Zugleiter Holger Kirsch freut sich nach zwei Jahren Pause auf den Rosenmontagszug. Welche Probleme er noch lösen muss, verrät er im Gespräch.
Rosenmontagszug„Prinz Karneval auf der Brücke – diese Bilder werden um die Welt gehen“
Herr Kirsch, rund anderthalb Wochen noch bis Rosenmontag. Was überwiegt – die Euphorie oder die Nervosität?
Holger Kirsch: Die Euphorie. Wir hatten ja trotz Corona zwei denkwürdige Rosenmontage, erst den Miniaturzug mit den Hänneschenpuppen, dann im letzten Jahr die größte Friedensdemonstration der Stadtgeschichte. Aber der Zug durch die Straßen ist durch nichts zu ersetzen. Den Teilnehmern, für die das ja der Lohn für ihre ehrenamtliche Tätigkeit ist, wieder dieses Geschenk überreichen zu können, darüber freut man sich als Zugleiter schon am meisten.
Zwei Jahre Pause, und jetzt ein gänzlich neues Szenario. Macht es das schwieriger?
Ja, da gehen Gewohnheiten verloren, Rituale werden vergessen, das macht die Orga nicht einfacher. Der neue Zugweg ist für viele mit Mehraufwand verbunden, klar. Wir haben seit 2019 daran gearbeitet, schon damals die Ente auf den Teich gesetzt, dass der Zug mal irgendwann ins Rechtsrheinische gehen könnte. Ich habe schnell verstanden, dass die Gesellschaften dafür viel Vorlauf brauchen. Den hatten wir jetzt. Und wir müssen die Menschen abholen, die für den Zug wichtig sind wie Gruppenleiter und Ordner. Wenn die sehen, dass der Aufwand sich lohnt, dass es einen besonderen Wert hat, zum Jubiläum etwas anders zu machen, die Stadt im besten Licht zu zeigen, dann wird das auch funktionieren. Alle wissen jetzt, wo sie hinmüssen mit ihren Gesellschaften, wie sie anfahren müssen, wann sie wo sein müssen, und gefühlt haben wir da jetzt den Gordischen Knoten zerschlagen und alle ziehen mit.
Was ist aktuell das größte Problem, das sie noch lösen müssen?
Die strahlende Sonne von heute bis dahin zu konservieren. (lacht) Der Rest sind eher Kleinigkeiten. Wir sind gut aufgestellt. Der Rosenmontagszug ist Deutschlands größte Veranstaltung unter freiem Himmel und was man planen kann, haben wir versucht. Mein Team arbeitet rund um die Uhr und es ist schön zu sehen, wie die Puzzleteilchen zusammenkommen und ein großes Ganzes ergeben.
Der Mehraufwand wegen Deutz ist da, aber so viel ist man dann gar nicht im Rechtsrheinischen.
Immerhin zehn Prozent der Wegstrecke. Wir wollen die Schäl Sick symbolisch in den Arm nehmen. Ein Zug verbindet A und B miteinander. Wir erzeugen einen Spannungsbogen. Erst haben wir den historischen Deutzer Bahnhof, dann bietet die Deutzer Freiheit ein Entrée wie sonst die Severinsstraße, die diesmal den Schlusspunkt setzt. Das bringt eine völlig neue Dramaturgie in den Zug. Wir generieren ganz neue Bilder.
Jahrelang haben wir den Zug vor dem Eingang eines Supermarktes gezeigt, bevor die Fernsehtribüne auf die andere Seite der Severinsstraße verlegt wurde und wir zumindest St. Severin als Hintergrund hatten. Jetzt beginnen wir mit einem historischen Bahnhof, und zeigen dann das einmalige Kölner Panorama. Wenn der Prinz Karneval über die Brücke fährt – diese Bilder werden um die Welt gehen, da bin ich sicher.
Ein Zugleiter hat ja mehrere Zielgruppen: zwölfeinhalbtausend Teilnehmer, eine Million Menschen am Straßenrand und viereinhalb Millionen am Fernseher. Wenn es uns gelingt, aus all denen die größte Schnittmenge glücklich und zufrieden zu machen, dann haben mein Team und ich einen guten Job gemacht.
Inwieweit ist der Zoch ein Beitrag, dass links- und rechtsrheinische Köln noch mehr zusammen wachsen?
