, wenn die Gentrifizierung in den „In-Vierteln“ weiter geht?

Es ist wahrscheinlich, dass der Prozess immer wieder neue Stadtteile erfasst. In Berlin kann man das sehen: Da ist der Prozess zwischenzeitlich in Wedding angekommen, also dem Arbeiterbezirk per se. Köln rechnet mit einem Bevölkerungswachstum um 50 000 bis 100 000 Personen. Da werden auch viele jüngere Leute dabei sein, die innerstädtisch nach Wohnungen suchen. Ein Ergebnis unserer Gespräche mit fünf großen Immobilienunternehmen ist: Viele sind in der Lage, die Hälfte des Kaufpreises für eine Eigentumswohnung auf den Tisch zu legen. Es gibt also viel Vermögen, das in Betongold angelegt werden soll. Auch das treibt den Prozess der Gentrifizierung an.

Also hilft unterm Strich nur Bauen?

Ja. Aber es müssen bezahlbare Wohnungen sein. Die Stadt muss in massiver Weise sozialen Wohnungsbau betreiben. Außerdem lässt sich sagen: Es hilft, auf genossenschaftlichen Wohnungsbau zu setzen. Er hält den Gentrifizierungs-Prozess auf.

Die Stadt setzt beim Neubau auf das so genannte kooperative Baulandmodell: 30 Prozent der neuen Wohnungen müssen im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus errichtet werden. Gibt es wissenschaftliche Erkenntnisse darüber, wie und wo man am besten mischt: Im Haus oder im Stadtteil?

Ob man im Haus mischen kann, ist in der Forschung umstritten. Die Forschung empfiehlt das „Pepperspotting“. Wie Pfefferkörner verteilt man den sozialen Wohnungsbau in der Straße. Man kann kleinteilig mischen. Aber ganz wichtig ist, dass man den Wohnungen von außen nicht ansehen sollte, wie arm oder wohlhabend ihre Bewohner sind.

Kann man auch Menschen zur Aufwertung in benachteiligten Stadtteile mit weniger attraktiver Bausubstanz locken?

Es gibt Erfahrungen aus England, Holland und den USA, wo man versucht hat, die Mittelschicht in benachteiligte Gebiete reinzubringen. Dazu hat man alte Bausubstanz abgerissen und stattdessen hochwertige neue Wohnungen gebaut. Das zweite Weg ist der, aus Mietern Eigentümer zu machen. In beiden Fällen geht man davon aus, dass sich Wohnungseigentümer mehr um das Viertel und ihre Umgebung kümmern. Bescheidener fällt der Erfolg aus, wenn man das Ziel hatte, so das Miteinander der sozialen Gruppen zu fördern.

Die Hauseigentümer haben eine besondere Verantwortung für die Stadtentwicklung. Bei manchen scheint die Aussicht auf Gewinn wichtiger als die Entwicklung des gesamten Viertels – ein Dilemma, das auch zu unerwünschten Entwicklungen in den Einkaufsstraßen führt.

Die Vielfalt ist ein kollektives Gut, von dem alle etwas haben. Man könnte eine Galerie oder Einkaufspassage als Vorbild nehmen: Der Betreiber ist an einem vielfältigen Angebot interessiert, weil er so Besucher anlockt. Deshalb stellt er einen Branchenmix zusammen. Es gibt es eine gestaffelte Miete, die sich an den Verdienstmöglichkeiten der jeweiligen Ladenbetreiber orientiert. Diese Idee wollten wir mal auf die Erdgeschosse einer Straße übertragen. Doch das scheiterte hoffnungslos am Gewinnstreben der Hausbesitzer. Man müsste einen Fond schaffen, in den alle einzahlen, um Hausbesitzer zu entschädigen, wenn sie an weniger Zahlungskräftige vermieten. Das ist eine reizvolle Idee.

Haben Sie einen Rat an die Stadt?

Die Stadt muss rascher handeln. Das ist das Allerwichtigste. Außerdem wünsche ich mir eine viel engere Zusammenarbeit zwischen der Stadt und ihren Hochschulen. Wir müssen zum Beispiel Bachelor-Arbeiten vergeben, die dann vier Monate später fertig sind. Diese Ressource könnte die Stadt vielmehr nutzen.

Das Gespräch führte Helmut Frangenberg