AboAbonnieren

Jürgen Becker haut drauf„Köln war immer schon gut in der Zweitklassigkeit“

Lesezeit 11 Minuten
Neuer Inhalt (2)

Am Rhein: Kabarettist Jürgen Becker.

Köln – Der Kölner Kabarettist Jürgen Becker hat ein neues Buch geschrieben, Titel „Die Zukunft war auch schon mal besser.“ Darin geht es um die Herausforderungen der Zukunft, die sich durch Corona-Pandemie, den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und den Klimawandel in kurzer Zeit massiv verschärft haben. Wir haben mit dem Mann, der einst als „Irokesen-Heinz“ erster Präsident der Stunksitzung war und mehr als 30 Jahre die „Mitternachtsspitzen“ moderierte, gesprochen.

Herr Becker, Ihr neues Buch heißt „Die Zukunft war auch schon mal besser“. Bisher waren ihre Bücher immer eher historisch, rückblickend. Wie kommt‘s zur Wende?

Weil wir täglich gewarnt werden: Die Zukunft der Energieversorgung ist ungewiss, die Zukunft des Friedens ist ungewiss, die Zukunft der Geldstabilität ist ungewiss, die Zukunft des Klimas ist ungewiss. Dazu sage ich: Das ist alles Quatsch! Die Zukunft ist immer ungewiss.

Für diese Zukunft gibt es keine Sicherheit, die gerade wir Deutschen uns wünschen.

Wir Deutschen sind natürlich extrem darauf gepolt. Wir haben die meisten Versicherungen weltweit. Kein anderes Volk hat so viele Versicherungen wie wir Deutschen. Wir haben mehr Lebensversicherungen als Einwohner. Es gibt sogar Versicherungen gegen den Ausfall von Hochzeiten. Wenn der Bräutigam am Altar „Nein“ sagt, dann kommt Herr Kaiser von der Hamburg-Mannheimer und zieht die Hochzeitsnacht durch. Auch wenn dann die Frau „Nein“ sagt. Aber im Ernst: Es gibt keine Freiheit ohne Risiko.

Sind Ihre Ängste real oder eher ein Blick auf die Umgebung?

Uns allen wird gerade klar, dass wir vermutlich in eine Zeit geboren wurden, die eine historische Ausnahmesituation war. Wir sind die Generation, die keinen Krieg erlebt hat und der Wohlstand im Frieden wuchs und wuchs. Immer mehr, immer weiter, immer höher. Das gab es vorher noch nie und wird es wohl auch in Zukunft hier in Europa nicht mehr geben. Wir erleben jetzt auch mal den Mangel. Wir müssen ja sowieso runterkommen von dem hohen Niveau, weil unsere Erde das gar nicht für alle hergibt.. Wir kennen ja diesen Earth Overboost Day, den Tag, an dem wir die Ressourcen verbraucht haben, die uns für das Jahr zur Verfügung stehen, und das ist immer schon im Mai oder Juni. Das erste, was rationiert werden wird, ist Wasser. Im eher trockenen Brandenburg gibt es durch die Tesla-Fabrik jetzt schon diese Rationierungsschritte. Das spüren die Leute aktuell noch nicht, wird aber kommen: Keinen Rasen mehr sprengen, keine Autos mehr waschen. Auch beim Gas könnten Rationierungen möglich sein. Es ist nicht mehr alles im Überfluss da. Aber vielleicht ist das ja ganz gut so. Wir können uns ja auch mal fragen: Was gewinnen wir, wenn wir verzichten?

Jürgen Becker

Ohne Druck oder Vorschriften funktioniert das Einschränken aber nicht.

Vielleicht. Ich habe jetzt angefangen, nur noch kalt zu duschen. Das soll ja sehr gesund sein, und ehrlich, ich finde das mittlerweile klasse, eine echte Bereicherung für mich. Man spart nicht nur Energie, man spart auch Wasser.

Wir sitzen am Rhein, der gerade ziemlich leer ist. Können Sie sich vorstellen, dass der gar nicht mehr fließt?

