Den 39-jährigen Marcel K. kennt in Vingst und Höhenberg fast jeder. Vor dem Höhenbergbad darf er seit einem Jahr schlafen.
Zwischen Diamanten und DosenravioliDie zwei Welten des Kölner Obdachlosen Marcel K.
Die Welt von Marcel K. ist sehr groß und sehr klein: Luxus-Immobilien, Diamanten, Wertpapiere, eine eigene Firma und ein Porsche kommen in der großen Welt vor. Geschnorrte Zigaretten, Dosenravioli, vor dem Discounter stehen, ein Plastikplanenverschlag und Menschen, die ihn anpöbeln und beklauen, in der kleinen. Viele der Geschichten aus der großen Welt lassen sich nicht überprüfen. In dieser Geschichte geht es daher vor allem um die kleine.
Klein ist Marcels Domizil am Höhenbergbad, ein Verschlag aus Planen und Metallstangen außen, ein Matratzenlager und ein paar Habseligkeiten innen, drei Quadratmeter, höchstens. Eine Deutschlandflagge hängt schlaff im Wind, neben dem Briefkasten ein mit rosa Filzstift handgeschriebenes Namensschild. Seit einem Jahr lebt der 39-jährige Kölner vor dem Schwimmbad.
Die Verantwortlichen wollten ihn zunächst nicht da haben, inzwischen hat man sich arrangiert. „Marcel ist ein netter Kerl, er bekommt von uns ab und an etwas Warmes zu trinken, kann hier auf die Toilette gehen und sich frisch machen“, sagt eine Mitarbeiterin. Einige Gäste seien anfangs irritiert gewesen, inzwischen hätten sich die meisten an den Dauergast gewöhnt. „Ich tue keinem was und helfe gern, ich bin ein sozialer Mensch“, sagt Marcel. Kürzlich habe er bei einem Baumarkt ausrangierte Pflanzen abgeholt und in den Beeten neben seiner Hütte eingepflanzt.
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Marcel ist in Vingst und Höhenberg so bekannt wie die Armut. Vor dem Penny-Markt grüßt er jeden zweiten. „Monatsende, Marcel“, sagt ein Mann mit Glasauge, der zur Begrüßung sein Gebiss mit der Zunge aus dem Kiefer hebt. Er holt sein Portemonnaie aus der Hose, macht es auf und leert das Kleingeldfach, 23 Cent. „Hier Marcel, mehr ist nicht übrig“, sagt er. Und, zum Abschied: „Wir helfen Marcel, wie wir können. Oder Marcel?“ – „Klar Mann, man hilft sich.“
Wenn Marcel über seine Zeit vor der Obdachlosigkeit spricht, lernt man seine große Welt kennen. Er habe eine eigene Security-Firma gehabt, erzählt er beim Kaffee vor dem Schwimmbad-Kiosk. „Viele Mitarbeiter, wir haben Geldtransfers gemacht. Ich habe mich hochgearbeitet.“
Irgendwann habe er sich eine Eigentumswohnung in Vingst gekauft, nach 13 Jahren sei sie abbezahlt gewesen. Als er irgendwann Schulden gehabt habe, habe man sie ihm abgenommen, er habe plötzlich rausgesollt aus der Wohnung, das sei allerdings die Folge eines behördlichen Fehlers gewesen, sagt er. „Die haben mich einfach mit meinem Nachbarn verwechselt.“
Große Geschichten von Eigentumswohnungen, Securityfirmen
Die Beamten hätten Gewalt angewendet, sagt er, einer habe mit dem Knie auf seinen Kehlkopf gedrückt, der herausgerissen sei; er wackelt an seinem Kehlkopf, der sehr beweglich ist. Es sei ein laufendes Verfahren, er sei aber zuversichtlich, zu gewinnen.
„Bisher habe ich vor Gericht immer gewonnen. Ist eigentlich unglaublich. Ist aber so.“ Das Ermittlungsverfahren laufe seit sechs Jahren – seitdem lebe er auf der Straße. Es gibt tatsächlich ein Verfahren aus dem Jahr, das aber laut Staatsanwaltschaft eingestellt wurde.
