Domian und Lino Hammer„Köln ist eine wunderbare Stadt, um schwul zu sein“
- Der Kölner Moderator Jürgen Domian (64) ist bisexuell, Kommunalpolitiker Lino Hammer (35) schwul.
- Beim Gespräch über Diversität sind sie nicht immer einer Meinung. Domian kritisiert das Gendern, die Formulierung „alter weißer Mann“ empfindet er als Diskriminierung.
- „Feigheit“, antwortet er auf die Frage, warum sich schwule Fußballer im Profifußball immer noch nicht outen.
- Hammer würde nachts nicht händchenhaltend mit seinem Mann über die Ringe laufen.
Wie nennen Sie sich, wenn es um die sexuelle Orientierung geht?
Jürgen Domian: Ich bin bisexuell. Eine zeitlang habe ich mich mal als schwul ausgegeben, weil ich von einigen Schwulen angefeindet wurde – und ich mich dem nicht mehr aussetzen wollte. Homosexuelle unterstellten damals oft bisexuell orientierten Menschen, dass sie im Grunde auch schwul seien, sich aber nicht trauten, das offen zu bekennen. Welch ein Bullshit. So etwas gibt es heute nicht mehr. Wie ist deine sexuelle Orientierung, Lino?
Lino Hammer: Ich würde sagen: Ich bin ein schwuler Mann. Wenn es darauf ankommt auch ein weißer, schwuler Cis-Mann.
Domian: Was bedeutet Cis?
Hammer: Dass ich mich meinem biologischen Geburtsgeschlecht zugehörig fühle.
Domian: Mit dem Fachvokabular muss man aufpassen. Das versteht keiner mehr. Frag die Leute mal, was binär und nicht-binär ist – da stehen die meisten auf dem Schlauch (nicht-binäre Menschen fühlen sich weder ganz als Mann noch als Frau, Anmerkung, die Red.) Diese Art der Sprache hat oft etwas Ab- und Ausgrenzendes.
„Ich will Menschen nach ihrer Herkunft fragen“
Es geht inzwischen viel um Einordnung: Woher kommst Du, welche Hautfarbe hast Du, welche sexuelle Orientierung, welche Herkunft? Darf nur ein „People of Color“ die Gedichte von Amanda Gorman übersetzen? Darf nur eine Inderin Yoga-Kurse geben? Die Identitätspolitik tritt an, um eine Gesellschaft zu sensibilisieren, kann sie aber auch spalten, oder?
Domian: Bei allem Wohlwollen für alle diversen Bewegungen kommt es schon jetzt zu grotesken Entwicklungen. Ich möchte nicht, dass die Oper „Porgy und Bess“ über das Leben in einer Schwarzensiedlung irgendwann nicht mehr aufgeführt werden darf, nur weil sie ein Weißer geschrieben hat. Absurd finde ich auch, dass man die Menschen nicht mehr nach ihrer Herkunft fragen darf: Ich habe privat und eben auch beruflich Tausende Menschen nach ihrer Herkunft gefragt. Fast immer entstanden dann tolle Gespräche. Ich will das fragen dürfen und deshalb nicht als Rassist abgestempelt werden.
Hammer: Das Beispiel mit der Übersetzerin ist schon etwas absurd. Ich denke, sensibler mit Identitäten umzugehen, macht aber Sinn: man darf aber auf der Wegstrecke nicht seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter verlieren. Ich möchte mir nicht anmaßen, zu wissen, zu fühlen, was es bedeutet trans* zu sein (trans ist ein Überbegriff für Personen, die sich nicht oder nur teilweise mit dem bei der Geburt eingetragenen Geschlecht identifizieren, die Red.). Trotzdem unterstütze ich selbstverständlich die Anliegen von trans*menschen. Wenn ich als schwuler Mann mich für sie einsetze, dann aber gesagt bekomme: Wie kannst du dir das anmaßen, du bist ja nicht trans* – dann wird es für mich schwierig. Die Schwulen- und Lesbenbewegung wurde früher auch von vielen Heteros mitgetragen. Nur so können Bewegungen stark werden. Nichtsdestotrotz ist es natürlich umso wichtiger, dass trans*menschen auch Repräsentation erfahren und sichtbar sind!
Warum moderieren Behinderte keine Nachrichten?
Domian: Zur Diversität gehören nicht nur Sexualität und Hautfarbe, sondern Feminismus, Frauenrechte und zum Beispiel auch Behinderte. Solange ich beim WDR war, habe ich dafür geworben, dass auch Behinderte Nachrichtensendungen moderieren. Warum sollte nicht ein Contergangeschädigter die Tagesthemen präsentieren? Warum ist so etwas nicht möglich? Es gab immer das Argument, dass die Behinderung von dem Inhalt der Sendung ablenkt.