Es ist ja nicht so, dass beide Seiten ganzheitlich getrennt wären. Die enorme Stadtentwicklung der letzten Jahre hat im Wesentlichen im Rechtsrheinischen stattgefunden. Allein der Standpunkt der Arena hat uns zusammenrücken lassen. Dass die Haie auf der Schäl Sick spielen, war früher unvorstellbar. Ich würde mich freuen, wenn das Symbol „Jubiläumszug auch in Deutz“ gut ankommt. Der flapsige Spruch Adenauers, hinger Düx finge der Bolschewismus an, hat heute keine Bedeutung mehr. Selbst der Zugleiterwagen ist eine Brücke. (lacht)
Ist die Brückenquerung ein besondere Herausforderung etwa bei Starkwind oder für Reiter?
Nein. Für eine wetterbedingte Absage würde die Brücke keinen Unterschied machen. Die schwierigste Stelle etwa bei Sturm wäre der Dom, weil es dort Fall- und Sogwinde gibt. Es gibt eine Richtlinie, was wir bei welcher Windstärke zu tun haben. Eine Brückenquerung spielt da keine Rolle. Ich bin ein Verfechter der Reiterei im Rosenmontagszug, das habe ich als Kind schon geliebt, trotzdem hatte ich natürlich Sorge. Aber unsere Fachleute wie Hajo Jennes oder Wissenschaftler der TH Hannover sagen, dass die Pferde angesichts der Größe gar nicht merken, dass sie über eine Brücke laufen.
Wie viele Zuschauer dürfen auf die Brücke und wie regeln Sie den Zugang?
Wir nutzen ja nur die Südseite, die Nordseite ist gesperrt und frei nur für Rettungswagen. Bahnen fahren keine, und der Strom ist abgeschaltet. 7000 Menschen sind zugelassen. Auf die Länge der Brücke rechnen wir mit etwa 1800 Zugteilnehmern gleichzeitig, es bleiben 5200 Zuschauer. Es gibt elektronische Zugangskontrollen an beiden Enden. Wenn die Zahl erreicht ist, wird der Zugang gestoppt. Die Brüstungen werden durch engmaschige Bauzäune erhöht, denn es sollen ja auch Kamelle geworfen werden.
Aber nicht zu weit…
Warum sollte jemand Dinge, für die er vorher bezahlt hat und mit denen er anderen eine Freude machen will, in den Rhein werfen? Von Wagenkante bis Brüstung sind es mehr als zehn Meter. Das müsste man schon sehr wollen. Aber wir bestrafen das auch. Wenn Leute absichtlich in den Rhein werfen und wir kriegen das mit, wird die Gesellschaft im nächsten Jahr durch eine geringere Teilnehmerzahl im Zug bestraft.
Das kostet alles mehr, oder?
Dass der Jubiläumszug teurer wird als sonst ist unstrittig, dafür haben wir als Festkomitee aber frühzeitig Rücklagen gebildet. Wir hatten in der Zugleitung noch die eine oder andere Idee, die wir aber angesichts der aktuellen Lage gestoppt haben. Nur an der Sicherheit haben wir keinen Cent gespart, und das gibt mir ein gutes Gefühl.
Die Veedel Deutz und Südstadt erfordern ein eigenes Sicherheitskonzept.
Ja, hier greifen sogenannten Ringsperrkonzepte. Das sind präventive Vorhaltungen für den Fall, dass es zu voll wird. Dann können wir sehr flexibel da zu machen. Die Deutzer kennen das vom Straßenfest auf der Deutzer Freiheit. Ich war am Wochenende mit Frau, Kindern und der Tanzgruppe der Flittarder dort unterwegs, und wir haben weit mehr als 3000 Info-Flyer in Briefkästen geworfen. Wenn du dann in einem Mehrfamilienhaus klingelst, sagst, dass du vom Rosenmontagszug kommst, und von oben brüllt jemand: „Wir freuen uns!“, dann weißt du, wofür du das machst. Die Schull- un Veedelszöch-Macher haben das übrigens in der Südstadt auch gemacht.
Erwarten sie mehr Zuschauer?
Man kann davon ausgehen, aber die Strecke ist länger. Wenn es voller wird, wird es sich auch verteilen.
Sie haben 23 Karikaturen für Persiflagewagen vorgestellt. Der Schwerpunkt liegt eher auf der Weltpolitik als auf Kölner Themen.
