Köln – Bezirksbürgermeister Andreas Hupke sprach mit Philipp Haaser über seine wichtigsten Themen im alten und neuen Jahr.
Herr Hupke, was waren die drei wichtigsten Themen für Sie im Jahr 2016?
Die Förderung des Radverkehrs, die Silvester-Übergriffe und die politische Rolle der Bezirke.
Wie haben Sie die Silvesternacht 2015/2016 erlebt?
Das war ein Schock. Wir als Bezirksvertreter hatten uns schon länger über die Situation in der Domumgebung beklagt. Wir haben 2014 den damaligen Polizeipräsidenten Wolfgang Albers zur Kriminalität rund um den Dom befragt. Stadtführer sind nämlich zu mir gekommen und haben gesagt, sie könnten nicht mehr überall hin, aus Angst vor Diebstählen und Übergriffen.
Das Fass zum Überlaufen gebracht hat eine Situation, als ich mit Gästen aus ganz Deutschland einen Stadtspaziergang machen wollte und wir oberhalb der Philharmonie, vor dem Mahnmal Ma'alot bedrängt wurden. Mit einer enormen Aggressivität.
Von wem?
Von Nordafrikanern, die da mit Drogen gehandelt haben. Wir sollten „Stoff“ kaufen. Die waren selber total zugedröhnt. Das waren alles Alarmsignale für das, was an Silvester kommen sollte. Dass die Ereignisse dann solch eine Wucht entfachten, das habe ich mir aber nicht vorstellen können. Hinterher war mir klar, dass das die Republik verändern wird, die Einstellung gegenüber Menschen, die geflüchtet sind und bei uns Asyl suchen.
Wie haben Sie als Bezirksbürgermeister reagiert?
Es hat gedauert, bis ich rational reagieren konnte. Ich war zunächst zwei, drei Tage lang unendlich traurig und geschockt. Dann folgte Wut auf die Täter und die Kampfansage: Das darf nie wieder vorkommen. Und dieses Jahr haben wir ja ein strategisch hervorragendes und sensibles Vorgehen der Polizei gesehen. Auch durch die Aussagen des früheren Polizeipräsidenten ist mir aber klar, dass die Kriminalität in der Innenstadt mit polizeilichen Mitteln allein nicht zu bekämpfen ist. Das Geschehen ist nur verdrängt.
Kriegen das die Menschen in den Veedeln tatsächlich mit?
Ja, ganz klar am Ebertplatz zum Beispiel. Da haben manche Angst, dass die Situation kippt.
Was können Sie als Bezirkspolitiker denn ausrichten, bei einer Thematik, die so weit über die Innenstadt hinaus reicht?
Wir können Vorschläge machen. Wir brauchen beispielsweise Polizisten, die mit Streetworkern und sozialen Einrichtungen zusammenarbeiten. Ein schlüssiges Drogenkonzept für die Innenstadt würde helfen. Und wir können den Druck weitergeben, der von unten kommt, auch über die Öffentlichkeit.
Ist das effektiver als die Beschlüsse der Bezirksvertretung?
Ja. Nur dadurch werden wir respektiert.
Ist das denn notwendig? Der Rat hat die Innenstadt doch auch im Blick.
In unserem Bezirk ist einiges als gesamtstädtisch wichtig definiert, was die Menschen, die hier leben, ganz stark betrifft. Viele Entscheidungsträger im Rat und in der Verwaltung leben dagegen nicht in der Innenstadt. Andere Themen, wie etwa das Planungsrecht, müssen sicher Aufgabe des Rates bleiben.
Wo machen Sie da den Unterschied?
Die Rheinuferstraße, die großen Brücken, die Nordsüdfahrt etwa sind klar gesamtstädtisch wichtig. Über Parkregelungen können wir alleine entscheiden. Die Verkehrsregelung in vielen Straßen ist eigentlich Sache des Bezirks. Auch die Stadtordnung betrifft zu 80 Prozent die Innenstadt. Darüber hinaus sind ganz viele Schulen und alle Sportplätze glasklar bezirkliche Aufgaben. Wenn die Bezirke mehr Kompetenzen bekämen, gäbe es weniger Arbeit für den Rat und seine Ausschüsse.
„Sitzplätze statt Parkplätze“ - Öffentlichen Raum stärker nutzen
Der Rat hat ein Radverkehrskonzept für die Innenstadt beschlossen. Freuen Sie sich darüber?
Ich weiß, dass das nicht bei jedem auf Gegenliebe stößt. Ich glaube aber, dass es unersetzlich ist, weil es sonst keinen Frieden auf den Straßen gibt. Der Radverkehr wird langfristig ein Drittel des Verkehrsaufkommens ausmachen. Ich wünsche mir, dass der öffentliche Raum dadurch stärker genutzt werden kann. Sitzplätze statt Parkplätze! Mehr Platz auch für unsere Besucher. Die Via Culturalis, die archäologische Zone und die historische Mitte sind deshalb wichtig.
