An Karneval sind auch viele Minderjährige in Köln unterwegs. Trotz Jugendschutzgesetz scheinen viele Kioske nicht das Alter zu kontrollieren, wie ein Test zeigt.
Test in Kölner Südstadt16-Jährige kommt an Karneval ohne Probleme an Hochprozentiges
Weiberfastnacht 2024. Es ist 13 Uhr auf dem Chlodwigplatz. Hunderte Menschen in bunten Kostümen drängen sich auf dem Bürgersteig und an der Bahnstation. Der Pegel ist hoch, die Stimmung gut. Durchbrochen wird das Gemisch von Gelächter, Gegröle und Musik nur ab und zu von den Sirenen der Krankenwagen. Sie bahnen sich ihren Weg zu denjenigen, die es mit dem Feiern wieder zu weit getrieben haben.
Marie testet, ob sie als Minderjährige an harten Alkohol kommt
Auch Marie (Namen von der Redaktion geändert) steht auf dem Bürgersteig. Sie trägt ein blaues Kleid, ein schwarzes Oberteil und Feenflügeln. Anders als für die meisten hier, geht für sie der Ausflug in den Kölner Straßenkarneval jetzt erst los. Denn bis eben war die 16-Jährige noch in der Schule. Jetzt trifft sie sich hier mit einem Freund, um zusammen weiterzuziehen.
Tim, der als Eisbär verkleidet ist, hat Marie zum Feiern etwas mitgebracht, das ein bisschen aussieht wie ein Munitionsgurt. Doch statt Patronen hält der Gurt kleine Schnapsfläschchen. Tim darf so etwas legal einkaufen, denn er ist 19 Jahre alt. Aber kommt Marie an diesem Tag auch dann an harten Alkohol, wenn sie niemanden hat, der ihn für sie kauft? Was ist der Jugendschutz in der Praxis wert?
Köln: Kioske müssten eigentlich nach dem Ausweis fragen
Um das herauszufinden, hat der „Kölner Stadt-Anzeiger“ die beiden zu einem kleinen Experiment eingeladen. Im Umkreis des Chlodwigplatzes versucht Marie in verschiedenen Kiosken Schnaps zu kaufen. Den dürften ihr die Geschäfte nach einem Blick auf ihren Ausweis gemäß Jugendschutzgesetz nicht verkaufen.
Doch dass die Kioske das Gesetz befolgen – gerade an Karneval, gerade hier – halten Marie und Tim eher für unwahrscheinlich. „Gerade wenn eine weibliche Person geschminkt ist, werden die einfach glauben, dass sie 18 Jahre alt ist“, meint Tim. Auch an anderen Tagen wird Marie beim Kauf von Zigaretten oder Schnaps an Kiosken selten abgewiesen.
Maries Mutter sieht den Verkauf sehr kritisch
Nachdem wir eine Weile gewartet haben, kommt noch eine Piratin hinzu. Maries Mutter Claudia hat bis eben noch gearbeitet. Sie möchte sehen, ob sie sich darauf verlassen kann, dass das Gesetz, das ihre Tochter schützen soll, auch wirklich gilt: „Ich erwarte, dass in jedem Laden nach dem Ausweis gefragt wird. Gleichzeitig ist mir auch klar, dass das vermutlich nicht passieren wird. Vor allem nicht mit diesem Gurt um.“ Der Gedanke, dass ihr Kind einfach so an hochprozentigen Alkohol kommen kann, mache sie „panisch“.
Aber vielleicht gibt es dazu ja gar keinen Grund. So ziehen wir los zum ersten Kiosk. Nach einer kurzen Besprechung geht Marie hinein. Keine Minute dauert es, da steht sie wieder vor dem Laden, in der Hand zwei kleine Schnapsfläschchen. Wurde sie nach ihrem Ausweis gefragt? Wenigstens nach ihrem Alter? „Die Besitzerin hat mich gefragt, warum ich denn schon so viele Fläschchen an meinem Gurt habe. Ich meinte mehr geht immer. Dann hat sie gesagt, 6 Euro bitte, und ich hab ihr das Geld gegeben.“ Claudia schaut besorgt: „Das ist genau das, was ich befürchtet habe.“
Was sagen die Kioskbetreiber dazu? Wir gehen hinein, sprechen die Chefin an. Warum hat sie gerade einer 16-jährigen, ohne nach dem Alter zu fragen, zwei Fläschchen Schnaps verkauft? „Ich habe jetzt keine Zeit dafür“, sagt die Frau mittleren Alters. Mit diesen Worten ist das Gespräch beendet.
Aber vielleicht sieht es beim nächsten Kiosk besser aus. Ein älterer und ein jüngerer Mann stehen am Eingang ihres Kiosk hinter aufgestapelten Bierkästen. Abwechselnd reichen sie nach draußen Dosen, Flaschen und Fläschchen, um den Durst ihrer Kundschaft zu stillen. Auch dann, wenn sie minderjährig ist? Marie geht hin und ist ein paar Augenblicke später wieder da. Ein paar Euro ärmer, eine Dose Whiskey mit Limonade reicher.
Frauen, die geschminkt sind, sehe man das Alter oft nicht an
Wir fragen nach. Der Verkäufer ist verdutzt: „Normalerweise kontrollieren wir schon. Aber heute in diesem Chaos geht das manchmal unter. Gerade Frauen, die Schminke tragen, sieht man oft ihr Alter nicht an.“ Dass direkt vor seinem Laden eine Polizeikolonne steht, scheint ihn nicht weiter zu kümmern. Statt auf weitere Fragen einzugehen, reicht er uns lieber einen Kräuterschnaps.
Macht es einen Unterschied, wenn die eigene Mutter mit im Laden steht? Offensichtlich nicht. Auch beim nächsten Kiosk ist Marie in Begleitung von Claudia nach einem kurzen Augenblick wieder da und schwenkt zwei kleine Pfefferminzliköre. Auch hier ist der Tenor ähnlich: „Normalerweise kontrollieren wir ja schon.“
Karneval: Marie wird nirgendwo nach ihrem Ausweis oder ihrem Alter gefragt
Nächste Adresse, selbes Spiel: Marie kommt mit einem Wodka-Mischgetränk zurück. Auf unsere Nachfrage hin gibt man sich hier wenigstens ein bisschen selbstkritisch: „Ich hab das gerade ehrlich vergessen. Bin einfach selbst schon richtig in Feierabendstimmung. Sonst kontrollieren wir immer.“
Auch bei den nächsten zwei Geschäften läuft es weder anders noch besser. Marie erweitert ihre Sammlung noch um ein weiteres Wodka-Mischgetränk und einen Feigenlikör. Dafür fangen die Betreiber nun sogar an, das Alter unserer Probandin in Frage zu stellen: „Die war doch nicht 16. So sieht sie gar nicht aus.“ Nach ihrem Alter oder gar ihrem Ausweis wird Marie nirgendwo gefragt. Stattdessen immer nur die Behauptung: „Normalerweise kontrollieren wir.“
Am Ende werten wir unser kleines Experiment aus. „Ich hab mir das schon fast so gedacht. Aber gefährlich es schon. Gerade für Mädchen“, sagt Marie. Ihre Mutter ist besorgt und wütend: „Es ist genau das, was ich befürchtet habe. Einfach erschreckend. Da muss sich dringend etwas ändern.“