Auf einem Handkarren trägt Marcel einen verschnürten Rucksack mit sich rum, egal, ob er zum Penny geht oder zum Drogenselbsthilfeverein Vision, wo er gelegentlich einen Kaffee für 25 Cent trinkt und seine Wäsche wäscht. Er selbst rauche nur hin und wieder einen Joint, „und ein, zweimal die Woche ein Bier“, sagt er. Er wolle „die Kontrolle bewahren, nicht abstürzen, wie so viele in Vingst“.
In dem Rucksack sei „sozusagen meine Lebensversicherung drin“, sagt er. In seine Hütte sei mehrfach eingebrochen worden, „zuletzt hat man mir ein Tablet geklaut, ein Handy auch. Und da kommen regelmäßig Idioten, die was kaputt machen, einen Plastikbeutel mit Hundescheiße hier reinwerfen, einen Beutel mit Müll und Maden, so etwas“.
Bis vor wenigen Jahren hatte Marcel mehr als 10.000 Euro
In einer Kladde sind Kontoauszüge, die belegen, dass Marcel vor einigen Jahren ein Guthaben von knapp 13.000 Euro hatte. Das habe er immer noch, sagt er, aber eigentlich habe er viel mehr. Die Wohnung, aber auch Aktien. Er holt einen Schnellhefter mit vergilbten Wertpapieren vom Kaufhof hervor, der Name auf den Papieren sei der „des Mannes, von dem ich bis vor Kurzem dachte, er sei mein Vater“.
Die Papiere seien „so viel wert wie mehrere Luxus-Villen“. Bloß habe ein DNA-Test ergeben, „dass meine Eltern nicht meine Eltern sind“. Ein Porsche, den er sich während seiner Zeit als Unternehmer geleistet habe, werde von der Polizei „asserviert“. Für einen Tag habe er im Frühjahr vor dem Schwimmbad gestanden, das habe er vor Gericht erstritten. „Es ist alles noch da.“
Die Kölner Staatsanwaltschaft bestätigt abgeschlossene und laufende Ermittlungsverfahren, könne aber keine näheren Angaben machen – auch, um die Resozialisierung nicht zu beeinträchtigen.
Marcel K.: Helfe den Menschen in Vingst
Marcel kann sehr gut erzählen. Er erzählt, dass er programmieren könne und sich auf Computer hacken, Handys anzapfen, Berichte schreiben – er überlege, als Journalist zu arbeiten – er kenne sich ein bisschen mit Nukleartechnik aus und er lese gern. Er holt eine zerfledderte Ausgabe von Grimms Märchen aus seinem Rucksack. „Super Geschichten“, sagt er.
Den Menschen in Vingst helfe er manchmal – „viele von denen sagen, sie könnten lesen, können aber nur die Texterkennung T9 auf dem Handy“, sagt er, denen helfe er zum Beispiel, wenn sie ihre Wohnung renovieren wollen, aber kein Geld haben. „Ich sage denen dann, dass sie sich im Baumarkt eine Rechnung über alles geben lassen müssen, was sie brauchen und damit dann zur Arge gehen müssen, dann klappt das. Wissen die meisten nicht.“
Für Pfarrer Franz Meurer, der ihm gelegentlich einen Sack mit Lebensmitteln vorbeibringt, wenn er morgens zur Wassergymnastik geht, „besuche ich manchmal ein paar Leute, die Geld von ihm wollen – meistens, weil sie Drogen kaufen wollen oder so. Bei den finsteren Gestalten checke ich dann, wer das ist und was der will“.
Auf die Frage, welche seiner Baustellen die wichtigste sei, überlegt Marcel nicht lange: Er habe vier Kinder, sagt er, „die möchte ich wiedersehen. Wir haben leider keinen Kontakt mehr“. Und er wolle eine Wohnung – am liebsten seine eigene, aber sonst auch gern eine zur Miete – „um ein paar Dinge zu ordnen, und dann neu anzufangen“. Aufgegeben, sagt Marcel, „habe ich mich anders als viele auf der Straße zum Glück nicht“.