Die Jugendliche aus Syrien muss von ihrer Mutter ins Bett gehoben werden. Die Wohnungssuche blieb bislang erfolglos.
Wohnungsnot in KölnMädchen mit schwerster Behinderung lebt in Flüchtlingsunterkunft – seit acht Jahren
Rund 45 Quadratmeter misst die Wohnung im Flüchtlingswohnheim in Longerich, in der Shahed Kassas mit ihrer Mutter und zwei Geschwistern lebt. Durch den Flur ins Schlafzimmer fahren, das sie sich mit ihrer Mutter und ihrem zehnjährigen Bruder Amman teilt, kann die 17-jährige Shahed mit ihrem elektrischen Rollstuhl nicht. „Jeden Abend hebe ich Shahed vom Rollstuhl ins Bett, jeden Morgen wieder heraus“, sagt ihre Mutter Nisrin Ankar. Das ist nicht nur schwer – es ist auch nicht ungefährlich: Der Eingangsbereich, vor dem ein Kleiderschrank steht, ist ein Nadelöhr. Und das Mädchen wiegt kaum weniger als ihre Mutter.
Ähnlich ist es beim Duschen: Es gibt keine behindertengerechte Wanne mit elektrischer Hebebühne, die Mutter muss Shahed in die Nasszelle heben und auf den Schoß nehmen. „Duschen ist eine Katastrophe“, sagt die Mutter.
In der Schule geht es Shahed gut, zu Hause langweilt sie sich und kann nichts machen
Shahed Kassas aus Aleppo ist seit der Geburt mehrfach schwerst behindert, hat Pflegestufe fünf. Sie ist gelähmt, hat schwere Spastiken, den Rollstuhl kann sie mit einem Joystick steuern, ihre Hände aber nur sehr eingeschränkt nutzen. Wenn man Shahed danach fragt, wie es ihr in der Belvedere-Schule in Junkersdorf geht, lacht sie und sagt: „Gut, sehr gut!“ In der Schule hat Shahed das, was sie in der völlig beengten Wohnung zu Hause nicht hat: einen Schulbegleiter, der zwischen 8 und 15 Uhr allein für sie da ist, Raum, um Rollstuhl zu fahren, individuelle Förderung. Dazu eine Freundin, für die es ok ist, dass Shahed nicht gut sprechen kann und die sie gegen die zum Teil schonungslosen Kinder verteidigt, die sich darüber lustig machen.
Shahed nimmt am Sportunterricht teil und geht sogar schwimmen. „Was machst Du besonders gern? Rollstuhlhockey oder Basketball?“, fragt Klaus Stutzer. „Alles gern“, sagt Shahed fröhlich. „Ich liebe Schule.“
Klaus Stutzer begleitet Shahed an drei Tagen in der Woche in der Schule. Dort erlebt er ein fröhliches Mädchen, „das noch viel mehr individuelles Training bräuchte, zum Beispiel Logopädie. Ihr Entwicklungspotenzial ist sehr groß.“ Kurz vor den Ferien erlebe er allerdings stets eine traurige Shahed. „Ferien magst Du nicht so, weil Du hier nicht viel machen kannst, oder?“ – „Nein, mag ich nicht. Kann nichts machen.“
Krieg in Syrien: Shaheds Zwillingsbruder starb durch eine Granate bei einem Angriff auf Aleppo
Shahed Kassas lebt mit ihrer Mutter und zwei Geschwistern nicht seit kürzlich in der Flüchtlingsunterkunft am Lindweiler Weg – sondern seit acht Jahren. Sie war neun, als ihre Heimatstadt Aleppo in Syrien fast vollständig zerstört wurde. „Als Shaheds Zwillingsbruder durch eine Granate getötet worden ist, haben wir beschlossen, zu fliehen“, sagt ihre Mutter. „Bomben“, sagt Shahed. „Wenn man mit ihr über den Krieg redet, bricht es manchmal aus ihr heraus, dann merkt man, dass Shahed traumatisiert ist“, sagt Klaus Stutzer. Die Flucht brachte Mutter und Kinder – vom Vater hatte die Frau sich getrennt, nach Köln. „Hier sind wir sicher, aber es ist leider nicht gut in der Wohnung“, sagt Nisrin Ankar. „Vor allem für Shahed bräuchten wir Platz.“
Nach einer barrierefreien Wohnung mit drei, besser vier Zimmern sucht Mazen Zahed für die Familie, seit er sie nach ihrer Ankunft aus Aleppo kennenlernte. „Ich habe sie in Listen bei der Stadt Köln eingetragen, war bei der GAG und habe Anzeigen geschaltet“, sagt der ältere Herr, der ebenfalls aus Aleppo kommt und es sich zur Aufgabe gemacht hat, Kölner Flüchtlingsfamilien zu helfen, die es besonders schwer haben. Ein paar Besichtigungen habe es gegeben. „Bei den meisten Wohnungen werden wir aber nicht mal eingeladen“, sagt er. Eine Flüchtlingsfamilie aus Syrien, das schrecke schon einige Vermieter ab. „Wenn es dann noch ein behindertes Kind gibt, wird es unmöglich.“ Weder von der Stadt Köln noch von der GAG habe es bislang ein passendes Wohnungsangebot gegeben – in acht Jahren.
Dass die Mutter noch nicht gut genug Deutsch spricht, um die Wohnungssuche selbst zu organisieren, macht es noch schwerer. „Ich weiß, dass auch viele deutsche Familien keine Wohnung in Köln finden – gerade in dieser Größe“, sagt Mazen Zahed. „Aber ist es nicht trotzdem ein Armutszeugnis für eine Stadt, dass eine Familie mit einem schwerstbehinderten Kind acht Jahre in einer winzigen Flüchtlingsunterkunft leben muss?“