Köln/Leichlingen/Stolberg – „Stolberg sagt von Herzen ein riesengroßes Dankeschön für die kameradschaftliche und professionelle Hilfe.“ Wenn Christiane Hoffrath das bei Facebook liest, freut sie sich. „Ja, die Stolberger waren toll. Die haben sich rührend um uns gekümmert und sich dafür bedankt, dass wir da sind und mit anpacken“ – um das Gedächtnis der Stadt Stolberg zu retten.
Selbsthilfeorganisation gegründet
Christiane Hoffrath, im normalen Leben Leiterin des Dezernats „Historische Bestände und Sammlungen, Bestandserhaltung und Digitalisierung“ der Kölner Universitätsbibliothek, ist im Katastrophenfall auch die Vorsitzende des Kölner Notfallverbundes. Das ist eine Selbsthilfeorganisation der Kölner Archive und Bibliotheken, gegründet als Konsequenz des Kölner Archiveinsturzes.
Eigentlich soll sie vom Schreibtisch aus koordinieren, wer wann wo als Helfer im Katastrophengebiet zum Einsatz kommt, aber seit zwei Wochen ist sie doch auch gemeinsam mit Kollegen und Helfern mit im tatkräftigen Einsatz, um aus einem Gemisch von Schlamm, Fäkalien und Öl historische Akten, wertvolle Dokumente und Fotos in den von der Flutkatastrophe heimgesuchten Städten Stolberg und Leichlingen zu waschen, einzuschweißen und einzufrieren.
„Sehr viel schlimmer als das Archiv-Desaster in Köln“
Nach einer Woche in Stolberg ist sie nun in Leichlingen. Dort steht seit 14 Tagen das Stadtarchiv im Keller des Rathauses in einer undefinierbaren Brühe. Vor Ort ist der Leichlinger Archivar heilfroh, dass Kollegen aus Köln, Münster und Brauweiler mit anpacken. Bettina Rütten vom Archivberatungs- und Fortbildungszentrum des Landschaftsverbandes Rheinland in Brauweiler, ebenfalls mit ihrem Team von Archivaren seit zwei Wochen im Einsatz, fasst ihren Eindruck von den Archivzerstörungen so zusammen: „Es ist sehr viel schlimmer als das Archiv-Desaster in Köln. Es ist eine Katastrophe von noch gar nicht absehbarem Ausmaß.“
In Stolberg kam zum ersten Mal der Kölner Notfallcontainer für Kulturgutschutz zum Einsatz. Angeschafft wurde er erst im vergangenen Jahr, maßgeblich finanziert durch Bundesmittel. Der Container, der von der Kölner Feuerwehr nach Stolberg gefahren wurde, enthält Wasch- und Verpackungsstationen. Die Feuerwehr legte einen Wasseranschluss, THW und Bundeswehr bargen die Archivalien, die Archiv-Mitarbeiter und ihre freiwilligen Helfer übernahmen die erste Reinigung vor allem der Pläne der Stadt Stolberg.
In der Reinigungsstraße des Containers werden die Dokumente abgeduscht und vom gröbsten Schmutz befreit, dann in Plastik einschweißt, damit sie eingefroren und dadurch der Schimmelprozess gestoppt werden kann. So kamen 500 Paletten verschmutztes Archivgut in ein Kühlhaus nach Troisdorf. Am Sonntag ging der Container zurück zur Reinigung nach Köln. „Er hat sich sehr bewährt“, bilanziert Christiane Hoffrath.
Räume standen bis zur Decke unter Wasser
Nun sind die Archivare und ihre Helfer in einem Leichlinger Schulgebäude tätig. „Da war nichts außer vier kleinen Tischen, einem Wasserhahn im Keller und viel schlechter Luft“, sagt Hoffrath. Aber die Feuerwehr legte über einen Hydranten Wasseranschlüsse, in Zelten und auf Biertischen steht jetzt eine Reinigungsstraße mit zehn Stationen. Die Archivalien sind bereits stark mit Schimmel kontaminiert. Auch hier dieselbe Prozedur: Abduschen, einschweißen, einfrieren. An jeder Station arbeiten drei Helfer. „Da kann man richtig was wegschaffen. Aber wir haben in Leichlingen bestimmt noch drei Wochen zu tun, es sei denn, es kommen jetzt viele Helfer. Viele Hände, schnelles Ende.“
In Bad Münstereifel stand der Archivraum bis zur Decke unter Wasser. So wie nach dem Archiv-einsturz in Köln sind auch dort alle historischen Dokumente der Stadt betroffen, ob Pergamenturkunden oder Fotoglasplatten. 150 Paletten Archivgut wurden eingefroren. Vieles wurde ins Erstrettungszentrum in der Abtei Brauweiler gebracht. In Bad Münstereifel war kein Platz, um Archivalien zum Trocknen auszulegen. „Wir organisieren derzeit Lagerflächen, auch die Flächen, die jetzt vom neuen Kölner Stadtarchiv geräumt werden“, sagt Bettina Rütten. „Ich kann mir nicht vorstellen, wie lange es dauern wird, all das wiederherzustellen. Noch haben wir keinen seriösen Überblick.“
Gar nicht zu reden von den Dokumenten, die Privathaushalte irgendwo in diesen riesigen Schlammmassen verloren haben. „Es wäre ein Zufall, wenn man in diesen ungeheuren Geröllmassen irgendetwas wiederfinden würde. Ich glaube, das ist alles verloren.“ Und doch melden sich Betroffene und bitten den Notfallverbund um Hilfe für ihre verschlammten Dokumente. Auch hier wird zum gleichen Vorgehen geraten: mit Leitungswasser abspülen, möglichst ausgebreitet trocknen und bei mindestens minus 18 Grad Celsius schockgefrieren. Eine für das Historische Archiv Köln beschaffte Vakuumgefriertrocknungsanlage stehe für Notfälle zur Verfügung.