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Kommentar

Mülheimer Brücke
Hilferuf aus einem abgeschnittenen Kölner Stadtteil

Ein Kommentar von
Lesezeit 4 Minuten
Großbaustelle Mülheimer Brücke: Wegen Sanierungsarbeiten können nur eine Spur an Autos sowie Radfahrer und Fußgänger hier den Rhein überqueren.

Großbaustelle Mülheimer Brücke: Wegen Sanierungsarbeiten drücken sich Autos, Radfahrer und Fußgänger in je einer Spur über den Rhein.

Im November hätte die Mülheimer Brücke wieder für die KVB freigegeben werden sollen. Wurde sie aber nicht. Ein Frustausbruch.

Viele Kölner würden sagen, der schönste morgendliche Anblick von der Mülheimer Brücke sind die Domspitzen, die aus dem frühen Nebel herausragen. Aber ich bin zugezogen und erlaube mir andere Prioritäten: Deshalb wandert mein Blick täglich hoffnungsvoll zur Baustelle. Jeden Morgen, wenn ich mein Fahrrad die Steigung der Brücke hoch zwinge, starre ich auf die Gerüste um die Pfeiler, jeden Morgen freue ich mich über neue Gleise, die zurück auf den Brückenboden geschraubt werden. Jeden Morgen versuche ich, mit einem Lächeln an den Arbeitern vorbeizustrampeln. Denn dank ihnen würde ich doch bald wieder aus dem Fenster der Linie 13 heraus auf den Dom blicken. Jeden Morgen ein bisschen Vorfreude auf jenen Tag im November, an dem ich wieder in die Bahn springe anstatt aufs Rad im Innenhof. Ich hasse Fahrradfahren. Vor allem morgens.

Es sind meine Kollegen, die diesen Traum zerplatzen lassen wie einen porösen Fahrradschlauch. Feierabend, wir sitzen gemeinsam in einer Bahn Richtung Ehrenfeld, ich erzähle von den Gleisen und von dem Tag im November. Bahnsteig statt Innenhof! Mitleidiges Kopfschütteln. Wissendes Blicketauschen. Da hat die Kollegin wohl die eigene Zeitung nicht gelesen. „Die Nachricht hatten wir schon im September, hast du das nicht gesehen? Die Brücke wird frühestens Ende März freigegeben.“

Mülheimer Brücke wird im Winter noch mehr zur Unfallgefahr

Zugegeben: Die Vorfreude war naiv. Kölner Großbaustellen sind schließlich nicht für ihre pünktliche Fertigstellung bekannt. Doch an irgendetwas muss man sich doch klammern, wenn Mülheim sich noch nie so isoliert, so rechtsrheinisch, so abgetrennt von dem pulsierenden Stadtleben angefühlt hat. Bei „Lass uns doch heute Abend in Ehrenfeld treffen“-Fragen schlage ich immer öfter die Südstadt vor. Denn auch wenn ich Ehrenfeld lieber mag: In die Südstadt komme ich mit den Linien 3 und 4 schneller.

Im Frühjahr, eine Woche nachdem ich murrend das alte Fahrrad meiner Schwester in den Zug nach Köln gehievt hatte, stand ich eines Morgens durchnässt und mit verschmiertem Make-up vor unserer Redaktionsassistentin, fragte nach einem Föhn und dachte: Immerhin passiert mir das im Winter nicht. Wenn die richtig kalten Platzregen kommen, fährt die Bahn ja wieder. Denn nur eine Sache meide ich noch sorgfältiger als Fahrradfahren: Regenhosen.

Dieser gefürchtete Winter steht nun bevor, und wir Mülheimer mit Arbeitsplatz im Linksrheinischen werden bei Hagel, Glätte, Dunkelheit und Kälte in keine Bahn flüchten können. Stattdessen hat sich der Weg über den Wiener Platz, für Fahrradfahrer eh schon ein logistischer Fiebertraum, ebenfalls in eine Baustelle verwandelt. Mit dem Wintereinbruch wird wohl der enge Teerweg über die Mülheimer Brücke, den sich Radfahrer und Fußgänger teilen müssen und der von Auffahrten mit einer faszinierenden Dichte an Schlaglöchern flankiert wird, zum Sammelort für Beinahe- und tatsächliche Unfälle. Wenn ich das Radeln im Sommer schon verabscheut habe, dann werde ich im Winter dem Drang widerstehen müssen, das verfluchte Ding einfach in den Rhein zu schmeißen.

Licht am Ende der Brücke

Natürlich gibt es andere Lösungen. Möglichkeit A: Ein Moped kaufen, dann ist wenigstens die Strampelei Geschichte. Ich erzählte meiner Mutter am Telefon von dieser Idee, die erstmals seit vielen Jahren ihrer erwachsenen Tochter ein Verbot aussprach. Möglichkeit B: Ein Auto kaufen, mich durch den Berufsverkehr der Zoobrücke quälen und abends in Mülheim auf Parkplatzsuche gehen. Kaum attraktiv. Möglichkeit C: Früher aufstehen, die S-Bahn zum Hauptbahnhof nehmen, von dort mit der 16 weiter nach Niehl. Ein schmerzhaftes Zeitinvest. Möglichkeit D: Früher aufstehen, den Ersatzbus 118 nehmen und eine Odyssee über die Zoobrücke antreten. Ein Brückentrauma droht.

Wegen der schlechten Alternativen bleibe ich erstmal bei mehr Schlaf und hinterlege Wechselsachen im Büro. Und spätestens ab Februar dürfte die naive Vorfreude zurückkommen. Wenn ich morgens sehe, wie Bauarbeiter die Schienen auf den Brückenboden schrauben, wenn Gerüste abgebaut werden, wenn ich wieder versuche, mit einem dankbaren Lächeln an den Bauarbeitern vorbeizuradeln, weil ich bald wieder morgens aus dem Fenster der 13 auf den Dom blicken kann.