Kölner Büttenredner„Man findet schwer Gehör, oft gehen die Leute zur Toilette“
- Unsere große Jeck-Check-Umfrage hat ergeben, dass sich 76 Prozent der etwa 8000 Befragten mehr Redebeiträge in den Sitzungsprogrammen wünschen.
- Dabei haben Redner auf Karnevalssitzungen schon lange kein einfaches Dasein mehr. Zahlreiche Jecke wollen lieber tanzen als zuhören.
- Willi und Ernst, „zwei Rentner aus Leidenschaft“, sprechen im Interview über die Schwierigkeiten der Redner in Köln, Sitzungspräsidenten, hässliche Weihnachtspullis und den 1. FC Köln.
„Willi und Ernst“, Sie sind als eines der letzten Zwiegespräche im Karneval unterwegs, dabei sind Sie noch nicht mal aus Köln.
Markus Kirschbaum: Gebürtig nicht, wir kommen beide aus Koblenz. Aber ich lebe seit 25 Jahren hier, meine dreijährige Tochter ist im Severinsklösterchen geboren.
Dirk Zimmer: Angefangen hat alles im Café Hahn. Da fand die „Blaue Bütt“ statt, der alternative Karneval von Koblenz. Da hat Volker Weininger seinen „Sitzungspräsidenten“ erfunden. Bei der „Bütt“ hatte auch ein Kölner die Finger im Spiel, Ralf Günther von Brainpool...
…der war mit Knacki Deuser früher bei Niegelungen…
Zimmer: Richtig, das waren ursprünglich alles Koblenzer, aber die beiden sind ja schon seit 30 Jahren in Köln. Ralf war damals unser erster Regisseur.
Kirschbaum: Wir sind dann über Klüngel im Fastelovend und beim Literarischen Komitee gelandet. Wir haben am Maarweg vorgesprochen und wurden drei Jahre von denen begleitet. Und nun hat Dirk die Fahrerei.
Zimmer: Volker Weininger hat es dann ein Jahr später bei der Kajuja versucht. Genial zu sehen, wie das bei ihm abgeht. Dieses haargenaue Arbeiten an Reden, diese Versatzstücke, das hat er in Koblenz schon entwickelt. Sehr akribisch.
Zur Person
Willi und Ernst, „zwei Rentner aus Leidenschaft“ stehen als Menschen gewordenes Zwiegespräch auf den Bühnen im Karneval. Dahinter verbergen sich die Schauspieler Dirk Zimmer und Markus Kirschbaum.
Wie arbeiten Sie? An einer Rede zu arbeiten ist ja was anderes als jeden Tag dasselbe Lied zu singen.
Zimmer: Definitiv. Aber es gibt auch große Unterschiede zum Zwiegespräch. Für einen Redner ist es relativ einfach, einen aktuellen Einzeiler zur Wahl in Thüringen einzubauen. Wir müssen versuchen, das im Zwiegespräch zu lösen. Wir spitzen ein Thema an und gehen dann improvisierend auf die Gag-Suche. Im Dialog.
Kirschbaum: Natürlich schreiben wir ein Grundkonstrukt, damit wir Anlaufpunkte haben. In der Probephase blüht das auf, dann müssen wir den Blumenstrauß wieder stutzen, bis es auf den Punkt ist. Das ist wieder wie beim Redner, aber wir müssen immer Abgleichen – da müssen zwei Köpfe zusammenfinden. Wir arbeiten seit 2005 zusammen, 2007 kam das erste „Willi und Ernst“-Duo-Programm. Kennengelernt haben wir uns schon 1992.
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Wie schwierig ist es, mit einem Redebeitrag auf die Bühne zu gehen?
Kirschbaum: Da haben wir die Tage noch mit „Nubbel“ Michael Hehn drüber gesprochen: Es ist schwer, in vielen Sälen ab bestimmten Redepositionen noch Gehör zu finden. Weil die Leute dann sehr viele Toilettengang-Aktivitäten haben, herrscht große Unruhe. Was übrigens auch Bernd Stelter bestätigt, der ja mit seiner Gitarre immer noch Aufmerksamkeit wecken kann. Gute Literaten gucken, dass die Redner relativ weit vorne im Programm sind. Gute Sitzungspräsidenten geben dir ein Bett, fahren den Saal noch mal runter – das hilft. Der Trend zu Nostalgie-Sitzungen oder anderen rednerfreundlichen Formaten hilft auch, denn die Besucher wissen von vorneherein, dass es eher was aufs Ohr gibt als was fürs Tanzbein. Aber es ist schwer.
