Kölner Karneval im Lockdown„Wir müssen die Füße stillhalten, damit das Virus weggeht“
Köln – Noch vier Wochen bis Rosenmontag. Normalerweise hätte die Stunksitzung jetzt rund 30 Termine hinter sich, würde der Gürzenich Doppelschichten mit Mädchensitzungen fahren, in den Festzelten am Stadtrand bei Herrensitzungen und Kinderkostümpartys die Post abgehen, in den Brauhäusern geschmaust und gefeiert. Menschen würden zusammen schwaade, singe, schunkele, drinke, bütze un danze. Freunde und Fremde, Arm in Arm, manchmal hautnah, Hauptsache Alaaf! Tausende Schüler und Veedelsjecke würden basteln, schneidern, malen für ihren Zoch.
Im Lockdown ist nichts, wie es war. Die komplette Veranstaltungs- und Gastronomiebranche ist trockengelegt, hängt am Tropf der Novemberhilfen, die nicht überall ankommen. Nicht alle werden die Pandemie überleben. Von Sartory bis Lachende Arena, von E-Werk bis Eckkneipe – alles steht leer. Das Dreigestirn ist zwar proklamiert, muss aber statt 400 lustvollen Live-Auftritten nun Videostreams aus der Hofburg abarbeiten. Karneval virtuell – allein die Vorstellung macht sentimental. Darauf einen Schabau gegen die Winterdepression, aber alleine trinken macht auch nicht glücklich. Hat da einer Helau gerufen? Und der neue Trend, statt an Sitzungen teilzunehmen Bilder davon aus den Vorjahren in den sozialen Medien zu teilen, zieht einen endgültig runter. Die Aussichten auf leere Straßen im Straßenkarneval tun ein Übriges. Wir haben mit jecken Menschen gesprochen, wie es ihnen damit geht.
„Wehmütig“, sagt Thomas Brauckmann, „ich bin sehr wehmütig“. Der Bauunternehmer, Prinz Karneval im Dreigestirn 1997 mit seinem Bruder und seinem damaligen Schwager, Bannerhär der Narrenzunft, Dauergast mit der kompletten Familie bei der Proklamation, ist ein feierfreudiger Vollblutkarnevalist – und geflüchtet. Seit Weihnachten hat er sich mit seiner Frau nach Mallorca zurückgezogen, liest keine Zeitung, nichts. „Was soll ich in Köln?“, fragt er sich, im Homeoffice könne er auch auf der Insel arbeiten. „Der Abstand macht es leichter“, sagt Brauckmann, der es dann aber doch nicht so ganz lassen kann.
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Den Korpsappell der Prinzen-Garde hat er sich per Stream reingezogen. Sein Fazit: Karneval am Bildschirm ist es so eher nicht. „So einen Blödsinn müssen wir uns anschauen, das macht traurig.“ Mit der Narrenzunft will er sich aus digitalen Formaten raushalten, das habe man schon im Herbst so beschlossen. In ein paar Tagen, wenn er wieder in Köln ist, soll es ein Care-Paket mit Orden für die Mitglieder geben, später noch das Liederheft.
Weit weg von den Leuten
„Gar nichts machen ist keine Option“, findet Ingo Hundhausen, Präsident der KG Närrischer Laurentius aus Porz-Ensen. Um seinen Laden zusammenzuhalten, wie er es ausdrückt, sucht der Schreiner trotz der „vollkommen richtigen Corona-Schutzmaßnahmen“ den Kontakt zu den Mitgliedern. So können sich diese ihren Orden bei zwei Vorstandsmitgliedern auf dem Wochenmarkt persönlich abholen. Statt der alljährlichen Sitzung im Bürgerzentrum Engelshof hat er für Karnevalsfreitag einen Live-Stream von ebendort aufgesetzt: mit Martin Schopps, Jörg Runge, dem Porzer Dreigestirn und Gesang von Tenor Norbert Conrads. „Das wird ruhiger, traditioneller“, sagt Hundhausen, „aber die Leute saugen das auf wie einen Schwamm. Die Sitzung ist hier immer Dorfgespräch.“
Im Moment sei der Karneval außer bei „einer Handvoll Funktionäre“ weit weg von den Leuten, aber das werde sich zum Karnevalswochenende ändern. Er rechnet mit 250 Menschen, die sich den (dank Sponsoren) kostenlosen Stream ansehen und auch aktiv einbezogen werden. Es gibt einen Kostümwettbewerb, Fotos aus den Wohnzimmern können eingespielt werden. Und „das Ungesunde, was man sich sonst im Saal gönnt“, liefert ein Caterer auf Bestellung frei Haus. „Die Menschen sind extrem dankbar für alles, was passiert“, ist sich Hundhausen sicher. Nur im Straßenkarneval wird wohl nichts passieren. „Das werden normale Werktage. Ich gehe zum ersten Mal in meinem Leben an Rosenmontag arbeiten.“
Walter Oepen kann das nicht: Der frühere Puppenspieler am Hänneschen-Theater ist Rentner. „Noch bin ich resistent dagegen, gar nichts zu tun“, sagt Oepen, der sonst im Straßenkarneval mit den Ahl Säu um die Häuser zieht, grinsend. „Fastelovend ist für mich persönlich psycho-systemrelevant.“ Er betont, alle Corona-Schutzmaßnahmen befolgen zu wollen, aber es könne doch eigentlich nichts dagegen sprechen, alleine „op d'r Stroß met der Quetsch vürm Buch“ rumzuziehen und Musik zu machen, natürlich mit einem „karnevalistischen Schnüsslappe vür d’r Nas“. Oepen will abwarten, ob das akzeptiert wird – problematisch sei nur das Pipimachen, wenn alles zu hat.