Theoretisch ist das möglich. Italien hat es erlebt, am Po. Ich denke beim Anblick des Rheines oft: Was für ein Luxus, dass hier minütlich Millionen von Litern Wasser vorbeifließen. Und die Natur berechnet noch nicht mal etwas dafür. Das kann man sich in der Sahel-Zone gar nicht vorstellen. 2,1 Milliarden Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Und wir leisten uns den Luxus, jede Weinflasche nach Gebrauch wegzuschmeißen und unter enormen Energieaufwand wieder neu herzustellen. Die Glasindustrie braucht enorm viel Gas und belastet das Klima weiter. Was beim Bier richtig ist, kann bei Wein nicht falsch sein. Wir sollten Weinflaschen EU-weit zu Pfandflaschen machen. Solange machen wir Burgunder-Boykott und trinken Bier. Auch die Fliegerei müssen wir reduzieren. Ich fliege seit sieben Jahren nicht mehr. Man könnte am Flughafen Schilder aufstellen: Fliegen fügt ihrer Umgebung und dem Klima erheblichen Schaden zu.

Ähnlich wie bei Zigarettenpackungen?

Genau. Mit abschreckenden Bildern von Junggesellenabschieden auf Mallorca. Kotzende Jugendliche und vertrocknete Erde. Der Energieverbrauch eines Flugzeuges ist so immens, das muss man einfach lassen. Da sind wir wieder beim Luxus: Fünfundneunzig Prozent der Weltbevölkerung haben noch nie ein Flugzeug von innen gesehen. Nicht fliegen ist also eigentlich nichts Besonderes.

Wenn man die Warteschlangen in diesem Sommer sieht, ist das Bewusstsein dafür eher gering.

Noch. Aber in meinem Bekanntenkreis gibt es schon viele Nichtflieger. Ich erzähle in meinem Programm immer, dass man auch ohne Flugzeug weit kommt. Es gibt diese Website traivelling.com, die erklärt dir genau, wie du mit dem Zug etwa nach Vietnam kommst.

Und das geht?

Das geht. Oder Mallorca. Binnen zwölf Stunden ist man in Barcelona an der Fähre. Wir sollten die Nachtzüge wieder einführen. Früher sind wir ja auch nicht geflogen. Ich bin mal mit fünf Freunden mit dem Nachtzug nach Mailand. In Koblenz hatten wir schon acht Flaschen Lambrusco intus und haben dann so tief gepennt, bis der Schaffner sagte: „Aufstehen – willkommen in Athen.“

Becker

Jürgen Becker

Ein Kapitel in Ihrem Buch heißt „Nachtzug nach Holland“…

Holland ist ja nah. Und da funktioniert das auch immer mit den Anschlusszügen. Zwolle, Arnheim. Erst wenn du in einen deutschen Zug steigst, geht irgendwas schief. Weiche kaputt in Duisburg, irgendwas klemmt immer. Und wenn du nachts nach Köln kommst, steht dir noch die Endprüfung KVB bevor. Was ‘ne gute Erfindung ist, sind die E-Roller. Die werden ja viel kritisiert, aber ich nutze die gerne statt Taxi. Handy-Navi dran und los. Wenn ich in Berlin meine Tochter besuche, mache ich das immer. Spart auch Geld.

Sie fahren auch seit vielen Jahren E-Auto.

Ja, so einen kompakten Renault Zoé. Ich fahre da auch lange Strecken mit. Alle Auftritte und Urlaube, Italien, Tschechoslowakei. Auf deutschen Autobahnen ist das mittlerweile sehr gut mit der Dichte der Schnell-Ladesäulen, in Köln ist es eine Katastrophe. Weil die Säulen so langsam laden, sind sie ständig besetzt, da jedes Auto ewig dort steht.

Jürgen Becker Tankstelle

Jürgen Becker zapft Strom für den Wagen gerne bei Ikea.

Warum ist Köln immer zu langsam?

Durch das Industriebeamtentum bei der Rhein-Energie. Die verstehen nicht den Ernst der Lage, dass sie vorne sein müssten, wie Hamburg oder München. Die meinen, hinten reicht. Köln war immer schon gut in der Zweitklassigkeit.

Für eine Messestadt ist das doch katastrophal, den Anschluss zu verpassen.