Und das stimmt nicht?
Domian: Nein! Vielleicht guckt man da beim ersten Mal genauer hin …
Hammer: … danach nicht mehr.
Die Bilder sind wahrscheinlich so normiert, dass die Verantwortlichen sich das nicht trauen.
Domian: Ihr erinnert euch an Dagmar Berghoff, die langjährige Tagesschausprecherin. Sie hatte eine Handbehinderung – und hat das in all den Jahren vor der Kamera versteckt. Ihre behinderte Hand durfte man nicht sehen. Warum nicht?
„Ich bin Trash-TV-Fan“
Diversität zu zeigen ist eine Aufgabe der Medien…
Domian: Natürlich. Und da sind so genannte Trash-TV-Formate der Privatsender Vorreiter. Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk diskutiert man jahrelang, um einen Millimeter weiterzukommen. Die Privaten machen es einfach. Ich bin ein großer Trash-Fan: Prince Charming, Love Island, Deutschland sucht den Superstar: Diese Sendungen sind total divers, und zwar ganz selbstverständlich.
Wann haben Sie festgestellt, ich bin bisexuell, ich bin schwul?
Hammer: Bei mir war das mit 14 oder 15, ganz klassisch, als ich anfing darüber nachzudenken: Was bin ich? Wer bin ich? Was will ich?
Domian: Bei mir war das eher mit 17, 18 oder 19. Seitdem denke und lebe ich divers. Diversität ist eines meiner Lebensthemen. Die Sendung DOMIAN war die erste größere Plattform für Diversität im deutschen Fernsehen. Nicht nur im sexuellen Bereich, sondern bezogen auf alle erdenklichen Facetten des Lebens. Wobei der Begriff divers noch völlig fremd war. Man kannte Schwule und Lesben, das war‘s. Der Begriff Bisexualität war überhaupt nicht etabliert.
Sie sind in Gummersbach aufgewachsen, Ihr Elternhaus war eher konservativ. Wie war es da, zu entdecken: Ich finde auch Jungs interessant?Domian: Ich hatte das Glück, in einer Oberstufe mit verrückten Leuten zu sein, zum Beispiel mit Hella von Sinnen. Wir haben unseren kleinen Kosmos gebildet. Ohne den wäre es schwieriger gewesen.
Händchenhaltend mit einem Jungen durch Gummersbach laufen, wäre das möglich gewesen?
Domian: Es wäre gegangen, aber man hätte viele komische Blicke bekommen. Es lagen Welten zwischen einer Kleinstadt wie Gummersbach und Köln.
Erster Kuss mit einem Mann in der amerikanischen Provinz
Was verbinden Sie mit der Entdeckung Ihrer sexuellen Identität, Herr Hammer?
Hammer: Ich war ein Jahr in der 11. Klasse in Indiana zum Schüleraustausch bei einer mormonischen Gastfamilie. Über Weihnachten war ein gleichaltriger Freund meines Gastschülers zu Besuch – und wir stellten fest, dass wir uns spannend finden. So kam es zum ersten Kuss mit einem Mann im konservativen Niemandsland der USA.
Domian: Wie schön.
Hammer: Ja! Und danach war bei mir alles klar. Ein halbes Jahr später kam ich zurück nach Köln und habe schnell mit meinen Eltern und mit den besten Freunden gesprochen. Meine Eltern haben total gut reagiert.
Domian: Bei mir war das schwieriger. Am problematischsten fand ich die gesellschaftliche Einordnung meiner Identität. Weil Bisexualität kaum bekannt, geschweige denn irgendwie anerkannt war. Das stürzt einen jungen Menschen in eine große Ich-Krise: Wer bin ich eigentlich? Was ist normal? Wie unnormal bin ich? Empfinde ich gar falsch?
„Fußballer bräuchten einfach Mut“
Die Kölner Autorin Julia Shaw stellt die These auf, dass Bisexuelle heute perfider diskriminiert würden als Homosexuelle. Was halten Sie davon?
Domian: Ich denke, dass Bisexualität bei Frauen in der Regel eher akzeptiert wird als bei Männern, die in einer extrem heterosexuellen Welt aufwachsen. Ich habe Kontakte zu einigen prominenten Fußballern, die eine besondere Spielart der Bisexualität leben. Wie sollen die in die Öffentlichkeit gehen? Wie sollen sie das erklären? Es ist einfacher zu sagen: Ich bin schwul. Bisexualität bedarf der genaueren Erklärung und das sind oft intime Details.
