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„Ich habe mich daheim verschanzt“Betroffene Kölner erzählen von ihren Zwangsräumungen

Lesezeit 5 Minuten

Wenn der Gerichtsvollzieher wegen Mietrückstandes klingelt, ist das Mietverhältnis meist zerrüttet.

  1. 1706 Wohnungen wurden 2018 in Köln zwangsgeräumt. Seit 2015 waren es gut 6900.
  2. Die Ursachen dafür, dass Menschen ihre Mieten nicht mehr zahlen, sind vielfältig,
  3. Zwei Betroffene berichten über ihre Erfahrungen und „die panische Angst“ dabei.

Köln – Die Zeit wird knapp für Rada Stepanova (Name geändert). Wenn kein Wunder geschieht, sind es noch drei Monate, bis der Gerichtsvollzieher an ihre Tür klopfen und die 40-jährige Bulgarin und ihren Sohn (10) aus ihrer Wohnung in Bocklemünd-Mengenich räumen lassen wird.

10.000 Euro Mietschulden sind in den vergangenen Jahren aufgelaufen; Geld, das Stepanovas früherer Partner vom Jobcenter erhalten, aber nicht an den Vermieter gezahlt habe, sagt sie. Mittlerweile hat der Mann Mutter und Kind verlassen. Nun würde sogar die Stadt einspringen und die Mietrückstände zahlen. Aber der Vermieter, eine Wohnungsbaugesellschaft, will die alleinerziehende Mutter nicht länger in der Wohnung dulden. Auch, weil der Mietvertrag auf den Namen des Ex-Partners läuft.

Zwangsräumungen sind in einer Großstadt wie Köln keine Seltenheit. Im vorigen Jahr wurden laut Angaben der Stadtverwaltung 1706 Räumungen gemeldet, seit 2015 waren es gut 6900. Die Zahl der Menschen, die einer Zwangsräumung nur knapp entgehen, ist unbekannt. Immerhin 6037 Kölner mussten 2017 von der Stadtverwaltung untergebracht werden, damit sie nicht auf der Straße landen – 25 Prozent mehr als noch 2016.

Vielfältige Ursachen

Die Ursachen dafür, dass Menschen ihre Mieten nicht mehr zahlen, seien vielfältig, sagt Anne Rossenbach vom Sozialdienst katholischer Frauen (SkF), der auch Stepanova betreut. Der Verlust der Arbeit, psychische und körperliche Erkrankungen können Auslöser von Mietschulden sein. Aber auch Mieterhöhungen oder Rechtsstreitigkeiten mit Vermietern können schnell zu einem Problem werden. Bundesweit bekannt wurde der Fall um den „Mietrebell“ Kalle Gerigk, der 2014 aus seiner Wohnung zwangsgeräumt wurde. Der Vermieter wollte das Haus im Agnesviertel luxussanieren.

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Die Stadt würde gerne schneller helfen. Das Problem: Sie erfahre von der drohenden Obdachlosigkeit erst durch eine Mitteilung des Amtsgerichts, dass eine Räumungsklage wegen Mietrückständen eingereicht wurde, heißt es in einer Mitteilung der Verwaltung an den Sozialausschuss. Mit einem Teil der Wohnungswirtschaft habe man mittlerweile eine Übereinkunft erzielt, dass die Vermieter die Stadt über eingeleitete fristlose Kündigungsverfahren informieren.

Schlaganfall, „depressives Loch“ und Panikattacken

Wie schnell man die soziale Leiter hinabfallen kann, zeigt der Fall von Paul Krüger (41, Name geändert). Das Unternehmen, bei dem Krüger als Systemtechniker beschäftigt war, meldete Anfang 2018 Insolvenz an und kündigte ihm nach 15 Jahren Betriebszugehörigkeit. Er habe sich mit anderen Jobs über Wasser gehalten, bis er kurze Zeit später einen leichten Schlaganfall erlitten habe und noch während der anschließenden Physiotherapie in ein „depressives Loch“ gefallen sei, wie er sagt. Er habe unter Panikattacken gelitten, sei nicht mehr vor die Tür gegangen. „Ich habe mich daheim verschanzt.“ Kein Job, kein Geld, unbezahlte Rechnungen. Es dauerte nicht lange, bis Strom, Gas und Telefon abgestellt wurden. Sein Vermieter, die GAG, schrieb ihn an. Krüger antwortete nicht, längst öffnete er seinen Briefkasten nicht mehr.

