Köln-Buchheim/Kalk – Allzu häufig gewährt die Feuerwehr den Zugang zum Kalkberg bekanntlich nicht. Als kürzlich etwa 20 Teilnehmer im Rahmen einer Führung oben an dem Gebäude angekommen waren, das einmal Teil einer Hubschrauberstation werden wollte, entfuhr einer Dame dennoch ein leiser Aufschrei, der so erstaunt wie respektlos klang: „Meine Güte – wie bei Hempels unterm Sofa.“ Zu den Füßen des Kalkbergs nämlich bietet sich dem Betrachter ein alles andere als idyllisches Bild: Breite Bahntrassen, die Stadtautobahn und zahlreiche kurvenreiche Zubringer durchschneiden Kalk und Buchforst empfindlich. Auch bei der Planung der klobigen Bauten in den Gewerbeparks wurde erkennbar keinerlei Gewicht auf das ästhetische Empfinden der Anwohner gelegt.
Boris Sieverts sieht das natürlich auch. Er leitete die Führung als Mitglied der „Arbeitsgruppe öffentlicher Raum“, in der sich die Bürgerinitiativen Kalkberg sowie Mehr Grün in Kalk, die Naturfreunde Kalk, die Stiftung Kalk Gestalten und die Kalker Stadtteilkonferenz Kalk zusammengeschlossen haben. Sieverts aber sieht auch anderes. Denn wer seinen Blick über die unmittelbare Umgebung hinaus in die Ferne richtet, hat von der Spitze der ehemaligen Abfalldeponie der Chemischen Fabriken Kalk (CFK) aus eine 360-Grad- Panoramaschau: Bergisches Land, Siebengebirge, Ville und das Braunkohlerevier samt Kraftwerken inklusive.
Doch nicht nur das: Sieverts erkennt auch die Signale, die die brutalistischen Verkehrstrassen aussenden. Die zeigten an, dass das Rechtsrheinische Köln mit seiner einstigen Schwerindustrie im Grunde „der letzte Ausläufer des Ruhrgebiets“ war. Dessen Produkte seien mit der Bahn oder über die Straßen über Duisburg und Leverkusen bis an den Rhein verbracht worden, um dann von hier aus rheinaufwärts nach Bonn oder Richtung Aachen weitertransportiert zu werden. Aber anders als im Ruhrgebiet mache man sich bei der Stadt Köln bislang keine Gedanken über eine der rechtsrheinischen Bevölkerung dienende Umwandlung der Brachen, die der Schließung der Industriebetriebe ja auch hätte folgen können. „Wo vor 1993 die CFK standen, hätte man einen Landschaftspark anlegen können, stattdessen wurde alles mit riesigen Baumärkten und Fachhandel für Musikinstrumente zugeknallt: „Es gibt bei der Stadt offensichtlich diesen Horror Vacui – die Angst vor der Leere.“
Wobei die neuen Märkte an der Istanbulstraße offensichtlich nicht für Kalker Kundschaft gedacht sei: „Dort vermutete man ja keine zahlungskräftige Kundschaft, aber die guten Verkehrsverbindungen über die Bahn und die Straßen Richtung Leverkusen und Bergisches Land wollte man nutzen, um von dort Kaufkraft abzuschöpfen.“ Bezeichnend sei auch, dass als Standort für das „Odysseum“ – das einzige Museum in Kalk überhaupt – nicht die Hauptstraße in Frage kann, sondern eben die Nachbarschaft der Märkte. Die Geringschätzung des Rechtsrheinischen mache sich auch in Einzelheiten bemerkbar. Wer etwa die Sozialwohnungen an der Marie Curie-Straße verlässt, die ebenfalls auf dem früheren CFK-Areal entstanden sind, blickt auf die riesenhafte, eintönige Rückwand eines Baumarkts: „Ohne direkten Zugang zum Markt, versteht sich“, so Sieverts. Und der neu angelegte Bürgerpark hinter den Köln Arcaden, dem trotz der guten Ausstattung mit Spielgeräten jede halbwegs ehrgeizige Form der Bepflanzung abgehe, verrate geradezu ein Misstrauen gegenüber der Bevölkerung. „Die Sicherheitsaspekte standen im Vordergrund, hier sollte sich niemand verstecken können.“ Das habe dazu geführt, dass die verglaste Rückwand des Arcaden-Parkhauses auf der Höhe des Parks ständig von Jugendlichen eingetreten wurde: „Jugendliche suchen sich Rückzugsräume, das ist eine anthropologische Konstante.“
Von Seiten der Stadt sei man sogar so weit gegangen, die Bänke auf dem Platz vor der Kalker Post, dem Veedels-Treffpunkt, zu entfernen, als ein Investor die Pläne für eine große Shopping Mall auf der anderen Seite der Kalker Hauptstraße vorlegte. „Die wollten da natürlich kein »Pack« herumlungern sehen.“ Mittlerweile haben Unbekannte immerhin eine lange hölzerne Bank direkt entlang der Front des Postgebäudes aufgebaut.
Pläne für einen „Grünen Rücken“
Wie es anders gehen könnte, zeigte Sieverts aber auch: Er hatte Pläne für jenen „Grünen Rücken“ mitgebracht, nach dem die Führung benannt war und bei dem die Verkehrstrassen eine neue, ungeahnte Rolle spielen. Denn in ihrer direkten Umgebung sind noch brach liegende Flächen verfügbar, etwa entlang des Rangierbahnhofs im Osten von Kalk, an der Bahntrasse Richtung Leverkusen oder unter den Autobahntrassen im Westen. Und natürlich am Kalkberg. Dort sollte man überall kleine Grünflächen und erhöhte Wegeverbindungen schaffen, wobei der gelungene Grünzug Westerwaldstraße im Süden einzubeziehen sei. Unter den Autobahnbauwerken wäre auch Platz für Skateanlagen oder Proberäume etwa, und geeignete Stellen für „Grüninseln“ gebe es in Kalk auch. An den Hallen Kalk etwa oder entlang einer möglichen Fußwegverbindung zwischen der Post und dem Kalkberg durch die Blockinnenbereiche. Die Hoffnung auf eine Rückeroberung der urbanen Räume durch die Bewohner gibt Boris Sieverts nicht auf: „Die Köln Arcaden mit ihrem Glamour passen ja auch nicht zum Stadtteil, aber die Kalker haben es irgendwie geschafft, sie zu integrieren.“