AboAbonnieren

Rosenmontagszug-KritikStarke Persiflagen und einmaliger Weg beim Kölner Karnevalsjubiläum

Lesezeit 4 Minuten

Der Kölner Rosenmontagszug hatte einiges zu bieten – nicht nur einen einmaligen Zugweg.

Zum 200. Geburtstag des organisierten Kölner Karnevals sollte der Rosenmontagszug etwas ganz Besonderes werden. Das – lässt sich feststellen –, ist Zugleiter Holger Kirsch und seinem Team eindrucksvoll gelungen. Was natürlich auch am veränderten Zugweg lag. Erstmals startete der Zoch rechtsrheinisch am Deutzer Bahnhof, ging durch Düx un övver de Bröck und endete auf der erleuchteten Vringsstroß.

Kölscher geht kaum, aufwendiger auch nicht. Deshalb wird dieser Weg wohl vorerst einmalig bleiben. Das Festkomitee wollte Geschichte schreiben, das ist ihm gelungen. „Ov krüzz oder quer…“ – das zu Recht gelobte Motto steht für einen Karneval, der verbindet, der bunt ist, tolerant und vielseitig. Das konnte man im Zug sehen. Die Bilder mit dem Panorama werden um die Welt gehen.

Dass der Zug Verspätung hatte – der Prinz kam mehr als eine Stunde später am Alter Markt an als geplant –, lag an mindestens zwei Wagenpannen und am Engpass Severinstraße. Als die Zugspitze dort ankam, war es bereits so voll, dass die Straße erstmal geräumt werden musste.

Stimmung

Der Stimmung tat das keinen Abbruch. Nach zwei weitgehend ausgefallenen Sessionen endlich wieder uneingeschränkt Karneval feiern zu können, sorgte schon in vielen Sälen für euphorisches Feiern. Das übertrug sich auch auf den Rosenmontagszug – bei Teilnehmern wie bei Besuchern. „…mer losse nit, mer losse nit vum Fasteleer“.

Kostümierte Frauen lachen und jubeln in die Kamera.

Die Jecken waren glücklich.

Wetter

Bei Sonne und Temperaturen um zehn Grad muss man sagen: ein Traum. Miljö würden singen: „Et Jrößte!“

Zoch in Zahlen

Der mit 8,7 Kilometern längste Rosenmontagszug aller Zeiten hatte rund 12 000 Teilnehmer in 78 Gruppen, von denen etwa 1600 auf den 24 Persiflagewagen und 80 Festwagen mitfuhren. Die große Mehrheit ging zu Fuß, darunter 1700 Tanzgruppenmitglieder und 1260 Musiker in 65 Kapellen. 3840 Helfer wie Kamellejunge waren im Einsatz. In Richtung der 81 Tribünen und 68 Lkw-Tribünen wurden rund 300 Tonnen Süßigkeiten geworfen, darunter 700000 Schokoladentafeln, 220000 Schachteln Pralinen und 300000 Strüßjer. Das Wurfmaterial wurde von den einzelnen Zugteilnehmern selbst bezahlt. 2200 Personen an Sicherheitspersonal (Zugordner, Wagenbegleiter, Personal an den Deichseln) begleiteten den Zug oder sicherten die Tribünen. Zudem waren rund 2300 Polizeibeamte aus ganz NRW im Einsatz. Die größte Gruppe im Zug mit 683 gemeldeten Teilnehmern stellten die Roten Funken. Die Altstädter und die Prinzen-Garde lagen knapp dahinter (681 und 662).

Persiflagewagen

Das ohnehin schon breite Portfolio an Persiflagewagen hatte einen Fokus auf die Weltpolitik, der durch zwei Überraschungswagen ergänzt wurde. Eindrucksvoll der Wagen, der Kritik am Mullah-Regime im Iran übt. Der Tod von Mahsa Amini in Polizei-„Gewahrsam“ hat im Iran gewaltige Proteste ausgelöst. Mutige Frauen haben sich „Frauen Leben Freiheit“ auf die Fahne geschrieben und demaskieren die Religionsfanatiker, die gar nicht mehr so standfest wirken. Der zweite Wagen nimmt die Taliban auf die Schippe. Der Westen war noch nicht ganz aus Afghanistan rausgestolpert, da hatten diese das Land schon wieder unter ihrer Fuchtel. Aber auch sie folgen dem Zeitgeist und wollen diesmal viel netter sein als bei ihrer ersten Schreckensherrschaft. Sogar zu Frauen – dumm nur, dass der „Strauß bunter Ideen“ hochexplosiv ist.

Eine Talibanfigur mit einem Strauß Blumen und einer Bombe in den Händen.

Der Taliban-Persiflagewagen wurde bis kurz vor Beginn des Zochs geheim gehalten.

Was allerdings sehr nachdenklich stimmen sollte: Beide Persiflagen wurden auf Empfehlung der Sicherheitskräfte zu Geheimwagen, zu groß die Sorge, dass irgendwelche Fanatiker darauf reagieren könnten. Weitere Themen: Putin als Nosferatu, das Comeback Trumps, der Rechtsruck in Italien, grüne Realpolitik oder die Zülpicher Straße, Kölns karnevalistischer Krisenherd. Dabei greift jeder Wagen ein Motto einer früheren Karnevalssession auf und transportiert dieses in die aktuelle Zeit. Wie ein roter Faden ziehen sich so die Mottos aus 200 Jahren Kölner Karneval durch den Jubiläumszug. Das war insgesamt stark.

Tanzgruppen

Die eindrucksvolle Zahl der Kölner Tanzgruppen prägte auch den Zoch und lieferte viele schöne Bilder. Der Jubel der Menge sollte den Tänzerinnen und Tänzern Ansporn sein für ihr zeitaufwendiges Hobby.

Pferde

Es waren nicht so viele im Zoch, aber ein Zug mit Pferden ist einfach schöner.

Pferde und Reiter auf der Deutzer Brücke mit dem Dom im Hintergrund.

200 Pferde gingen im Zug mit.

Held Carneval

Der neue Wagen des Großen Senat im historischen Kostüm des Wagens des ersten Held Carneval im ersten Zoch 1823 ist eine Bereicherung. Mit dem Altstädter-Dreigestirn der letzten beiden Sessionen sowie den beiden Kinderdreigestirnen wurden bei der Premiere die richtigen „Helden“ geehrt. In Zukunft sollen jedes Jahr andere Menschen für ihre Arbeit mit einer Zugteilnahme gewürdigt werden. Tolle Idee.

Zug vor dem Zug

Eine Tradition spätestens seit sich die Blauen Funken 1870 an de Spetz gesetzt haben. Mit den Ahl Säu und diversen politischen Gruppen ein Muss für jeden Frühaufsteher.