„Horror erlebt”Wie ein Kölner Tanzsportverein geflohenen ukrainischen Tänzern hilft
Köln – Die Bewegungen fließen, überall Eleganz. Wenn Sasha und Yana (beide 16) zusammen tanzen, scheint es, als könnten sie die Welt um sich herum ausblenden. Derzeit gibt es eine Menge auszublenden. Beide sind vor sieben Wochen aus der ostukrainischen Metropole Charkiv nach Köln geflohen und müssen sich zumindest für einige Zeit in Deutschland ein neues Leben aufbauen. Dass sie ihre Passion, den Tanz, im Bocklemünder Tanzsportverein Art of Dance ausleben können, hilft über vieles hinweg.
Nachdem eine Bombe im Nachbarhaus explodierte, sagten die Eltern der beiden Tänzer, dass sie so schnell wie möglich das Land verlassen müssten. Sasha und Yana, beide ukrainische Meister der Junioren im Standardtanz, nahmen ihre Smartphones, etwas Geld und einen Rucksack und flohen. In Köln sind sie mittlerweile privat untergekommen, telefonieren jeden Tag mit ihrer Familie. „Mit Tanzen können wir sie zumindest etwas ablenken“, sagt die Sportliche Leiterin des Tanzsportvereins Art of Dance, Alla Basterd-Tkachenko.
Basterd-Tkachenko ist gebürtige Russin, war russische und deutsche Meisterin im Tanzen (Standard und Latein) und hat in der Ukraine und Russland unterrichtet. Seit 1994 lebt sie in Deutschland, hat aber weiterhin viele Kontakte nach Russland und in die Ukraine. Das gilt auch für Geschäftsführer Dirk Basterd, ebenfalls deutscher und russischer Meister, der in beiden Ländern als Wertungsrichter gearbeitet hat. Nachdem am 24. Februar Russland die Ukraine angegriffen hat und Millionen Menschen fliehen mussten, haben sich zahlreiche Tänzer bei den Basterds über Facebook und Instagram gemeldet.
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Um 57 Kinder und Jugendliche und deren Familien kümmern sich die Basterds mittlerweile. Sie haben die Tänzer und Familien vom Bahnhof abgeholt, sorgten für Unterkünfte, übersetzten Briefe, begleiteten die Geflüchteten zu Behörden und sammelten Geld für Trainingsschuhe und -kleidung. „Ich bin seit Wochen nur am Telefon“, sagt Basterd-Tkachenko. „Ich habe kaum noch geschlafen.“
Tanzen als Thearpie
In einer Schule im Görlinger-Zentrum, in der Art of Dance die Turnhallen für den Unterricht nutzt, können die Kinder und Jugendlichen an sechs Tagen in der Woche kostenlos tanzen. Die Basterds unterrichten und haben für weitere Trainer und Trainerinnen gesorgt, die die Tänzer in ukrainischer und russischer Sprache anleiten können. Manche der Profi-Trainer sind selbst geflohen und kommen sogar aus Berlin nach Köln. Die hochrangige Unterstützung ist notwendig, denn viele der jugendlichen Tänzer betreiben ihren Sport auf hohem Niveau, sind in ihren Altersklassen zum Teil Landes-, Europa- oder Weltmeister und fahren zu internationalen Turnieren etwa nach Großbritannien oder Paris.
Der Sport wirkt als Therapie. „Durch den Tanz kommen die Kinder vom Horror weg, den sie in der Ukraine erlebt haben“, sagt Basterd-Tkachenko. „Die haben gesehen, wie rechts und links um sie herum geschossen wurde.“ Das sieht auch Dirk Basterd ähnlich. „Wir spüren und sehen, dass von den Kindern eine Spannung abfällt, sie nahezu in eine andere Realität eintauchen“, sagt er. „Sie lachen wieder in der Zeit im Studio, Freundschaften sind schon entstanden. Unter den Ukrainern, allerdings auch mit den deutschen und sogar mit russischen Tänzern.“
Wohnprojekt geplant
Die Basterds machen sich auch Gedanken über die Wohnsituation der Geflüchteten. Viele leben in Köln, andere kommen aus Bielefeld oder Wuppertal zum Training. Die meisten der Flüchtlinge sind privat untergekommen, es sei aber absehbar, dass viele hilfsbereite Kölner die Flüchtlinge nicht auf Dauer beherbergen können. Daher träumen sie von einem Wohnprojekt, in dem zumindest ein guter Teil der Tänzer leben kann. Gespräche mit der Stadt oder einzelnen Politikern seien bereits geführt worden, so Dirk Basterd.
„Es wäre eine Community, die sicherlich der Stadt Köln Vorteile bringen könnte“, sagt Basterd. „Die Integration würde erleichtert werden, Probleme würden nicht nur vermindert, sondern wahrscheinlich sogar vermieden werden.“ So könnten sich die Familien etwa untereinander bei der Betreuung der Kinder aushelfen. Zudem werde ein Bus benötigt, um die Turniertänzer zu den Veranstaltungen zu fahren.
In Ingolstadt haben Basterd-Tkachenko und einige der Tänzer nun ein Video aufgenommen, mit dem sie gegen den Krieg in der Ukraine protestieren. Basterd-Tkachenko hat eine Sängerin für das Projekt gefunden, den Text gestaltet, danach Tonaufnahmen erstellen lassen und die Choreografie erstellt. Das Projekt wurde in einem Studio von einem professionellen Kamerateam innerhalb von fünf Tagen gedreht, 50 Stunden Material sind dabei entstanden.