Woran liegt es, dass Fußballer sich immer noch nicht trauen, offen homosexuell oder bisexuell zu leben?
Domian: An der Feigheit der Jungs. Zumindest bei den eindeutig schwulen Fußballern. Ich sage immer: Wenn einer das macht, ist der Knoten gelöst. Er wird von der gesamten Presse und der öffentlichen Meinung in den Himmel gehoben.
Thomas Hitzlsperger hat es nach seiner aktiven Karriere gemacht …
Domian: Es muss jemand sein, der aktuell ganz oben ist. Für den ersten Star, der sich outet, wird es vielleicht schwer sein, aber er wird ein Held werden, er wird Geschichte schreiben. Für den zweiten ist es dann schon einfacher.
Hammer: … und irgendwann interessiert es keinen mehr, dann ist es normal.
„Es wird gelästert, dass die Schwulen die besseren Netzwerker seien“
Domian: Das war in der Politik auch so, mit Klaus Wowereit fing es an, bei Westerwelle, Spahn war es ganz normal. Wie ist es eigentlich bei den Grünen?
Hammer: Bei uns in der Partei gibt es so viele nicht-heterosexuelle Menschen, dass es völlig egal ist – und mir gar nicht mehr bewusst. In NRW gibt es mit Arndt Klocke und Sven Lehmann ein prominentes schwules Pärchen. In der Grünen Jugend Köln war zu meinen aktiven Zeiten gefühlt glaube ich der größere Teil schwul: Es wird bei uns natürlich auch gelästert, dass die Schwulen die besseren Netzwerker wären…
Domian: Man darf nicht den Fehler machen, diejenigen, die nicht divers sind, an den Rand zu drängen. Wie oft höre ich von 30-, 40-jährigen Männern: Ich als weißer, heterosexueller Mann habe kaum noch Aufstiegschancen!
Hammer: So weit würde ich nicht gehen. Die alten männlichen Netzwerke funktionieren schon noch sehr gut.
„Alter weißer Mann? Das ist eine dreifache Diskriminierung“
Der so genannte alte weiße Mann hat inzwischen einen schlechten Ruf.
Hammer: Aber es gibt noch sehr, sehr viele von ihnen in Spitzenpositionen…
Domian: Was für eine abgründige und unverschämte Formulierung das ist! Würden wir alte weiße Frauen sagen?
Hammer: Wahrscheinlich nicht.
Domian: Es ist unglaublich, dass aus der Ecke, die Toleranz und Diversität fordert, diese Formulierung kommt. Das ist eine dreifache Diskriminierung: Alter, Geschlecht und Hautfarbe.
Hammer: Es ist eine Feststellung. Man muss trotzdem aufpassen, dass man den Bogen nicht überspannt, wenn man seine Verbündeten nicht verlieren will.
Über Identitätspolitik gibt es bei den Grünen heftige Diskussionen …
„Das Diktat des Genderns nervt mich massiv“
Hammer: Das stimmt. Ich bin leidenschaftlicher Verkehrspolitiker. Diversität ist mir trotzdem wichtig. Ich zeige mich solidarisch und berücksichtige die Belange von LSBTIQ selbstverständlich bei allen Entscheidungen mit.
Domian: Ich schere auch beim Diktat des Genderns aus. Das nervt mich massiv.
Hammer: Für mich ist das kein Diktat – ich mache das situationsabhängig. Ich wechsle dann auch zwischen den Geschlechtern. Mit dem Gendersternchen bin ich sozialisiert worden.
Domian: Als Autor dreht sich mir der Magen rum. Nehmen wir mal das Wort Ärzt*innen, da wäre die männliche Form: Ärzt. Bei Kolleg*innen wäre die männliche Form Kolleg. Und bei Bäuer*innen? Ich höre in einer Fernsehsendung: Die Adler und Adlerinnen verlassen das Gebirge! Ist das nicht absurd? Der Kanzler sagt vor laufender Kamera vollkommen verspannt: Liebe Krankenschwestern und Krankenschwesterinnen…
Hammer: Dass das zu Stilblüten führt, einverstanden. Aber ein Bewusstsein zu schaffen, dass die Sprache männlich dominiert ist und dass es mehr als zwei Geschlechter gibt, finde ich richtig. Es darf nur nicht in Dogmatismus münden.
Domian: Ich finde, dass wir mit dem generischen Maskulinum gut gefahren sind.
„Ich würde nicht mit meinem Mann nachts händchenhaltend über die Ringe laufen“
Wann haben Sie zuletzt Homophobie erlebt?