Zimmer: Aber wenn’s funktioniert, ist es genial. Wenn ein Saal zuhört, wenn man beim Jeckespill merkt, die Zuhörer kleben an einem, wenn man die Freude vermittelt, dann ist es genial. Wenn man eine Chance hat und die volle Aufmerksamkeit gewinnt, das ist toll.
Kirschbaum: Oder Mädchensitzung bei den Müllemer Junge. Sitzungsleiter Alex Dick bereitet dir die Bühne, der sagt den Damen, jetzt kommt noch mal was zum Zuhören, konzentriert euch, danach machen wir Party. Dann kommst du auf die Bühne, kannst auch die leisen Nuancen bringen und hast den Saal stehen.
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Und das geht auch im großen Saal?
Kirschbaum: Klar, da waren 1100 Frauen bei den Müllemer Junge, die Woche davor bei der Schlebuscher KG im Leverkusener Forum 1200 Männer, mucksmäuschenstill. Toll.
Zimmer: Die Wichtigkeit des Sitzungspräsidenten wird oft unterschätzt. Wenn der eine Autoritätsperson ist und wirklich sagt: Leute, hört zu, das lohnt sich, dann ist das enorm hilfreich. Oder mal dazwischengeht, wenn es unruhig wird, das kann einen retten. Der Grat zwischen Scheitern und Gewinnen kann verdammt schmal sein.
Kirschbaum: Der Udo Beyers von „Unger uns“ wartet so lange, bis es still ist, selbst wenn das dauert. Und dann sagt er ganz langsam und leise: So – und jetzt viel Spaß – mit Willi und Ernst.
Zimmer: Gutes Tuschen der Saalkapelle ist auch wichtig, in den richtigen Momenten für Aufmerksamkeit sorgen. Bei Unruhe ein kleines Liedchen einstreuen. Die Orchester Quodt und Blödgen oder der Soundexpress, die sind richtig gute, intuitive Tuscher. Die setzen auch musikalisch auf einen Gag noch einen drauf.
Gibt es eine Renaissance der Redner?
Kirschbaum: In den großen Sälen nicht, da werden fast immer dieselben engagiert. Obwohl es sicher den einen oder anderen gäbe, der da gut hinpassen würde. Wir arbeiten dran, beständig, beharrlich. Wir sind in vielen großen Sälen unterwegs, häufig aber im Umland. In Köln treten wir mit Ausnahmen eher bei kleineren Gesellschaften auf sowie bei Pfarr- oder Brauhaussitzungen.
Spielt da der fehlende Dialekt eine Rolle?
Zimmer: Das würde ich mit einem Schmunzeln abtun: Im Gürzenich ist doch eher wenig Dialekt. Cantz, Schopps, Stelter. Das Entscheidende ist doch, die kölsche Seele zu treffen. Volker Weininger ist ja auch kein Kölsch in dem Sinne.
Und für die kölsche Seele tragen Sie einen FC-Pulli?
Zimmer: Nein, das ist von Herzen. Ich bin ein Erfolgs-Fan, war 1983 im Stadion und habe den Pokal mitgenommen. Willi hatte immer hässliche Weihnachtspullis an, und als der FC auch einen herausbrachte, habe ich zugegriffen.
Kirschbaum: Und hier mein Greesberger-Geißbock-Orden ist auch eine Herzensangelegenheit. Der Virus kam 1978, da hat mein Vater mich zu einem 4:0 gegen Alemannia Aachen mitgenommen, dann gab’s noch einen FC-Schlafsack, und es war um mich geschehen.
Hier erfahren Sie alle Ergebnisse des „Jeck-Check“
Was wäre ein Witz, um die kölsche Seele zu treffen?
