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Interview mit Peter Jungen„Regeln einzuhalten, galt als kleinkariert“

Lesezeit 7 Minuten
Peter Jung

Peter Jungen

KölnHerr Jungen, nach der Sommerpause nimmt die Diskussion über die „Stadtwerke-Affäre“ wieder Fahrt auf. Wie sehen Sie den Fall nach gegenwärtigem Stand?

Als Kulmination einer über Jahrzehnte hinweg gelaufenen Fehlentwicklung. Ich war ab Ende der 90er Jahre auf Bitten des damaligen OB Harry Blum selber fünf Jahre lang Mitglied im Aufsichtsrat der Stadtwerke-Holding. In den städtischen Beteiligungsgesellschaften wurden die Geschäftsführer so gut wie immer auf Parteiticket bestellt.

Dreimal habe ich eine Stellenbesetzung verhindert, bei der in abenteuerlicher Weise gegen alle nur denkbaren Regeln verstoßen wurde – mit dem einzigen Ziel, die geplante Personalie durchzubringen: „Wir haben das so verabredet, so machen wir das jetzt“. Und mir wurde gesagt, ich solle mich doch nicht so anstellen. Sich an Regeln zu halten, galt als kleinkariertes Herumreiten auf „Formalkram“.

Das war und ist ein Missstand, der mit „Governance“ – dem Regelwerk guter Unternehmensführung – unvereinbar ist.

Ein spezifisches Kölner Problem?

Ich glaube, nein. Es ergibt sich vielmehr fast zwangsläufig aus der Tatsache, dass Ratsmitglieder durch ihr Mandat plötzlich Zugriff auf einflussreiche, lukrative Posten haben, an die sie sonst nicht gekommen wären. Und machen wir uns nichts vor: Leitungsämter in städtischen Gesellschaften sind Machtinstrumente.

Das ist demnach ein strukturelles Problem?

Das Ganze ging ja noch weiter. So wurden beispielsweise in den städtischen Gesellschaften die Betriebsratsvorsitzenden regelmäßig zu Arbeitsdirektoren ernannt.

Was denken Sie: Wie verhält sich wohl ein neuer Arbeitnehmer-Vertreter in den Gremien, im Wissen darum, dass alle seine Vorgänger es über kurz oder lang auf solch einen gut dotierten Posten geschafft haben? Höchstwahrscheinlich wird er vorauseilend systemkonform agieren.

Ich will gar kein gesetzwidriges Verhalten unterstellen. Aber für die meisten Entscheidungen in Kontrollgremien von Unternehmen gibt es einen Ermessensspielraum. Und den kann man eben so oder so nutzen... Ein ähnlich krasses Beispiel ist die Vergabe von anwaltlichen Mandaten.

Eigentlich gilt die Regel: Wer als Anwalt im Aufsichtsrat eines Unternehmens sitzt, darf für dieses Unternehmen Mandate nur mit Zustimmung des Aufsichtsrats in jedem einzelnen Fall übernehmen. Wie hat man in Köln reagiert? Man hat eine Über-Kreuz-Regelung getroffen: Anwalt X, der – sagen wir – bei der KVB im Aufsichtsrat saß, bekam die arbeitsrechtlichen Mandate der GEW, und umgekehrt.

Ist das heute auch noch so?

Das weiß ich nicht. Ich will auch nicht darauf hinaus, dass solche Mandate generell ausgeschlossen sein müssten. Niemand kann ein „kaltes Berufsverbot“ für Kommunalpolitiker wollen.

Entscheidend ist aber, dass sämtliche Entscheidungen transparent gemacht werden. Geschieht das nicht, ist das schon ein Indiz dafür, dass die Beteiligten sehr genau um die Anrüchigkeit ihres Vorgehens wissen.

War der Fall Börschel für Sie nach all den eben geschilderten Erfahrungen also eine Art Déjà-vu für Sie?

In gewisser Weise schon. In Köln haben sich die beiden ehedem großen Parteien über die Jahrzehnte sehr pfleglich mit einem System eingerichtet, von dem Harry Blums Wort gilt, dass SPD und CDU sich die Stadt zur Beute gemacht hätten. Und das Schöne war, sie konnten immer sagen, „alles im Konsens, alles mit Mehrheit beschlossen“. Damit gab man diesem Treiben den Anschein der Legitimität.

Blum mit seinem Wahlkampf-Slogan, die Stadt den Bürgern zurückzugeben, war dann der erste, der dieses bequeme Arrangement aufzubrechen versucht hat.

Was hat sich seitdem verändert? Warum sind Börschel und seine Unterstützer mit ihrem geplanten Coup nicht mehr durchgekommen?

Das hat sicher mit der Ausdifferenzierung der Parteienlandschaft und einer gestiegenen Sensibilität der Bürgerschaft zu tun. Das stille Einvernehmen von früher funktioniert heute nicht mehr so.

Eigentlich gibt es ja feste Regeln für die Besetzung von Spitzenfunktionen in kommunalen Unternehmen. Unter anderem ist die Einschaltung externer Personalberater für die Kandidatenfindung vorgesehen. Ist das nur ein Feigenblatt?

