Viele Jahre trat Jens Singer als Fahrer der Bundeskanzlerin in die Bütt, dann kam Olaf Scholz.
„Charakter eines Nachrufs“So geht der „Schofför des Kanzlers“ mit der Bundestagswahl um
Noch ist Olaf Scholz Kanzler, und er wird es auch erstmal bleiben – „aber es hat schon den Charakter eines Nachrufs“, sagt Jens Singer über seine aktuelle Büttenrede. Ein Beispiel: „Wir fragen uns ja alle, was macht der Olaf Scholz dann demnächst? Ich habe ihm vorgeschlagen: Gehen Sie doch pilgern. Mal so drei Wochen Jakobsweg statt drei Jahre Holzweg.“ Als „Schofför des Kanzlers“ steht er in der Bütt und erzählt, wie es ist, als waschechter Rheinländer den Bundeskanzler durch Berlin zu kutschieren. Keine einfache Aufgabe mit einer Bundestagswahl während der Session.
Für seine politischen Reden hat Singer die perfekte Quelle: Der berufliche Schwerpunkt des Juristen liegt in Berlin – direkt im Bundestag. Dort sitzt er hinter dem Präsidenten oder der Präsidentin und macht die Fragestunde des Deutschen Bundestages. „Da habe ich natürlich ohne Ende Inspiration.“ Das ganze Jahr über notiere er sich aber auch jeden Morgen Pointen. „Wie andere Leute ihren Frühsport machen, nehme ich mir die Tageszeitung. Und was mir dazu einfällt, kommt aufs Papier.“ Vieles davon überholt sich im Laufe des Jahres natürlich – besonders der 6. November, an dem das Ampel-Aus besiegelt wurde, hat einiges auf den Kopf gestellt. Denn für Singer gilt: „Aktualität schlägt Pointe.“
Rede wird ständig überarbeitet
Mit diesem Leitsatz wird es eine anspruchsvolle Session, oder? „Es ist schon anstrengend, aber es ist eben auch sehr unterhaltsam. Es macht Spaß. Das ist ja die Herausforderung.“ Von seiner Rede, die er beim Vorstellabend präsentiert hat, werde zum Ende der Session – seine letzten zwei Auftritte in der Bütt sind am Karnevalssonntag – kaum noch etwas da sein. Besonders schwierig sei diese Session aber für Fernsehauftritte, die TV-Sitzungen werden jetzt schon aufgenommen, einige sind schon im Kasten, aber ausgestrahlt werden sie erst zum Ende der Session, also nach der Bundestagswahl.
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Nicht nur aus Aktualitätsgründen überarbeitet Singer seine Rede während der Session. Bei seinen Auftritten hat der Schofför zwei für das Publikum unsichtbare Hilfsmittel auf der Bühne: Eins versteckt sich in seiner Mütze – verliert er den Faden, ist innen ein mit Stichwörtern bedruckter Zettel. Das zweite ist ein Diktiergerät in der Hosen- oder Brusttasche. Nach seinem Auftritt hört er sich die Aufnahme an; Witze, die viel Lachen geerntet haben, bekommen in seinem Skript ein Plus, was mäßig funktioniert hat, eine Schlangenlinie und was nicht getroffen hat, bekommt ein Minus. Bei drei Minuszeichen wird die Stelle überarbeitet – oder sie fliegt ganz raus.
Schofför plant Ende seiner Karriere in der Bütt
Singer teilt in jede Richtung aus, aber hauptsächlich bei den Regierungsparteien. Karl Lauterbach funktioniere etwa aufgrund seiner markanten Art immer gut, Witze über die Grünen würden derzeit wunderbar funktionieren. Auch die Opposition kriegt ihr Fett weg, im vergangenen Jahr etwa: „Was ist der Unterschied zwischen Friedrich Merz und einer Raupe? Aus 'ner Raupe entwickelt sich noch was.“ Darüber habe auch Merz selbst, den Singer regelmäßig im Aufzug treffe, gelacht.
Im Fokus steht aber natürlich der Fahrgast des Schofförs. Viele Jahre lang war das Angela Merkel. Die habe sich bestens geeignet: Protestantin, aus dem Osten und eine Frau, die intellektuell deutlich über ihm steht. Bei Scholz dagegen habe er erst seine Bedenken gehabt: „Anfangs dachte ich, zu dem fällt mir überhaupt nichts ein.“ Die Befürchtung hat sich aber schnell zerschlagen, spontan fallen Sätze wie „Seine Reden sind wie die A1, die enden nirgendwo“ oder „Olaf Scholz ist wie Schnee im Rheinland, ärgerlich, aber hält sich nicht“. Schon kurz nach der letzten Wahl hatte Singer in einem Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ Zweifel daran geäußert, ob Scholz vier Jahre sein Fahrgast bleibt. Auch der Bruch der Koalition kam für ihn nicht überraschend.
Nun könnte in der nächsten Session ein anderer Bundeskanzler oder eine andere Bundeskanzlerin im Auto vom Schofför sitzen – und es wird vermutlich sein letzter Fahrgast sein. „Ich werde jetzt wahrscheinlich noch zwei Jahre machen und dann ist es auch gut.“