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„Wo soll ich denn sonst hin?“Interesse an Platz im Atombunker in Köln-Kalk ist groß

Lesezeit 4 Minuten
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1,7 Quadratmeter pro Person stehen zur Verfügung. 

Köln-Kalk – „Mehr als zwei Jahrzehnte nach dem Ende des Kalten Kriegs ist die Angst vor einem Atomkrieg längst nicht mehr allgegenwärtig“: Mit diesen Worten begann noch vor wenigen Jahren ein Artikel im Kölner Stadt-Anzeiger über den Kalker „Atombunker“. Seit dem 24. Februar, dem Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine, hat sich die Situation gewaltig verändert.

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Robert Schwienbacher öffnet die Eingangstür zum Bunker im Zwischengeschoss der U-Bahn-Haltestelle „Kalk Post“. 

Das bekommt nicht zuletzt Robert Schwienbacher zu spüren, denn er ist der Chef im Kalker Bunker. „Bei uns rufen dauernd Bürger an, die einen Platz haben möchten, ein altes Mütterchen aus Dortmund zum Beispiel war ganz verzweifelt: „Wo soll ich denn sonst hin?“, erzählt der Vorstandsvorsitzende des Cologne Research Institute of Fortification Architecture (Crifa).

Ein riesiges Missverständnis sei das, so Schwienbacher, sein „Institut für Festungsforschung“ – so die Übersetzung – betreibe den Bunker zwar tatsächlich seit 2016, allerdings ehrenamtlich und als Museum. Den legendenumrankten Kalker „Atombunker“ betritt der Besucher durch eine unscheinbare Tür im Zwischengeschoss der KVB-Haltestelle „Kalk Post“ gegenüber dem Kiosk.

„Zivilschutzraum“ für die Zeit nach einem Angriff

Die Bezeichnung „Bunker“ gefällt Schwienbacher allerdings überhaupt nicht: „Schon eine 50-Kilo-Bombe würde das Dach durchschlagen, Mittelstreckenraketen wiegen locker mal 800 Kilo.“ Korrekter sei die Bezeichnung „Zivilschutzraum“, nach einem Angriff hätten hier exakt 2366 Menschen für 14 Tage Zuflucht gefunden. Das Crifa hat Küchen, Schlafräume mit vierstöckigen Betten, Toiletten und Waschräume, Operationsräume, Notstromaggregate liebevoll hergerichtet.

Zivilschutzräume in Köln

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Notküche im Kalker Bunker

Neben Zivilschutzräumen für die Bevölkerung wurden unter dem historischen Rathaus Bunkerräume für die Einsatzleitung des Katastrophenschutzes angelegt. Unter dem Alter Markt befindet sich die „Befehlsstelle für die Führungsorgane der Stadt“, sie ist für 90 wichtige Mitarbeiter der Verwaltung und den Oberbürgermeister gedacht. Daneben gibt es in den Stadtteilen Dellbrück, Ossendorf und Sülz so genannte Führungsausweichstellen als Bunker für Verwaltungseinheiten der Stadt. Der Sülzer Bunker ist auch als mögliches Quartier für den Kölner Oberbürgermeister vorgesehen.

Pro Monat bietet der Verein durchschnittlich etwa zehn Führungen für Schulklassen und andere Gruppen an. Schwienbacher und seine Mitstreiter erklären den Besuchern dann, wie sowohl die Eingänge zur Haltestelle als auch die U-Bahn-Tunnel im KVB-Kunden im Falle eines Angriffs hermetisch abgeriegelt worden wären.

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Lesestoff rund um den Atomkrieg: Zeitschriften und Magazine aus den 80er Jahren 

Gegen radioaktive Strahlung, aber auch gegen Gas und biologische Waffen. Doch das ist Geschichte. Nicht nur, weil der Zivilschutzraum 2005 außer Dienst gestellt und die Technik seither nicht auf ihre Funktionstüchtigkeit hin überprüft wurde. „Erst kürzlich wurden ja Aufzüge eingebaut, um die Barrierefreiheit der Haltestelle herzustellen“, so Georg Ruppert, Vorstandsmitglied des Crifa. Durch die Aufzugsschächte könne nun alles Mögliche eindringen. Auch deshalb würde sich eine „Platzreservierung“ – wäre sie denn möglich – nicht mehr lohnen.

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Die Krankenstation im Atombunker

Robert Schwienbacher hat überdies ganz grundsätzliche Zweifel am Sinn des Kölner Zivilschutzkonzepts aus dem Kalten Krieg. Der Kalker „Atombunker“ ist ein Relikt aus dieser Zeit, sogar die einzige komplett erhaltene Zivilschutzanlage in Köln. 1979 wurde sie gebaut und kostete geschätzt sieben Millionen Mark. Ähnliche Anlagen waren beispielsweise unter dem Neumarkt und dem Rudolfplatz geplant, wurden aber nie fertiggestellt. „Die waren nur für Durchreisende gedacht, weil man davon ausging, dass die Bürger private Schutzräume anlegen würden. Das wurde sogar mit öffentlichen Mitteln gefördert – noch bis 1989.“

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Robert Schwienbacher im Atom-Vortragsraum

In Nordrhein-Westfalen hätten allerdings seiner Kenntnis nach nur ganze 304 Personen eine entsprechende Unterstützung beantragt. Aber selbst die 2366 „Glücklichen“, die im Falle eines atomaren Angriffs im Kalker Zivilschutzraum untergekommen wären, hätten möglicherweise eine böse Überraschung erlebt. Denn es sei sehr fraglich, ob das Personal, das die ganze Technik in Gang setzen soll, den Schutzraum ebenfalls erreicht hätte, außerdem hätten beispielsweise Lebensmittel rechtzeitig eingelagert werden oder die Öltanks aufgefüllt werden müssen. „Funktionieren könnte das, wenn der Angreifer 14 Tage vorher Bescheid sagen würde“, meint Schwienbacher mit unverhohlenem Sarkasmus.

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Angesichts der zuletzt genannten Flugzeit von vier Minuten für Mittelstreckenraketen, die in vier Minuten von russischen Stützpunkten aus in Berlin sein könnten, sei auch jede moderne Warn-App zu langsam. Die habe ja schon beim Ahr-Hochwasser im vergangenen Jahr etwa acht Minuten gebraucht, da könne niemand rechtzeitig einen Schutzraum erreichen, so Schwienbacher. Aber selbst wenn: Im umfassenden Aktenbestand zum Kalker Zivilschutzraum sei nur ein einziger Satz über die Zeit nach jenen ominösen 14 Tagen zu finden. „Die Schutzsuchenden werden mit Bussen abgeholt“ stehe da irgendwo. „Sie kennen doch die Bilder von Hiroshima nach dem Abwurf der Atombombe?“, fragt Robert Schwienbacher. „So sähe Köln dann auch aus. Meinen Sie wirklich, dass dann noch die KVB führe?“