Kommentar zur neuen KreativitätWir Kölner lassen uns den Karneval nicht nehmen!
- In diesem Jahr ist Karneval alles anders, aber nicht alles ist schlechter.
Mitten im Belgischen Viertel, an der Aachener Straße, haben zwei Jecke ihren Mini-Balkon zum Narrenschiff umgebaut. Ein kleines hölzernes Segel, rut und wiess, ein langes Seil, an dem sie eine Plastikblumenvase voll mit Strüßjer in Griffhöhe auf den Gehweg herunterlassen. E paar Blömcher für e Bützje, mit einem Lächeln hinaufgeschickt in den Himmel. Kölle alaaf!
Auf dem Höhepunkt der fünften Jahreszeit, inmitten einer weltweiten Pandemie, steht diese kleine Begebenheit beispielhaft für ein Lebensgefühl, das den Menschen, die Köln ihre Heimat nennen, egal ob sie hier geboren oder Imis sind, in den Genen liegt: Wir lassen uns den Karneval nicht nehmen.
Es ist eine Mischung aus kindlichem Trotz, unerschütterlichem Optimismus und der festen Überzeugung, so schlimm könne es gar nicht kommen, dass die Kölner nicht mehr Fastelovend fiere. Anders als üblich, leiser, zurückgenommen, mit handgemachten Formaten, die zu lange ein Nischendasein führten und denen sich durch die sozialen Medien und die Digitalisierung völlig neue Möglichkeiten und Spielplätze eröffnen.
Fischen nach Fastelovendsperlen lohnt sich
Das Fischen nach Fastelovendsperlen der Session 2021 in der virtuellen Welt lohnt sich. Es wird viele Brauchtumsforscher geben, die genau das tun, auch um in einigen Jahren die Frage beantworten zu können, ob Corona den Karneval langfristig verändern wird. Schon spricht der Präsident des Festkomitees davon, der Karneval könne gereinigt aus der Corona-Krise hervorgehen: weniger Kommerz, mehr Tradition, weniger Ballermann, mehr Brauchtum.
Das allerdings darf stark bezweifelt werden. Warum sollte ausgerechnet eine Pandemie bewirken, was der mächtigen Dachorganisation des Kölner Karnevals seit Jahren nicht gelingen will? Den Fastelovend herauszulösen aus dem gefühlten Ganzjahres-Karneval, der Köln das zweifelhafte Image der Party-Hauptstadt Deutschlands eingebracht hat.
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Es gibt keinen Impfstoff gegen die Ballermannisierung. Er ist aber auch gar nicht nötig. Weil sich gerade in Krisenzeiten wie dieser zeigt, dass es viele Jecke gibt, die ein feines Gespür dafür haben, wie man sich mit etwas Fantasie und Kreativität unbeschwerte Stunden verschaffen kann, die wir alle so bitter nötig haben.
Auch ohne Trumm und Tschingderassabum. Und sei es auch nur dadurch, dass sie einen Miniatur-Rosenmontagszug aus Legostein-Wagen erst durchs Wohnzimmer und dann digital durch ganz Kölle und halb Deutschland ziehen oder in diesen Tagen trotzig verkleidet im Supermarkt einkaufen gehen.
Damit, sagt der Brauchtumsforscher Wolfgang Oelsner, setzten die Kölner ein Zeichen, dass sie sich die Welt jetzt eigentlich anders wünschten. Aber auch, dass sie vernünftig genug sind, höhere Ziele wie Gesundheit und soziales Verhalten voranzustellen. Genau das ist auch die Botschaft vom Balkon im Belgischen Viertel: Blömcher, Bützje. Mer halde zesamme!