Hammer: Glücklicherweise kann ich mich daran kaum erinnern. Es gab schonmal brenzlige Situation mit Vollidioten, klar. Es gibt hier und da homophobe Kommentare, aber es hält sich sehr in Grenzen. Allerdings setze ich mich bestimmten Situationen gar nicht erst aus: Ich würde zum Beispiel nicht mit meinem Mann samstagsnachts händchenhaltend über die Ringe laufen.
Wäre das eine Mutprobe?
Hammer: Mein Leben ist auch so aufregend genug.
Domian: Ich kann mich, Gott sei Dank, an keine offen homophobe Situation erinnern.
Die Gesellschaft ist in den vergangenen 40 Jahren differenzierter geworden. Ist sie auch toleranter geworden?
Domian: Es ist auf jeden Fall viel liberaler geworden. Als wir 1995 mit der Sendung DOMIAN starteten, gab es noch sehr oft Anrufer, die mit zitternder Stimme offenbarten, dass sie homosexuell waren. Da hat sich seither wirklich extrem viel geändert. Es ist großartig, mit welcher Selbstverständlichkeit die junge Generation das heute lebt. Ich habe das Pro-Sieben-Format „Germany’s next Dragqueen“ gefeiert. Früher haben sich die armen Jungs und Mädels in Spelunken versteckt und sind dort aufgetreten, heute bekommen sie die große TV-Bühne. Auch rechtlich leben wir in einer viel toleranteren Welt.
Hammer: Was zum Beispiel dazu geführt hat, dass ich inzwischen verheiratet bin! Die große Vielfalt ist für viele eine Bereicherung, kann manche aber auch überfordern: Wenn man zum Beispiel seine sexuelle Orientierung nicht eindeutig benennen kann, ist es schwierig bis unmöglich, die richtigen Unterstützungsangebote zu bekommen.
Es gibt viele andere Lebensmodelle als monogame Zweierbeziehungen. Dreierbeziehungen, Viererbeziehungen – sollten die auch gesetzlich abgesichert werden?
Domian: Ja!
Hammer: Ich denke auch.
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Und wie geht man dann mit aus westlicher Sicht rückwärtsgewandten Traditionen um, die Männern erlauben, mehrere Ehefrauen zu nehmen – aber nicht umgekehrt?
Domian: Wenn die Frauen es gern wollen und freiwillig bei der Sache sind, dann: Warum nicht? Und wenn Frauen gern mehrere Männer haben möchten und die Männer damit einverstanden sind, dann soll es so sein. Ich habe mal eine lesbische Viererbeziehung kennengelernt, die funktionierte wunderbar. Es gibt ein Lied von Andre Heller, da heißt es im Refrain: „Denn ich will, dass es das alles gibt, was es gibt.“ Das ist doch ein tolles Lebensmotto. Solange man sich und anderen nicht damit schadet.
„Nur Schwarz und Weiß war gestern“
Was halten Sie von der These, dass relativ viele Menschen eigentlich bisexuell seien, es aber aufgrund ihrer Prägungen und gesellschaftlicher Normen nicht ausleben?
Domian: Es gibt stockhetereosexuelle und stockhomosexuelle Menschen. Ich kann verstehen, dass sich genau diese Leute provoziert fühlen, wenn man ihnen einen bisexuellen Anteil einreden will. Nach dem Motto: Probiere es doch mal aus! Wenn jemand klar ist in seiner sexuellen Identität, hat er oder sie keine Lust auf derartige Experimente. Aber wir reden hier nur von den Rändern. In der Mitte gibt es unzählige sexuelle und bisexuelle Schattierungen. Nur Schwarz und Weiß war gestern.
Hammer: Es gibt definitiv die Ränder. Aber der größere Teil ist wahrscheinlich dazwischen – abhängig auch von Lebenserfahrungen.
Der Sexualforscher Alfred Kinsey hat mit einer Skala von 0, komplett hetero- bis sechs, 100-prozentig homosexuell definiert. Wo würden Sie sich einordnen?
Hammer: Bei mir tendiert es wohl stark zur sechs, auch wenn es schonmal Frauen gibt, die ich sehr attraktiv finde…
…hatten Sie mal eine erotische Erfahrung mit einer Frau?
Hammer: Bestimmt mal als Jugendlicher im Zeltlager.
Domian: Ich habe schon mit 17, 18 Erfahrungen mit beiden Geschlechtern gesammelt. Anteilig würde ich sagen: 70 Prozent schwul, 30 Prozent hetero.
Ist Köln eine gute Stadt, um bisexuell oder schwul zu sein?
Hammer: Definitiv. Eine ganz wunderbare.
Domian: Natürlich. Eine der besten.