Sie können das Prinzip der „Good Governance“ nicht outsourcen. Das muss bei den Beteiligten im Blut sein, sonst funktioniert es nicht. Personalberater sind schließlich auch keine Idealisten. Die wollen einen Auftrag und möglichst auch Folge-Aufträge. Also werden sie keine Kandidaten empfehlen, von denen sie wissen, dass sie nicht in die Agenda der Auftraggeber passen.

Inwiefern könnte der aktuelle Fall zu Veränderungen führen?

Wenn man bedenkt, was danach bei der gescheiterten Wahl von Oberbürgermeisterin Henriette Reker zur Aufsichtsratsvorsitzenden bei den Stadtwerken passiert ist, würde ich sagen: Hier ist ein marodes System auf die Spitze getrieben worden.

Es gibt Juristen, die die aktuelle Situation in Köln für verfassungswidrig halten, weil der oder die Aufsichtsratsvorsitzende eines Unternehmens gemäß Mitbestimmungsgesetz in der Regel von den Anteilseignern und nicht von der Arbeitnehmerseite zu stellen ist. Insofern wäre die Wahl von Harald Kraus ein Rechtsbruch.

Das scheint niemandem aufgefallen zu sein.

Genau das ist mir auch schleierhaft. Sie haben in den Gremien immer eine Kombination von Ahnungslosen, die guten Glaubens mitlaufen, und von sehr gewieften Leuten, die genau wissen, was sie tun.

Aber die Stadt hat ein Rechtsamt, und ich weiß überhaupt nicht, wie man die Frau Oberbürgermeisterin in dieses Desaster hineinlaufen lassen konnte. Offensichtlich hat der Stadtrat seinen Vertretern im Aufsichtsrat keine Weisung erteilt, die OB zur Vorsitzenden zu wählen. Das wäre aber sowohl möglich als auch nötig gewesen. Kommunale Aufsichtsratsmitglieder haben nämlich kein eigenständiges Mandat, sondern sind an die Weisungen der Mehrheit im Stadtrat gebunden.

Aber jetzt ist Kraus gewählt...

Durch ein Misstrauensvotum der Aufsichtsratsmehrheit, basierend auf einer Weisung durch den Stadtrat an die von ihm entsandten Vertreter, ließe sich das jederzeit revidieren.

Angeblich hält Martin Börschel an seinem Ziel fest, doch noch Geschäftsführer bei den Stadtwerken zu werden. Geben Sie dem eine Chance?

Ich kenne Herrn Börschels Pläne nicht. Der theoretisch denkbare Fall ließe sich verhindern, indem die Ratsmehrheit den städtischen Vertretern im Aufsichtsrat klarmacht: Wenn ihr das mitmacht, dann werdet ihr sofort abberufen.

Welche Konsequenzen sind Ihrer Meinung nach zu ziehen?

Der Schlüssel ist Transparenz. Meines Erachtens sollten sich Ratsmitglieder verpflichten, nicht in die Leitungsfunktion einer städtischen Gesellschaft einzutreten, solange sie im Stadtrat sitzen und darüber hinaus für eine Karenzzeit von zwei Jahren, so wie das seit einigen Jahren auf Bundesebene für Minister und Staatssekretäre geregelt ist.

Das würde nicht zuletzt den öffentlichen Generalverdacht einer heimlichen Agenda zerstreuen, der vielen redlich engagierten Kommunalpolitikern Unrecht tut. Grundsätzlich müsste die gesamte Struktur der städtischen Beteiligungen überprüft werden, die im Grunde ja nur geschaffen wurde, um der Stadt Körperschaftssteuern zu sparen, indem sie die Gewinne beim Energieversorger mit den Verlusten der KVB verrechnen konnte.

Wie sollte solch eine Revision vor sich gehen?

Zum Beispiel könnte eine überparteiliche Kommission Vorschläge machen. Und wer könnte so etwas eigentlich besser initiieren und koordinieren als eine parteilose Oberbürgermeisterin?

Es täte der Stadt gut, wenn die in Jahrzehnten eingeübten Fehlentwicklungen gestoppt würden und die Bürger das Gefühl bekämen, dass sich die Politiker der verschiedenen Parteien endlich einmal zusammenraufen, zum Wohle Kölns. Es wäre höchste Zeit! Und so hätte diese ganze leidige Affäre am Ende vielleicht sogar noch einen positiven Effekt.

Peter Jungen

Peter Jungen, geb. 1939, ist als „Business Angel“-Investor Geschäftsführender Gesellschafter der Peter Jungen Holding in Köln, die vor allem im Bereich der „New Economy“ auch in den USA, China und Israel tätig ist. Jungen war ab 1987 Vorstandschef der deutschen Strabag AG in Köln. Von 1999 bis 2004 saß er im Aufsichtsrat der Kölner Stadtwerke. Auch heute ist er in Aufsichts- und Beiräten verschiedener Firmen tätig. Der Gründungsvorsitzende des „Business Angels Netzwerk Deutschland“ sowie Mitgründer und frühere Präsident des „European Business Angels Network“ ist auch Vorsitzender im Stifterrat des Kölner Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud. (jf)