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Stabil am GlasEin Tag im Karneval mit dem alkoholisierten „Sitzungspräsidenten“

Lesezeit 8 Minuten

Kabarettist Volker Weininger

  1. Kabarettist Volker Weininger zeigt auch im Karneval herausragende Bühnenpräsenz.
  2. Als alkoholisierter „Sitzungspräsident“ hält er dem Publikum den Spiegel vor.
  3. Wir waren im Februar 2019 einen Tag lang im Karneval mit dem Kabarettisten unterwegs.
  1. 9.45 Uhr, ein Neubaugebiet im Bonner Norden

Durch die noch teerlosen Schotterwege mit tiefen Pfützen schiebt sich eine Volvo-Limousine. Es ist Sonntagmorgen, kein Mensch auf der Straße. Durchs Küchenfenster winkt ein Schatten, kurz darauf verlässt Volker Weininger, 48, Kabarettist, gut gelaunt das Haus. Hinter ihm schließt Oskar die Tür. Er hat eine am Vortag beim F-Jugend-Turnier im Fußball gewonnene Medaille um den Hals und schaut ein bisschen traurig. Papa muss arbeiten, wie so oft während der Session.

Auf nach Düsseldorf – „Dahin, wo es weh tut“

Mit Fahrer Richard Sutorius geht Weininger die Termine durch, dann hat das Navi das Wort: „In 100 Metern rechts abbiegen…“ Über Deutschlands älteste Autobahn, die A555 und dann rund um Köln geht es Richtung Düsseldorf. „Direkt dahin, wo es weh tut“, kokettiert Weininger. Rund 140 Auftritte absolviert er in dieser Session, allein heute sind es sechs. Im Auto ist alles angerichtet: Auf der Rücksitzbank brummt eine Kühltasche mit Getränken, in einer Vorratsdose liegen für Notfälle Kartoffelchips und Doppelkekse bereit. Kurz vor der Bilker Brücke macht sich Weininger ein Kölsch auf: „Das ist Ritual – ein Fahrbier vor dem ersten Auftritt.“ Ansonsten steht in seinen Verträgen, dass der Veranstalter alkoholfreies Bier bereitzustellen habe.

  1. 10.40 Uhr, Brauhaus Schumacher in Düsseldorf

Die Sonne scheint auf das Traditionshaus, kostümierte Gäste stehen rauchend vor der Tür. Drinnen ist es rappelvoll, aber noch relativ ruhig. Der Redner aus Köln soll das Programm beginnen. Der Elferrat der KG Allgemeiner Verein der Karnevalsfreunde von 1829 (AVDK), gönnt sich ein Herrengedeck: Filterkaffee, Alt, Underberg.

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Fahrer Richard trägt einen Stehtisch auf die Bühne, Weininger bespricht mit dem Backstage-Kellner das Prozedere: „Das ist einfach – immer wenn ich leer habe, brauche ich sofort ein Neues.“ Das Dilemma: Bei Schumacher gibt es kein alkoholfreies Bier. Der Künstler ist nicht erfreut, „aber da muss ich durch, sonst funktioniert die ganze Nummer nicht.“

  1. 11.05 Uhr. Der „Sitzungspräsident“ betritt die Bühne...

...guckt leicht schäl, grinst breit, klatscht wie ein Dreijähriger, wartet, bis Ruhe im Publikum herrscht. Dann lallt er ins Mikrofon: „Hähähä! Liiiebenärrinn’nunnarrn! Um’sdrektsusagen – ichbinsch’neinbischenangeschicket.“

11.05 Uhr im Brauhaus Schumacher in Düsseldorf

Der Saal ist begeistert, man kennt sowas. Und dann legt Weininger los, parliert mit schwerer Zunge über seine Kumpels aus dem Elferrat, vegane Kindergeburtstage, Vereinsausflüge, trinkt diverse Bier dazwischen, streut immer wieder kleine Elemente ein wie „Ichkammichgradselbsnichverstehn“ ein. Die Brauhausgäste johlen, verlangen stehend nach einer Zugabe. Nach fünf Alt und einem Underberg in 30 Minuten macht er mit einem artgerechten „Helau“ die Bühne frei für die Band „Alt Schuss“. Richard stellt das Navi auf Köln-Esch ein. „Da brauche ich erstmal ein Mettbrötchen“, grinst Weininger.

  1. 12.20 Uhr, Herrensitzung der Dorfgemeinschaft „Greesberger“, Festzelt, Köln-Esch

12.20 Uhr Herrensitzung im Festzelt in Köln-Esch

„Ich variiere den Grad der Betrunkenheit“, sagt Volker Weininger, „bei einer Herrensitzung muss ich mehr Gas geben als bei einer eher ruhigen gemischten Sitzung wie eben.“ Seit elf Uhr feiern hier knapp 900 Männer zum All-inclusive-Tarif.