Wird sich das Leben in der Innenstadt dadurch verbessern?
Ich glaube, dass wir schneller vorankommen und eine lebenswerte Innenstadt haben können. Da muss man einfach hoffnungsvoll sein. So wie bisher wird es auf jeden Fall nicht weitergehen. Die Leute wollen den Schleichverkehr in ihren Vierteln nicht mehr dulden und fordern noch viel mehr verkehrsberuhigte Zonen. Wir brauchen Mut. Mein Traum ist eine Innenstadt zum Wohlfühlen. Das kommt auch dem Einzelhandel zugute.
Hat sich denn etwas konkret verändert im vergangenen Jahr?
Die Akzeptanz ist gestiegen. Inzwischen redet jeder von E-Mobilität. Vor ein paar Jahren ist man dafür noch als grüner Spinner beschimpft worden. Das Feinstaubproblem ist allerdings beschämend.
Welche Probleme sehen Sie in den Veedeln der Innenstadt?
In der Altstadt ufern Außengastronomie und Sauftourismus aus. Auch aggressives Betteln ist ein Problem. Da fordern die Bürger eine klare Handschrift von der Verwaltung. Auch in der Altstadt muss man sich an Regeln halten. Im Kwartier Latäng braucht es eine Diskussion über die Werte des Karnevals, seine kulturellen Wurzeln. So wie am 11.11. kann es da nicht weitergehen. Es gibt immer mehr Beschwerden über die Dauerbeschallung und die maßlose Trinkerei. Wir müssen mal sehen, wie es an Weiberfastnacht wird.
Was haben Sie noch vor im neuen Jahr?
Wir haben ein paar Beschlüsse in der Schublade. Den Maternuskirchplatz in der Südstadt wollen wir zum Beispiel neu gestalten. Und wir wollen die Investoren stärker in die Pflicht nehmen wie etwa bei Bauvorhaben in der Südstadt. In der Innenstadt herrscht eine regelrechte Goldgräberstimmung.
Ist das nicht auch eine Chance?
Ja, ganz klar. Ich habe ja eigentlich ein Faible für morbiden Charme. Der Rudolfplatz war in den vergangenen Jahren aber selbst mir zu morbide. Dass der neu gestaltet wird, ist für die Innenstadt gut. Was wir brauchen, ist ein Masterplan Grün. Dächer, Fassaden müssen begrünt werden. Und ganz wichtig: Von mehr als 200 gefällten Bäumen wurde kein einziger im Bezirk nachgepflanzt. Die Innenstadt ist fünf Grad heißer als die Vorstädte. Und es leben noch ganz viele alte Menschen hier, für die das ein Problem ist.
Fürchten Sie eine Verdrängung von alteingesessenen Bewohnern?
Wir warten sehnlichst auf die neuen Wohngebiete am Deutzer Hafen. Wir müssen aber auch die früheren Sanierungsgebiete rund um die alte Stollwerckfabrik oder am Eigelstein betrachten. Die auslaufenden Mietpreisbindungen sind Zeitbomben. Wir können in der Innenstadt von den verfügbaren Flächen her einfach nicht genug billige Wohnungen bauen, um die Gentrifizierung zu stoppen.
Was ist zu tun?
Der Rat muss alles unternehmen, was in seiner Macht steht. Hilfreich wäre jede Satzung, die dazu dient, dem enormen Druck der Gentrifizierung etwas entgegen zu setzen. Es wird auch mehr Personal benötigt, um die Zweckentfremdung von Wohnungen zu kontrollieren. Die Boarding Houses dürfen nicht ausufern. Es ist schön, dass die Innenstadt so stark bewohnt und keine Bürostadt ist. Das war ja auch mal früher politisch so gewollt. Sie muss aber unbedingt heterogen bleiben.
Zur Person
Andreas Hupke wurde am 12. Januar 1950 als sechstes von acht Kindern in Monschau geboren. 1973 zog er nach Köln, um hier sein Abitur am Köln-Kolleg nachzuholen. Er ist gelernter Bühnenfacharbeiter und vertritt das Kulturdezernat als Personalratsvorsitzender. Seit 1974 lebt er in der Kölner Innenstadt. Seine Politisierung begann mit dem Widerstand gegen den Bau der Stadtautobahn und deren geplanten Verlauf durch den Inneren Grüngürtel. Seit 1999 ist Hupke in der Bezirksvertretung Innenstadt, davon nun fast zehn Jahre als Bezirksbürgermeister. (kaz)
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