Wir haben da ja keine Quoten, aber das Weltgeschehen beschäftigt die Menschen derzeit am meisten. Die Tatsache, dass eine Person alleine in der Lage ist, die komplette Welt aus dem Gleichgewicht zu bringen, macht nicht nur mir Angst. Und wir sind in unserer Symbolik sehr eindeutig. Das Bild, wie Putin die Welt durch den Fleischwolf dreht, ist so stark. Mindesten genauso stark finde ich den Meloni/Weidel-Wagen. Der Rechtsruck in Deutschland macht mir und dem Team der Kritzelköpp Sorge. In Ländern, die für mich für Demokratie stehen wie Schweden, Frankreich oder Italien, ist es ähnlich. Und solange das Thema Klimawandel nicht gelöst ist, werden wir auch Persiflagen dazu machen. Da ziehen wir mit den Klimaaktivisten an einem Strang.
Gibt es noch aktuelle Überraschungswagen?
Ja, aber die werde ich wie immer vorher nicht verraten.
Neu ist der Jubiläumswagen „Held Carneval“, eine Replik des ersten Prinzenwagens.
Das ist der neue Wagen des Großen Senats, der diesen auch finanziert hat. Da werden in Zukunft anteilig ausgesuchte Gäste mitfahren dürfen, auf die der Titel „Held Carneval“ in gewisser Weise zutrifft wie verdiente Ehrenamtler, Polizisten, Feuerwehrleute, Sanitäter oder auch Künstler. In diesem Jahr sind unsere Helden ganz klar die Corona-Dreigestirne, also das Große, das zweimal angetreten ist, und die beiden Kinderdreigestirne der letzten Jahre.
Das Richtfest findet dieses Jahr nicht im Maarweg, sondern in einer Halle der Köln-Messe statt. Wie wollen SDie die Wagen unerkannt nach Deutz kriegen?
Die werden so verhüllt, dass keiner die Zusammenhänge erkennen kann. Und ansonsten wird das eine Nacht- und Nebelaktion.
Nicht alle sind begeistert von der Idee „Deutz“. Besonders aus den Reihen der Schull- un Veedelszöch, aber auch von einigen KG’s kommt Kritik. Was antworten Sie den Kritikern?
Ich gebe zu, dass ich anfangs den Mehraufwand für die Schull- un Veedelszöch nicht verstanden habe. Aber wir haben uns drauf eingelassen und versucht zu helfen. Für mich gibt es keine Probleme, nur Aufgabenstellungen. Die haben wir versucht, gemeinschaftlich zu lösen. Schilder am Aufstellplatz, Toilettenburgen, Anfahrtwege. Und darüber hinaus gibt es keine Tradition beim Zugweg. Keiner hat ein Anrecht darauf, dass der Zug an seiner Haustür vorbeizieht. Wenn das so wäre, würden wir bis heute rund um den Neumarkt laufen. Es gibt kein Gewohnheitsrecht für den Kölner Rosenmontagszug.
Zugleiter ist ein Ehrenamt. Wie viel Zeit investieren Sie?
Aktuell bin ich fast rund um die Uhr im Einsatz. Im Moment investiere ich mehr Zeit da rein als in meinen über alles geliebten Beruf des Architekten. Mit fehlt es, am Wochenende im Büro zu sitzen, zu zeichnen und zu entwerfen. Und das geht ja zwei Monate lang so. Ohne tolle, verantwortungsvolle Mitarbeiter und eine Familie, die mitgeht, ginge das nicht. Den Kindern erkläre ich das so, dass die größte Freude doch ist, anderen eine Freude zu machen. Das kommt an. Meine Dreigestirnszeit als Prinz 2015 hat mich geprägt. Der Aufwand, den andere betrieben haben, damit wir drei Jecken eine gute Zeit hatten, das war gigantisch. Das will ich zurückgeben. Zugleiter sein ist eine Ehre, das passt zu meinem Beruf. Der Rosenmontagszug durchlebt die gleichen Phasen wie ein Bauprojekt: Entwurfsphase, Genehmigungsphase, Ausführungsphase, Richtfest. Der einzige Unterschied: Der Zoch wird immer pünktlich fertig.
Was muss passieren, dass Sie am Ende zufrieden sind?
Dass alle Teilnehmer gut durch den Zug gekommen sind. Dass die Menschen sagen, dass sie einen schönen Tag geschenkt bekommen haben.