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Kinderarmut in Köln„Wenn Projekte wie die Oper so aus dem Ruder laufen, werden Menschen zu Recht wütend“

Lesezeit 4 Minuten
03.09.2024 Köln. Kinderarmut: Gespräch mit Ingrid Hack und Hans Mörtter

Hans Mörtter und Ingrid Hack vom Verein Kindernöte in Köln fordern einen stärkeren Fokus auf benachteiligte Familien und Kinder.

Der frühere Südstadt-Pfarrer Hans Mörtter veranstaltet am 11. September ein Benefiz-Konzert mit vielen Prominenten in der Philharmonie.

„Alleinerziehende Mütter sind die Heldinnen unserer Zeit“, sagt Hans Mörtter. Und: „Wenn wir es nicht schaffen, Kindern in unserer Stadt einen guten Start ins Leben zu ermöglichen, dann können wir als Gesellschaft einpacken.“ Der frühere Südstadt-Pfarrer sitzt zusammen mit Ingrid Hack, Geschäftsführerin des Vereins Kindernöte Köln, im Lokal Filos auf der Merowinger Straße. Wer die Menschen hier vorbeiflanieren sieht, denkt nicht an Armut. Und doch, sagt Mörtter, „gibt es auch hier im Viertel immer mehr Bedürftige, vor allem alleinerziehende Frauen“.

„Wohl noch nie“, sagt Ingrid Hack, „war die Wohnungssituation für Alleinerziehende mit Kindern und für gering verdienende Familien mit Kindern so schwierig wie heute“. Familien mit zwei Kindern in zwei Zimmern, Alleinerziehende mit drei oder vier Kindern in zwei Zimmern – das sei zum Beispiel in Chorweiler, wo sie mit ihrem Verein arbeitet, „inzwischen eher die Regel als die Ausnahme“.

Wohl noch nie war die Wohnungssituation für Alleinerziehende mit Kindern und für gering verdienende Familien mit Kindern so schwierig wie heute
Ingrid Hack, Geschäftsführerin von Kindernöte Köln

Hack zitiert Studien, wonach in keinem europäischen Land der Bildungserfolg von Kindern so stark vom sozialen Hintergrund der Eltern abhänge wie in Deutschland, sie referiert über mangelnde Teilhabe in Vereinen und Ärztemangel in Brennpunktgebieten, nennt aber auch Lichtblicke wie den Babybegrüßungsbesuch und die enge Begleitung von Menschen bis zum 14. Lebensjahr. „Es ist nicht alles schlecht. In Chorweiler gibt es dank eines integrierten Handlungskonzepts inzwischen eine tolle Kletterwand am City-Center, einen Fitnesspark, einen Wasserspielplatz und einen Bolzkäfig, die Plätze sind enorm aufgewertet worden.“

Alles zum Thema Bläck Fööss

Realität sei aber auch: „Zu wenig OGS- und Kitaplätze in benachteiligten Vierteln, Fachkräftemangel auch im Bereich Sozialarbeit, zu wenig Aufklärung darüber, wie Zuschüsse für Klassenfahrten, Mittagessen oder Lernhilfen über das Bildungs- und Teilhabepaket beantragt werden können.“

Köln: Fast ein Viertel der Kinder und Jugendlichen gilt als arm

Rund 39.500 Kinder und Jugendliche bezogen laut statistischem Jahrbuch der Stadt Köln im Jahr 2022 Bürgergeld oder andere Sozialleistungen. Das heißt: Fast ein Viertel der Heranwachsenden ist von Armut betroffen. „Und für diese Menschen, die zum Teil schon seit Generationen zu wenig haben, und ihre Eltern gibt es in Köln zu wenig Lobby. Es ist unsere Pflicht, für sie unsere Stimme zu erheben“, sagt Hans Mörtter.

Der langjährige Pfarrer schlägt eine „Task Force“ aus Ehrenamtlichen und der Stadtverwaltung vor, „um das Thema Kinderarmut ganz oben auf die Agenda zu nehmen“. Er nimmt die Beispiele Opernsanierung und Ost-West-Achse – da gehe es um mehrere Hundert Millionen Euro für eine Sanierung, von der im Falle der Oper nur ein kleiner Teil der Gesellschaft profitiere. „Ich sage nicht, dass man das nicht machen sollte – aber man muss die Dimensionen im Blick halten. Wenn ein Projekt wie die Oper so aus dem Ruder läuft wie in Köln, führt das auf der anderen Seite dazu, dass die Menschen, die wenig haben und sich alleingelassen fühlen, wütend werden. Zu Recht.“

Ich bin wütend, dass Menschen aus dem Hahnwald oder Leute mit gutem Auskommen wie ich 250 Euro Kindergeld bekommen, das Bürgergeld bei Alleinerziehenden aber auf ihr Gehalt angerechnet wird
Hans Mörtter

Die Gefahr sei dann groß, dass „diese Menschen sich abwenden von den demokratischen Parteien, weil sie sich im Stich gelassen fühlen“. Wütend, sagt Mörtter, sei er auch. „Ich bin zum Beispiel wütend, dass Menschen aus dem Hahnwald oder Leute mit gutem Auskommen wie ich 250 Euro Kindergeld bekommen, dass bei alleinerziehenden Frauen, die Bürgergeld bekommen, aber auf ihr Gehalt angerechnet wird und Teile davon abgezogen werden.“ Er wolle „nicht hinnehmen, dass die Gesellschaft sich weiter spaltet“. Dafür müsse bei Kindern und Alleinerziehenden, die besonders von Armut bedroht seien, angesetzt werden.

Bandmitlieder der Bläck Fööss, im Hintergrund der Kölner Dom

Die Bläck Fööss spielten bei dem Benefizkonzert in der Philharmonie.

Mit der Benefizveranstaltung „S.O.S. Glow Up Your Power“ am Mittwoch, 11. September, 20 Uhr, in der Philharmonie will Mörtter gemeinsam mit Ingrid Hack und Pia Klemp, die als Kapitänin zahlreiche Seenoteinsätze im Mittelmeer geleitet hat, ein Zeichen gegen Kinderarmut setzen. Soufian Zoghlami und Max von Einem von der Band Bukahara, Lina Bo, Gerd Köster, die Bläck Fööss, Sandra und Lázaro Calderón, Szenario mit Butch Williams und Christoph Broll, Druckluft, Kozmic Blue, Richard Bargel, der Kabarettist Wilfried Schmickler sowie Michael Kokott und seine Chöre gehören zu den Künstlerinnen und Künstlern, die bei dem Abend auf jene Armut mitten unter uns aufmerksam machen, die vor allem Alleinerziehende und deren Kinder trifft.

Tickets gibt es an allen bekannte Vorverkaufsstellen. Der Reinerlös des Abends geht an den Verein Kindernöte e.V. Köln. Die Tickets kosten im Vorverkauf zwischen 15 und 37,50 Euro und an der Abendkasse: 25 bis 45 Euro.