Eben. Zu wenige Säulen, zu langsame, und dann auch noch eingeschränkt. In Hamburg hast du alle paar Meter Säulen, und du kannst mit den üblichen Karten freischalten. Die Rhein-Energie besteht darauf, dass man ihre bescheuerte App runterlädt, ein borniertes Verhalten, das internationale Gäste abschreckt. Wir haben im Rheinauhafen die längste Tiefgarage Europas, 1,6 Kilometer lang, und in der gibt es keine einzige öffentliche Ladesäule. Keine. Der Parkhausbetreiber hat mir auf Nachfrage gesagt, die Rhein-Energie weigere sich, eine starke Leitung dahin zu legen. Ich konnte das nicht überprüfen, aber mal ehrlich: Dem Köln-Besucher ist das egal, der will laden.

Das könnte Sie auch interessieren:

Ein Kapitel heißt „Wer nackt durch den Garten läuft“- da geht es um Liebe.

Und darum, dass immer mehr Lebensbereiche ökonomisiert werden. Früher lernte man sich einfach kennen, heute werden die meisten Beziehungen übers Internet vermittelt, bei Parship oder Elitepartner. Da zahlt man 60 Euro im Monat und bleibt durchschnittlich mindestens sechs Monate auf der Plattform, bis man jemanden findet, der attraktiv und schön ist. Das macht 360 Euro. Früher hätte man höchstens 20 investiert und hätte sich mit dem Geld gegenseitig schön gesoffen (lacht). Und dann war man zusammen. Das hat auch geklappt. Viele kennen das.

Jürgen Becker

Jürgen Becker mit seinem Oldtimer Motorrad MZ aus der DDR.

War denn früher alles besser?

Nein, überhaupt nicht. Der Blick nach hinten zeigt immer, wie doch Veränderungen möglich sind. Ein Beispiel: Meine Eltern waren Nichtraucher, aber wenn ich bei anderen Leuten mitgefahren bin im Auto, dann haben die Erwachsenen vorne gequarzt. Und wir saßen mit drei, vier Kindern hinten in der Qualmwolke und die vorne mussten regelmäßig durchzählen, ob noch alle da sind. Das macht heute kein Mensch mehr. Das macht doch Hoffnung, dass sich das mit dem Kerosin-Ausstoß auch ändert. Es wird langsam deutlich, dass die junge Generation für unseren Lebensstil einen sehr hohen Preis bezahlen muss. Also ist jeder, der mit Kerosin fliegt, eine ökologische Drecksau, die den nachfolgenden Generationen die Zukunft versaut. Aber auch mit E-Kerosin ist der Verbrauch horrend und die klimaschädlichen Kondensstreifen schädigen nach wie vor massiv die Atmosphäre.

Was würden Sie als erstes in Köln ändern?

Den Vertrag mit der Außenwerbung nicht verlängern. Es ist nicht mehr zeitgemäß, die Bevölkerung permanent zu animieren, Haribo zu futtern, Flugreisen zu buchen oder Zigaretten zu kaufen. Die beleuchteten Großbildflächen fressen Strom ohne Ende und beleidigen das Auge. Andere Städte haben dem Spuk bereits ein Ende gemacht. Dann die komplette Stadtverwaltung auffordern, vor Ihre Büros zu treten und sich öffentlich bei der Kölner Bevölkerung für Ihre miserable Arbeit entschuldigen. Ein Beispiel: Es wurde eine Machbarkeitsstudie beschlossen, ob Seilbahnen oder Wassertaxis auf dem Rhein für den öffentlichen Verkehr in Köln eine sinnvolle Ergänzung wären. Die Stadtverwaltung hat allein zehn Jahre gebraucht, um nur diese Studie in Auftrag zu geben! Zehn Jahre! Das kommt fast einem Boykott gleich. Die sollten öffentlich zurücktreten, sich entschuldigen und dann diese Stadt für immer verlassen. Erst dann kann es aufwärts gehen mit Köln. Aber diese Katastrophe hat natürlich auch strukturelle und historische Ursachen. Die Briten haben Köln im Zweiten Weltkrieg so lange bombardiert, bis hier nichts mehr funktioniert hat. Dann haben sie uns geholfen, eine Stadtverwaltung aufzubauen, damit das auch so bleibt.

Das könnte Sie auch interessieren:

Wie geht es jetzt weiter?