Die Schlagzahl ist hoch, Kellnerinnen schleppen Pittermännchen und riesige Tabletts mit Currywurst durch die Biertischreihen. Auf der Bühne rockt Lupo, von einem Banner am Zeltgiebel strahlt das Escher Dreigestirn mit dem Motto „Esch kütt wie et kütt.“

Lallende Begrüßung von Volker Weininger

Weininger wird von Walter Gerhold in Empfang genommen, der für die Agentur Ahrens seines Sohnes Michael hier das Programm organisiert. Ein wichtiger Partner für Weininger, „denn die nehmen mir die ganze Orga ab. Ich kann mich voll auf den Auftritt konzentrieren.“ Der könnte kompliziert werden, und der „Sitzungspräsident“ wartet geduldig, bis Ruhe im Zelt herrscht. „Liebehärrn, Um’sdrektsusagen …“, beginnt er – und hat sein Publikum schnell gepackt, die „Härrn“ hören erstaunlich aufmerksam zu.

Das wäre wohl eine Stunde später deutlich schwieriger, aber nach Weininger kommt nur noch Musik. „Tschüss Montag“ knödelt er nach einem kräftigen Schluck Alkoholfreiem, die Menge tobt und jeder Zweite zeigt auf bei der Frage, wer denn morgen frei habe. „Amateure!“, lästert der Profi – und hat sie alle auf seiner Seite.

Auch hier gibt es stehende Ovationen und Zugabe-Rufe. Weiningers Urteil: „Die sind stabil am Glas, ävver jot!“ Nach ein paar Selfies mit den Kollegen von Pläsier, einmal Pinkeln und dem von Richard besorgten Mettbrötchen geht es wieder ins Auto.

Zwischendurch Quizduell mit Guido Cantz

Die Fahrt nach Hennef-Uckerath wird überbrückt mit Zocken. Jochen von den Klüngelköpp will Quizduell auf dem Handy spielen, „gegen den verliere ich fast immer.“ Auch mit Guido Cantz oder Yannick Weingartz von Lupo spielt er ab und zu. Seine Frau schickt ein Video von Oskar: „Die sind zum Schlittenfahren in der Eifel.“ Natürlich vernachlässige er die Familie in der Session, aber „ich bringe Oskar fast jeden Morgen zur Schule, und alles andere holen wir im Sommer nach“. Künstleralltag.

Im Sommer fängt er dann auch an, an der neuen Rede zu arbeiten. „Das ist ein langer Prozess. Ich bin sehr kritisch mir selbst gegenüber.“ Wenn man den Grad der Perfektion seines Vortrages auf der Bühne sieht, kann man erahnen, wie akribisch sich Weininger vorbereitet. „Ich muss beim Vortrag Lust auf jedes Wort haben“, sagt er. Schreiben, verwerfen, recherchieren, ausprobieren.

Weininger überlässt nichts dem Zufall

„Der Text muss richtig gut sein, im Zweifelsfall auch für sich alleine stehen.“ Die meisten Witze denkt er sich selbst aus, die Zwischenelemente, die „betrunkenen“ Einsprengsel, die fast die Hälfte seiner Rede ausmachen, sowieso. Weininger freut sich auf jeden Auftritt, will zeigen, was er kann. Und keine seiner Bewegungen, Gesten, Blicke oder Lacher ist zufällig.

Mit Dorfkarneval in seinem Heimatort Schladern im Rhein-Sieg-Kreis fing alles an, mit Anfang 20 hatte er ein Trio, „Die letzte Instanz“. „Ich wollte immer auf die Bühne und Kabarett machen“, sagt er. Bei der alternativen Sitzung „Die blaue Bütt“ im Koblenzer „Café Hahn“, einer Kleinkunstbühne, wurde er erstmals Sitzungspräsident, „am Anfang war der aber nicht betrunken“. Das Rednerduo Willi und Ernst, das auch in Koblenz dabei war, ging 2012 in den Kölner Karneval. Er folgte ein Jahr später.

  1. 14 Uhr, Hotel Landsknecht, Hennef-Uckerath

14 Uhr, Hotel Landsknecht in Hennef-Uckerath

Wo sonst in der Tenne Schwoof ab 50 stattfindet , die Schlager-Anmach-Partys im Schaukelkeller einen legendären Ruf genießen, wo jüngst noch die Deutsche Meisterschaft im Schocken ausgetragen wurde, ist heute Karneval. Hier sind die Fasanenfedern noch lang, die Preise bezahlbar und die Frikadellen hausgemacht.

Vorfreude in Uckerath

Bei der Prunksitzung der Großen Uckerather KG Remm-Flemm von 1860 freut man sich auf was Lustiges. Seit 11.11 Uhr standen Tollitäten in wechselnden Formationen auf der Bühne. Dazwischen ein Vortrag vom Damenkomitee, Musik von Lecker Jecke Mädchen, die Grün-Weißen Funken vom Zippchen aus Kölschbüllesbach haben getanzt. Tusch. Jetzt kommt der „Sitzungspräsident“ gerade richtig.