Zimmer: Das skurrile ist ja: wenn die Stimmung gut ist, funktioniert jeder Witz. Traditionell sind kölsche Zwiegespräche ja auf Klamauk aufgebaut. Nehmen wir das Colonia Duett, fast egal, was die geredet haben. (spricht wie Hans Süper) „Warste mit dinger Frau om Flohmarkt? Om Flohmarkt? Om Flohmarkt? Mit dinger Frau? Biste se losjewoode?“ Der Witz ist so mittel, aber durch die Figuren und den Vortrag wird das ein Kracher. Das so hinzubekommen, ist wahnsinnig viel Arbeit, sicher mehr als bei einem einzelnen Redner, aber dafür habe ich auch einen Halt auf der Bühne. Wenn etwa ein Saal unruhig ist, wenn niemand zuhört, dann stützen wir uns gegenseitig. Wir können nach den Auftritten im Auto drüber reden, dass der Frust erst gar nicht aufkommt. Egal, wie viel Geld du verdienst, du bist immer Künstler.
Kirschbaum: Und als Künstler stehst du immer mit heruntergelassener Hose auf der Bühne. Egal wie es läuft, eine Hälfte im Saal hört ja doch meistens zu, und dann ist das okay.
Aber man geht schon auch mal von der Bühne und denkt: Boah, waren das Vollpfosten.
Kirschbaum: Klar. Herrensitzung in der Eifel, der Literat hat uns gebucht, da haben die schon dreieinhalb Stunden gesoffen. Das war laut wie im Stadion vor dem Anpfiff. Der Präsident hat sich bedankt, dass wir das professionell durchgezogen haben, aber mitgekriegt hat das niemand. Am nächsten Tag haben wir den Fanny von den Rabaue getroffen, die haben da auch gespielt. Auf den Tischen standen Jägermeisterpyramiden, nur um das Niveau deutlich zu machen. Zum Schlusslied wachte einer auf, der auf dem Tisch geschlafen hatte, und Fanny fragte ihn, wie denn die Sitzung gewesen sei. „Eijentlich janz juut, ävver do woren so zwei Holländer, Willi und Johann, dat waren Bauchredner – dat wor nix!“
Zimmer: Auf derselben Sitzung standen am Ende zwei und brüllten „Zugabe“. Wir haben gedacht, die wollen uns verarschen. Aber die sind draußen im Foyer gekommen, wollten ein Autogramm und sagten „Super Vortrag – wir sind übrigens nüchtern.“ Dat es Karneval.
Sie haben am Mittwoch bei der KG Greesberger im Maritim ihren 1000. Auftritt im kölschen Fastelovend.
Kirschbaum: 2012 war unsere erste Session, das sind dann jeweils so zwischen 120 und 150 Auftritte, je nach Länge der Session.
Und dann gibt es zehn Monate Urlaub?
Kirschbaum: Nein, wir sind ja beide noch Schauspieler. In der Winterzeit spielen wir ein Boulevardstück in Koblenz. Da kommen mittlerweile auch viele Kölner Vereine vorbei. Dann spielen wir an den Städtischen Bühnen Koblenz. Ich habe 17 Jahre bei „Zimmer frei“ die Bilderrätsel und anderes gedreht.
Zimmer: Wir sind immer noch der Kleinkunst verhaftet, aber die ersten zwei Monate des Jahres werden halt jetzt durch den Fastelovend gefüllt – und das ist ein Traum, wenn man mit dem Karneval in Koblenz aufgewachsen ist.
Kirschbaum: Zumal da ja ganzjährig als Synergie-Effekt Termine dazukommen. Schützenfeste, Verabschiedungen von Mariechen.
Also Sommerkarneval machen Sie auch?
Kirschbaum: Ne, diese Jeck-im-Sunnesching-Geschichte machen wir nicht mit, das ist ja eher was für Bands. Wir treten zu besonderen Anlässen auf, und im Endeffekt kommen wir mit „Willy und Ernst“ auf 250 Auftritte im Jahr. Wir wachsen immer mehr rein in diese Rentnerrolle. Haare grau färben muss ich längst nicht mehr. Und der Dirk hört auch schon schlecht.