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Interview mit dem Ex-Wirt vom „Backes“„Bei uns gab es bis morgens um sechs Bier“

Lesezeit 5 Minuten

Wenn einer den Ehren-Titel „Südstadt-Legende“ verdient hat, dann ist es Franz Kirchen (65). Von wenigen Ausnahmen abgesehen hat er sein ganzes Leben rund um den Chlodwigplatz verbracht.

Kirchen machte den „Backes“ zur Kult-Kneipe. Er engagiert sich gegen Rechtsextremismus und Neo-Faschismus. Wir trafen uns mit ihm auf der Dachterrasse seines Hauses in der Merowingerstraße, also im Herzen der Südstadt.

Herr Kirchen, wie schafft man es als Wirt, Besitzer zweier Stadthäuser in der Südstadt zu werden?

Als es 1989 nach sechs Jahren langsam losging, dass das „Backes“ Geld abwarf, suchte ich nach Möglichkeiten zu investieren und habe das Haus hier und später noch ein anderes gekauft. Damals ging das noch, aber natürlich nicht ohne Finanzierung der Bank. Mein Freund, der Autor und Musiker Rich Schwab, meinte zwar: „Fängst du jetzt auch so an.“ Aber was sollte ich machen? Ich kann auch nicht zehnmal im Jahr in Urlaub fahren oder jeden Tag ein Filetsteak essen. Außerdem musste ich an meine Zukunft und die meines Sohnes Philipp denken.

Wieso war und ist das „Backes“ so erfolgreich? Die Kneipe liegt ja etwas versteckt in der Darmstädter Straße.

Das habe ich vielen Leuten zu verdanken, wobei Elke Heidenreich, Wilfried Schmickler, die Band The Piano Has Been Drinking mit Gerd Köster, Gaby Köster und alle Musiker und Roadies von BAP eine große Rolle gespielt haben. Die haben richtig die Werbetrommel gerührt. Wir waren so eine Art Flüsterkneipe, weil es bei uns bis morgens um 6 Uhr Bier gab.

Und das ohne Probleme mit dem Ordnungsamt oder der Polizei?

Einmal sagte ein älterer Polizist: „Jung, mach den Lärm leiser, sonst möte mer dä Lade zomache.“ Und dann ist er wieder gegangen.

Wie haben Sie es geschafft, Nacht für Nacht hinterm Tresen zu stehen?

Das muss man wollen. Ich habe gerne Kontakt mit Menschen. Ich bin gelernter Einzelhandelskaufmann und ging noch bei Cornelius Stüssgen in die Lehre. Nach der Arbeit gingen wir öfter ins „Canapé“ im Perlengraben, meine erste Stammkneipe. Das muss so 1971 gewesen sein. Dort stand Harald Müller hinter der Theke. Er zapfte Kölsch, redete mit allen, legte gute Musik auf, stand im Mittelpunkt. Da dachte ich mir: Geil, das will ich auch haben, was kann es Schöneres geben?! Es sollte dann aber noch zwölf Jahre dauern, ehe es so weit war.

Wie verhindert man, dass man als Wirt sein bester Kunde wird?

Ich habe immer nur Kölsch getrunken, selten mal einen Schnaps. Wenn ich mich mit kreativen Leuten unterhielt, zum Beispiel mit Wilfried Schmickler oder „Schmal“ Boecker, dann war das Bier eigentlich immer dabei. Bei solchen Gesprächen habe ich manchmal mehr gelernt als in der Schule. Mit Wasser geht das nicht, nein, da gehören ein, zwei Kölsch dazu – oder auch mehr.

Und wenn’s Konflikte mit den Gästen gab?

Dann habe ich von meiner Erfahrung profitiert. Denn ich habe ab 1979 eineinhalb Jahre in dem Lokal „Wallschänke“ in der Weidengasse gearbeitet. Zu den Gästen gehörten Nutten und Zuhälter. Was da passiert ist, das lernt man fürs Leben. Lukrativ war’s auf jeden Fall: In dem Job habe ich damals mit 25 Jahren inklusive Trinkgeld 3000 Mark verdient.

2011 haben Sie, der Überzeugungs-Kneipier, das „Backes“ Ihrer Ex-Frau und Ihrem Sohn Philipp übergeben.

Und das war gut so. Privat stimmte einiges nicht mehr, dann starb meine Mutter und eineinhalb Jahre später mein Vater. Das waren Gründe genug, und ich finde es auch im Nachhinein richtig, denn ich habe nichts vermisst. Ich habe den Beruf des Wirts so intensiv ausgeübt, das war einfach genug.

Zieht es Sie ab und zu ins „Backes“ zurück?

Ich bin Stammgast. Beim letzten Karneval fragte mich mein Sohn, ob ich mal als DJ auflegen könne. Das habe ich dann ernstgenommen. Ich habe mir drei Monate vorher Gedanken gemacht, wie und was ich auflege.

Apropos DJ und kölsche Musik. Was sind Ihre Vorlieben?

Gerd Köster ist für mich der Größte, Tommy Engel ist die Stimme Kölns, beide laufen für mich parallel. Und natürlich LSE: So ein Album wie „Für et Hätz und jäjen d’r Kopp“ haben selbst die Bläck Fööss nicht geschafft. Die neuen Bands spielen schon ziemlich gut, aber mehr Partymusik als Karnevalsmucke. Außerdem sollten sie noch ein wenig besseres Kölsch lernen.

Gibt es das besondere Südstadt-Feeling?

Die Merowingerstraße ist die kölscheste Straße überhaupt, und ich bin stolz, hier leben und wohnen zu dürfen. Ich vermisse nichts. Man kann in der Südstadt italienisch, türkisch, chinesisch oder französisch essen. Es gibt eine Menge Kneipen und schöne Weinläden. Ich muss mich bloß beim Merzenich am Chlodwigplatz hinsetzen, hier schlägt der Puls der Südstadt, und die Leute beobachten – da brauche ich keinen Urlaub.

Was tun Sie für Ihre Fitness?

Ich mache seit gut 45 Jahren Sport, früher Kampfsport, heute im wesentlichen Fitness. Ich habe früh gelernt, mich auf mich selbst verlassen zu müssen. Wie alle mussten meine Eltern und Großeltern nach dem Krieg von vorne anfangen. Wir waren arm und lebten in den wenigen Steinhäusern zwischen bewohnten Baracken und zwei alten Luftschutzbunkern auf dem Mathiaskirchplatz. Das war schon eine Welt für sich. Meine Urgroßeltern hatten dort eine kleine Kohlenhandlung und mein Opa, übrigens Vater von zehn Kindern, einen kleinen Obstladen auf der Bonner Straße. Der größte Teil der Familien, die dort lebten, arbeitete in der Großmarkthalle.

In welche Kneipe geht der Ex-Südstadt-Wirt am liebsten?

Gerne zu meinem Cousin „Pitter“ auf der Merowingerstraße, zur „Wettannahme“ in der Alteburger Straße, schön finde ich es im „Invalidendom“, also dem „Früh im Veedel“ und natürlich – Bloot es decker als Wasser – im „Backes“. Aber eigentlich kann man in der Südstadt überall gut einkehren.