Zwangsräumung als letztes Mittel des Vermieters

Eine Kündigung des Mietvertrags ist möglich, wenn der Mieter zwei Mieten nicht gezahlt hat. Für eine Zwangsräumung, das letzte Mittel des Vermieters, benötigt der einen Räumungstitel vom Gericht. Mit dem Papier kann der Gerichtsvollzieher vom Vermieter mit der Räumung der Mietsache beauftragt werden. Der Gerichtsvollzieher setzt dem Mieter eine letzte Frist von drei Wochen, in der er die Wohnung verlassen kann. Erfolgt das nicht, beauftragt der Gerichtsvollzieher eine Spedition oder ein Unternehmen für den Umzug. Laut Zivilprozessordnung kann ein Mieter bis zum Ende der letzten mündlichen Verhandlung Antrag auf eine Räumungsfrist stellen.

Das Projekt Bermico ist unter Telefon 0221/ 33 77 06 33 zu erreichen, das Projekt Aufbruch unter der Rufnummer 0221/12 69 50. (ris)

bermico@skm-koeln.de

aufbruch@skf-koeln.de

Zu Krügers Glück ist die GAG Kooperationspartner im Projekt Bermico des Sozialdienstes Katholischer Männer und der Stadtverwaltung. Die Wohnungsbaugesellschaft informierte die Fachstelle Wohnen der Stadt über ihr Problem mit Krüger. Der säumige Mieter beschloss, die Beratungsstelle von Bermico in Ehrenfeld aufzusuchen. Die panische Angst, die Wohnung zu verlassen, habe er nur überwinden können, weil eine Schwester ihm während des gesamten Wegs per Handy Mut eingeflößt habe.

In jedem zweiten Fall könne Bermico helfen

Das Projekt Bermico (Beratung und Mietcoaching) wurde 2015 für den Stadtbezirk Ehrenfeld gegründet und war in den ersten drei Jahren so erfolgreich, dass es per Ratsbeschluss nicht nur zwei weitere Jahre gefördert, sondern auch auf den Bezirk Chorweiler erweitert wurde. Von 2015 bis 2017 seien ungefähr 800 Menschen in Notlagen kontaktiert worden, sagt Markus Kühn, Sachgebietsleiter soziale Beratung und Betreuung beim SKM. In jedem zweiten Fall könne Bermico helfen, die alte Wohnung zu behalten oder eine neue zu bekommen.

Bermico-Beraterin Renée Patt im Gespräch

Groß geschrieben wird bei Bermico die Prävention. Mieter sollen möglichst kommen, bevor ihr Vermieter eine Räumungsklage anstrengt. Am besten sollen sie schon dann um Hilfe bitten, wenn sie die erste Miete nicht mehr zahlen können. „Wer die erste Rate nicht zahlen kann, ist in Gefahr“, so Kühn. Denn ab der zweiten säumigen Zahlung könne der Vermieter eine Kündigung aussprechen. Und wer einmal ohne Wohnung dastehe, bekomme in einer Stadt mit einem so hohem Mietdruck wie Köln kaum eine zweite Chance, so Kühn. Im schlimmsten Fall – bei drohender Obdachlosigkeit – muss die Stadt die Menschen in ein Hotel einweisen.

Räumungsklage konnte gestoppt werden

Sozialarbeiter Sven Pierkes von Bermico hat das Schlimmste für Paul Krüger verhindert. Pierkes, der sich als Fallmanager für seine Klienten sieht, überzeugte die städtische Fachstelle Wohnen, die Mietrückstände für Krüger zu übernehmen, beantragte bei der Agentur für Arbeit Arbeitslosengeld I für seinen Klienten, so dass künftige Rechnungen bezahlt werden können. Strom, Gas und Telefon hat Krüger mittlerweile wieder. Seit einigen Monaten lässt er sich im sozialpsychologischen Zentrum Ehrenfeld betreuen. Schließlich konnte auch die Räumungsklage gestoppt werden.

Im Fall von Rada Stepanova ist dagegen noch keine Lösung in Sicht – trotz der Hilfe des SkF-Teams. Mitarbeiter des Projekts „Aufbruch“ suchen derzeit händeringend eine Wohnung für die Frau. Die Mitarbeiter wollen ihren Klienten auch eine neue Lebensperspektive bieten – Wohnung, Beruf, stabile Lebensverhältnisse – und können dazu auf ein ganzes Netzwerk von SkF-Projekten zurückgreifen. Eines davon ist Viadukt, mit dessen Hilfe wohnungslosen Menschen wieder zum Wohnraum verholfen werden soll. Ein Rausschmiss aus ihrer Wohnung in Bocklemünd-Mengenich käme für Mutter und Sohn zu einer Unzeit. Denn der zehnjährige Junge leidet an einem Herzfehler und musste in der Vergangenheit mehrmals operiert werden. Derzeit wird er in der Uniklinik betreut.