„Das Unmögliche probieren“Kölner will trotz Tetraspastik auf den Zuckerhut klettern
- Vor 32 Jahren ist Johannes Grasser mit einer Tetraspastik auf die Welt gekommen.
- Bei dieser Behinderung stehen die Muskeln unter einer zu hohen Spannung, seine Arme und Beine kann er deshalb nur schwer bewegen.
- Für seinen großen Traum trainiert er täglich.
Köln – Mit der gesamten Muskelkraft seiner Oberarme versucht Johannes Grasser seinen 1,65 Meter großen und 55 Kilogramm schweren, gekrümmten Körper an der Wand der Kletterfabrik in Ehrenfeld hochzuziehen.
Nur langsam kann der 32-Jährige sein rechtes Bein in die Richtung des nächsten blauen Griffs heben, rutscht immer wieder mit seinen Zehenspitzen ab, bis er es nach einigen Sekunden, die sich für den Kölner wie eine Ewigkeit anfühlen müssen, doch schafft.
Was für Profi-Kletterer auf den ersten Blick wie untalentiertes Kraxeln aussehen muss, ist für Johannes Grasser ein großer Erfolg. Denn eigentlich, so sagen es zumindest seine Ärzte immer wieder, dürfte er nicht an einer Kletterwand hochsteigen können, er dürfte nicht einmal laufen können.
Die Prognosen der Ärzte lassen Grasser jedoch kalt, er hängt an der Ehrenfelder Wand um für seinen Traum zu trainieren: den Zuckerhut in Rio de Janeiro in Brasilien zu bezwingen. Und das schon im Herbst.
Tägliches Training für eine gute Beweglichkeit
Vor 32 Jahren ist Grasser mit einer Tetraspastik auf die Welt gekommen. Bei dieser Behinderung stehen seine Muskeln unter einer zu hohen Spannung, seine Arme und Beine kann er deshalb nur schwer bewegen. Dabei ist es gerade diese Beweglichkeit, die er beim Klettern braucht. „Wenn jemand ohne Einschränkungen fünf Minuten für 15 Meter braucht, dann brauche ich dafür 20, 30 oder 40 Minuten“, sagt Grasser.
Entscheidend für seine Performance sei seine tagesaktuelle, körperliche Verfassung. Damit diese gut ist, trainiert der Kölner nicht nur bis zu drei Mal die Woche an der Kletterwand, sondern derzeit auch täglich rund drei Stunden außerhalb der Kletterhalle.
Johannes Grasser muss Defizite ausgleichen
Schon bald sollen es aber 30 bis 40 Stunden pro Woche werden. „Ich muss einfach die Voraussetzungen schaffen, so fit wie möglich für dieses wahnsinnige Projekt zu sein“, sagt Grasser. Denn der Zuckerhut sei aufgrund der vorgeneigten Platte um einiges schwieriger zu beklettern als die gerade Wand in der Ehrenfelder Kletterfabrik.
Im Vordergrund des Trainings stehe deshalb vor allem das Krafttraining, „damit ich meine Defizite, also die fehlende Kraft zum Beispiel in den Beinen, ausgleichen kann.“ So müsse sich der 32-Jährige langfristig eben nicht mehr mit der Kraft seiner Oberarme an der Kletterwand hochziehen.
Dass ihm dieser enorme Kraftaufwand schwerfällt, ist unschwer zu erkennen. Nach jeder noch so kleinen Bewegung an der Kletterwand stoppt Johannes Grasser, er atmet schwerer, flucht bei jedem Abrutschen. Aufgeben ist für Grasser, der sogar Sport studiert hat, aber keine Option.
Mit dem Kletterprojekt das unmögliche möglich machen
„Natürlich habe schon darüber nachgedacht, aber im Gegensatz zu anderen Menschen würde ich die Konsequenzen von einem versäumten Training direkt am nächsten Tag spüren, hätte schon weniger Kraft, meinen Alltag zu bewältigen.“ Aber was vor allem dagegen spricht: „Wenn ich mir etwas vornehme, ziehe ich es auch durch“, sagt Johannes.
Schon immer faszinieren den Sportler die Dinge, die für Menschen mit einer Behinderung wie seiner undenkbar erscheinen. „Ich will immer das Unmögliche probieren“. Die größte Motivation für ihn ist also er selbst.
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Seine vergangenen Sportprojekte beweisen, dass er die 260 Meter lange Kletterroute des steilwandigen Fels in Brasilien schaffen könnte, wenn er will. Denn trotz seiner Behinderung ist er schon vom Springturm gesprungen oder stand auf dem Surfbrett. „Das meiste schaffe ich über den Kopf, selbst wenn mein Körper komplett im Eimer ist.“
Vor der Herausforderung, den Zuckerhut zu erklimmen, wird Johannes Grasser aber nicht alleine stehen. Seit Projektbeginn im Jahr 2019 klettert und trainiert ein dreiköpfiges Team mit ihm. Gemeinsam wollen sie dann im Herbst nach Rio fliegen. „Es könnte sein, dass wir bis zu 20 Stunden klettern“, sagt Grasser. „Aber selbst wenn wir abbrechen müssen, habe ich es immerhin versucht.“