Etwa mit Autonomie. Jedes CO2-Molekül, dass wir ausstoßen, bleibt für 1000 Jahre in der Atmosphäre. Daraus kann man zwei Schlüsse ziehen: Erstens, dass es ja dann auf einen Tag nicht ankommt oder zweitens, dass man jetzt möglich zügig den Ausstoß reduziert. Das funktioniert immer da gut, wo man ohne Kontakt mit der Verwaltung oder der Rhein-Energie selber schnell handeln kann. Balkonkraftwerke sind eine solche Möglichkeit autonomen Handelns. Solche Photovoltaikanlagen sind ab 700 Euro im Handel. Die sind dank Greenpeace und anderen Streitern seit 2019 erlaubt und senken die Stromrechnung erheblich und dienen in Krisenzeiten als Notstromaggregat. Da müssen Sie mal drüber berichten, Herr Worring!

Ist Corona noch ein Thema?

Nein. Der Unterschied zu einer Grippe ist jetzt nicht mehr so groß. Als die Delta-Variante noch vorherrschte, hätte ich noch für eine Impfpflicht plädiert, weil die viel Leid verhindert hätte. Aber jetzt kommen wir mit ein bisschen Maskentragen hin.

Neuer Inhalt

Premiere der Stunksitzung 1984 unter anderem mit Martina Bajohr und Martina Klinke.

Wie verkaufen sich die Karten für Ihre Auftritte?

Die Auswirkungen der Inflation und der Energiepreise kann ich noch nicht abschätzen, aber dadurch werden wohl weniger ins Theater kommen. Die Menschen verzichten eher auf Kultur als auf anderes Lebensnotwendiges. Deshalb hoffe ich jetzt, dass die Gutverdienenden sich zu Wort melden und kund tun, ob Sie bereit wären, für den sozialen Frieden mehr Steuern zu zahlen. Was Herr Lindner da praktiziert, ist eine Katastrophe. Sein Benzinrabatt zum Beispiel hilft den Gutverdienenden, schließlich verbraucht ein schweres Luxusauto mehr Sprit als der Kleinwagen der Krankenpflegerin. Wir sollten solidarischer sein: Spitzensteuersatz auf das Niveau der Helmut-Kohl-Ära, 53 Prozent, das wären elf Prozent mehr als jetzt. Das wurde akzeptiert. Heute werden einige aufschreien, aber vielleicht würden auch jetzt wieder viele Wohlhabende das unterstützen. Für den sozialen Frieden ist Solidarität unabdingbar, wir müssen die kleinen und mittleren Einkommen entlasten. Kohl war ja mit Mitterand befreundet - vielleicht war er ja tief im Herzen Sozialist (lacht).

Reicht das an Solidarität?

Durch die Erderhitzung werden wir auch viele Flüchtlinge aus dann unbewohnbaren Regionen aufnehmen müssen. Für sinnlose Kriege haben wir jedenfalls keine Zeit mehr. Andere Länder überfallen, um Land dazu zu gewinnen, ist so gestrig wie ein Overheadprojektor auf der ISS. Ich habe in einer Studie gelesen, wo die Menschen am Glücklichsten sind: Finnland, Norwegen, Dänemark, Schweiz, Holland, also lauter kleine Länder. Es geht also nicht darum, Land zu gewinnen, wie Putin es brutal versucht. Das Gegenteil wäre richtig. Wir sollten Land loswerden.. Bayern zum Beispiel. Was diese CSU-Provinzler uns alles für einen Mist aufgehalst, mit dem wir uns beschäftigen mussten: Herdprämie, Ausländermaut, drei unterirdische Verkehrsminister in Folge. Was wäre das für eine Wohltat, wenn Bayern nicht mehr zu Deutschland gehören würde. Dann wäre auch die Bundesliga wieder schön.

Das Buch und Termine

Jürgen Becker (mit Dietmar Jacobs und Martin Stankowski), Die Zukunft war auch schon mal besser, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Paperback, 137 Seiten, 12 Euro, erscheint an diesem Donnerstag, 18. August 2022.

Mit seinem neuen Programm „Die Ursache liegt in der Zukunft“ gastiert der Kabarettist am 2. September im Kölner Comedia-Theater. Weitere Termine in der Umgebung in Bonn, Troisdorf, Eschweiler oder Köln-Stammheim unter

www.juergen-becker-kabarettist.de