Nach der Zugabe einmal zur Toilette, dann zurück nach Köln. Keine halbe Stunde bis zum nächsten Auftritt, das könnte eng werden. Weininger ruft den Literaten an. „Volker, das ist das geilste, was ich je erlebt habe“, brüllt ein euphorisierter Horst Müller in Köln ins Telefon. „Du kannst eine Stecknadel fallen hören!“ Fünf Minuten verspäten wäre kein Problem, versichert er. Fahrer Richard geht trotzdem auf die Überholspur.

  1. 15.16 Uhr, Lindner-Hotel, Köln-Innenstadt

15.16 Uhr im Lindner Hotel in der Kölner Innenstadt

Fast pünktlich fährt der Volvo vor. „Wo ist der Volker?“, fragt einer. „Klo“, antwortet Richard lakonisch. Die KG Kölsche Lotterbove richtet erstmals einen Rednerfrühschoppen für Herren aus. Volker Weininger ist finaler Redner. Die Herren sind fast durch die Bank Sitzungsvielgänger, darunter Ex-Prinzen und Präsidenten. Dem Redner ist ihre ungeteilte Aufmerksamkeit gewiss. Er wird zum Dirigenten, nach dessen Taktstock das Publikum sich amüsiert. Da stört auch der aus dem Saal gereichte Ramazotti nicht. „Lieber Volker, du warst das i-Tüpfelchen auf diesen Tag“, lobt Literat Müller.

  1. 16.30 Uhr, Balloni-Hallen, Köln-Ehrenfeld

16.30 Uhr in den Balloni-Hallen in Köln-Ehrenfeld

In den hippen Balloni-Hallen lädt das Ensemble um Olaf Bürger, Mirja Boes und das Orchester der Liebe zu „Deine Sitzung“. Dieses Jahr unter dem royalen Motto „God save the Mett“. Hier gibt es die witzigste Begrüßung des Tages: „Er wird sich nicht an uns erinnern“, kündigt ihn Olaf Bürger an, „auch wenn er schon seit vielen Jahren unser Gast ist. Begrüßen wir den Sitzungspräsidenten.“ Und ob der sich erinnert – er rächt sich mit einem perfekten Vortrag, der sogar Comedy-Profi Mirja Boes so manche Lachträne aus dem Auge treibt.

Erste Zeichen der Erschöpfung

Der Auftritt hier ist kürzer, trotzdem deuten sich erstmals an diesem Tag Zeichen der Erschöpfung an. Weininger versucht, im Backstage-Bereich etwas abzuschalten. Das ständige Hoch- und Runterfahren, Spannung aufbauen, Vortrag halten, Konzentration wieder abbauen, ist anstrengend. Eine kürzere Pause wäre ihm jetzt recht, aber bis zum nächsten Job sind noch anderthalb Stunden Zeit. Er quatscht mit den Musikern, und nach einer Cola, einer Dose Red Bull, einem Mettschnittchen und diversen Toilettenbesuchen geht es wieder. Draußen ist es dunkel. „So, Freunde der Nacht“, sagt er, „einen haben wir noch.“

  1. 18.35 Uhr, Irmgardis-Gymnasium, Köln-Bayenthal

18.35 Uhr Pfarrsitzung in Köln-Bayenthal

In der Aula steigt die 56. Ausgabe der Pfarrsitzung der Kirchengemeinde St. Matthias und Maria Königin. Während Foyer und Künstlergarderobe eher trist wirken, zeigt sich der Saal von seiner besten Seite. Bunt kostümiert feiern hier die Generationen zusammen. Vom Dreijährigen mit Lärmschutzkopfhörer bis zur 93-Jährigen mit Hörgerät, alle klatschen und singen mit den Labbese „Die Welt, die ist ein Irrenhaus, und hier ist die Zentrale.“ Auch nach vier Stunden ist die Lust am Frohsinn ungebrochen. Da kommt Weininger gerade richtig. „Hä-hähä! Liiiebenärrinn’nunnarrn! Umesdrektsusagen – ichbinsch’neinbischenangeschicket...“

  1. 19.40 Uhr, Feierabend

Nach sechs fulminanten, umjubelten Auftritten, etwa 25 alkoholfreien Bieren, fünf Alt, verschiedenen Wassern oder Softdrinks, nach zwei Mettbrötchen und einer Currywurst, vielen Selfies und diversen Orden zieht Volker Weininger Bilanz: „Das hat Spaß gemacht. Überall tolles Publikum, alle haben zugehört. Super!“ Jetzt hat wieder das Navi das Wort: „In hundert Metern rechts abbiegen…“