Sambatruppe in Weiß
Musik macht auch Eva Maria Pätzold. Die Grundschullehrerin, die seit Jahren die Sambatruppe der Albert-Schweitzer-Grundschule in Weiß leitet, wird derzeit schulisch aufs Virtuelle reduziert. Beim Singen ginge das noch, beim Trommeln nicht mehr. Die Kinder müssten gerade auf Vieles verzichten. „Dabei geben Rituale Halt in dieser Zeit“, sagt sie. Auch damit die Ängste nicht zu viel Raum und Gewicht bekommen, schickt sie den Kindern Videos zum üben, um dann in Videokonferenzen das Eingeübte gemeinsam zu singen.
Der Kölner Kinderbauer Leopold Enderer ist in ihrer Klasse. Pätzold ist traurig darüber, was er alles in „seiner“ Session verpassen wird. An der Schule war eine Station der „Pänz große Pause“-Tour geplant, mit Bands, Kinderdreigestirn und großem Bohei. Dafür hätten alle Schüler eine rut-wieße Karnevalskappe aus Papier gebastelt, um ihren kleinen Bauern zu feiern. „Irgendwas müssen wir uns jetzt einfallen lassen,“ sagt die Frau aus Unna, die selbst total gerne Karneval feiert, aber sich auch „rigoros“ an die Regeln hält. „Mein Papa hat immer gesagt: Handle klug und bedenke das Ende.“ Sie will jetzt das „Loss mer singe zo Hus“-Paket ausprobieren. Karneval ohne Kneipe sei furchtbar, „aber vielleicht geht’s ja trotzdem“.
Auftritte vor dem Aus
Redner Martin Schopps hätte normalerweise etwa 200 Auftritte absolviert. Jetzt, so sagt er sarkastisch, „war bei der Pripro schon Bergfest“. Ein paar Auftritte in Autokinos sollen noch dazukommen. So planen die neun Traditionskorps am 5. Februar in Porz ein „Festival der guten Laune“– bleibt zu hoffen, dass das Wetter gut wird, denn nur im Cabrio wird von der großen Uniform der Teilnehmer auch etwas zu sehen sein. Für Schopps sind Auftritte vor Autos oder nur für die Kamera „ein aufregendes Feld“. Zumal sie durchaus gefragt sind: Die Autokinos sind ausverkauft, und das Portal „Jeckstream.de“ vermarktet seine Sitzungspakete erfolgreich, allein mehr als 50 Vereine haben ein eigenes Format gebucht. Kollege Marc Metzger hat sich gegen Auftritte in der Pandemie entschieden. Dem „Express“ hatte er jüngst gesagt: „Meine Rolle funktioniert nur mit Publikum. Den Blötschkopp kann ich nicht in den leeren Saal hineinspielen.“ Es fehle einfach die Interaktion.
Der Austausch fehlt auch Marco Spyker, Flötist und zweiter Vorsitzender beim THC Kalk/Humboldt, während der Session der Spielmannszug der Roten Funken. „Das Vereinsleben liegt brach, der Spirit fehlt, das Musizieren mit den Freunden.“ Keine Proben, keine Auftritte, kein Zoch, keine Motivation. Das sei zwar traurig, aber auch nicht zu ändern. Der junge Familienvater sieht es pragmatisch: „Wir müssen jetzt die Füße stillhalten, damit das Virus weggeht.“