Alkoholexzesse, Übergriffe, Müll, eine „Ballermannisierung“ – auch im Vorfeld dieser Karnevalssession wird das Feierverhalten junger Menschen in Köln wieder scharf kritisiert. Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht dabei immer die Zülpicher Straße. Dabei feiern junge Kölnerinnen und Kölner nicht nur an anderen Orten der Stadt deutlich gesitteter – sie engagieren sich auch in Traditionsgesellschaften.
„Ständiges Thema“Wie es um den Nachwuchs in Kölner Karnevalsgesellschaften steht
Bei einer stichpunktartigen Abfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ will keine Gesellschaft über mangelnden Nachwuchs klagen. Das Zepter in der Hand halten aber noch immer die „Alten“ – die auf der Straße und auf Social Media versuchen, neue Mitglieder zu akquirieren.
Karnevalisten werden vor allem auf der Straße erreicht
„Auch im dritten Corona-Jahr erleben wir ein ungebrochenes Interesse an einer Mitgliedschaft in unserem Korps“, sagt Maximilian Rudloff von der Nippeser Bürgerwehr. Die „Appelsinefunke“ stellten im Jahr 2018 mit dem jetzigen Präsidenten Michael Gerhold einen der jüngsten Karnevalsprinzen aller Zeiten: In seinem Amtsjahr war er erst 30 Jahre alt. Die meisten Berührungspunkte mit der Gesellschaft fänden die Menschen aber bei Events auf der Straße, so Rudloff. „Was die Menschen besonders anspricht, sind Veranstaltungen wie unsere Sessionseröffnung am Abend des 11.11. auf dem Eigelstein oder die Straßensitzung auf dem Wilhelmplatz an Weiberfastnacht.“
Kölner Karneval: Mitglieder gewinnen auf Social Media
Wer vorher noch keinen Kontakt zu traditionellem Karneval hatte, findet hingegen nur schwer zu einer Gesellschaft, sagt Martin Müser von Jan von Werth. Lediglich 18 der insgesamt 350 Mitglieder sind zwischen 18 und 32 Jahre alt. „Junge Menschen zu gewinnen ist ein ständiges Thema“, so Müser. In Kneipen würden die Mitglieder in Uniform öfter von Feiernden angesprochen, Karnevalisten mit ernsthaftem Interesse werden dann zu Stammtischen eingeladen. Digital reichten eine Webseite und Facebook nicht mehr, um ein jüngeres Publikum zu erreichen. „Wir wollen auch durch Social Media attraktiv bleiben, sind bei Instagram und Tiktok.“
Das Stichwort „Social Media“ fällt auch bei der Damengesellschaft Colombina Colonia. „Unsere jüngeren Mitglieder arbeiten ganz anders, digitaler, setzen neue Impulse", sagt Vize-Präsidentin Susanne Diessner-Trum. 35 Prozent der Colombinen seien unter 50, ein Viertel sogar unter 30 – „bei 500 Mitgliedern ist das schon eine ganze Menge“, so Diessner-Trum. Damit sind die Colombinen im Vergleich deutlich jünger als die männlichen Traditionskorps. In Kölns erster Damengesellschaft engagieren sich viele junge Frauen, die aus den Tanzgruppen der Traditionsgesellschaften herüberwechseln. „Die Frauen suchen sich uns ganz gezielt aus“, sagt die Vize-Präsidentin.
Colombinen: Frauengesellschaft deutlich jünger
Die Colombinen können sich daher auch ein strenges Auswahlverfahren erlauben. Nach einer schriftlichen Bewerbung hospitieren die Frauen zunächst zwei Jahre, bevor entschieden wird, ob sie in die Gesellschaft aufgenommen werden. „Wer einfach im Rosenmontagszug mitlaufen will, ist bei uns falsch“, sagt Diessner-Trum. Die jungen Frauen organisieren selbst Veranstaltungen, um die Gesellschaft zukunftssicher zu machen, haben die Colombinen kürzlich erst ihren Vorstand verjüngt. „Wenn die Älteren irgendwann aufhören, brauchen wir jüngere Mädels.“
Über Nachwuchsprobleme wollen auch die Altstädter, die in den vergangenen zwei Jahren das Dreigestirn stellten, nicht klagen. Die Altersstruktur schwankt je nach Bereich allerdings stark. „Im Senat fängt man frühestens mit Mitte 30 an, da sollen gestandene Männer sitzen“, sagt Heinz Schulte von den Altstädtern. Die jüngeren Mitglieder wachsen über die Tanzkorps in die Gesellschaft hinein. Allein anhand der Dreigestirne lasse sich allerdings erkennen, dass der Karneval eine deutliche Veränderung durchlebe. „Die Verknöcherung der Vergangenheit ist nicht mehr da“, sagt Schulte. „Es passiert etwas. Zwar langsam, aber es passiert.“
Zur Serie „Junges Köln“
Studieren, arbeiten, feiern und lieben: Köln ist ein Magnet für Menschen zwischen 20 und 35 Jahren, die das und mehr hier erleben wollen. Jedes Jahr ziehen Tausende in die Stadt, auf der Suche nach Abenteuer – und einem neuen Zuhause. Aber: Wie sieht ihre Lebensrealität wirklich aus? In unserer neuen Serie „Junges Köln“ wollen wir den Blick auf junge Kölnerinnen und Kölner lenken und davon erzählen, was sie bewegt. So sind wir etwa in der Technoszene unterwegs, versuchen zu erkunden, was die Faszination ausmacht. Oder begleiten Singles beim Dating auf der Suche nach der wahren Liebe.