Kölner JubiläumVor 25 Jahren fand das legendäre „Arsch huh“-Konzert statt
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Köln – Anfang der 1990er Jahre geht in Deutschland ein Gespenst um – Rassismus und Fremdenfeindlichkeit grassieren, die Brandanschläge von Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen schockieren die Gesellschaft. Aus der Türkei stammende Menschen, Vietnamesen, Flüchtlinge und Asylbewerber müssen um ihr Leben bangen. In Köln will eine Gruppe von Musikern dagegenhalten: 1992, vor nunmehr 25 Jahren, heißt es zum ersten Mal „Arsch huh, Zäng ussenander!“ Unser Autor war dabei.
Im Oktober 1992 werden die Kölner Musiker Anke Schweitzer und Rolf Lammers unmittelbar damit konfrontiert, was es bedeutet, Angst zu haben. Der türkische Musiker Nedim Hazar, mit dem Schweitzer in der Band „Yarinistan“ gespielt hat, berichtet seinen Freunden von seinen persönlichen Erfahrungen mit Rassismus, Fremdenhass und Bedrohung im Deutschland jener Tage. Schweitzer und Lammers lässt diese Schilderung nicht los. Sie erzählen Freunden und Kollegen davon – ein Stein ist ins Wasser geworfen, die Frage, wie es wäre, wenn man selber was macht, steht im Raum.
Der Kölner Musikverleger Karl Heinz Pütz, bekannt dafür, nicht lange rumzudrucksen, sondern lieber „zu machen“, nimmt sich der Sache an und trommelt am 22. Oktober 1992 etliche Musiker im Stadtgarten zusammen. Noch ist da nicht so richtig klar, was überhaupt laufen soll, aber vorsorglich und zielorientiert, wie er war, hat Pütz schon mal die Medien eingeladen. Und so kommt es, dass neben anderen der „Kölner Stadt-Anzeiger“ nicht wie üblich nur berichtet, sondern auf einmal mittendrin und engagierter Teil des Projekts ist.
Ein Riff, ein Text, ein Mottolied
Die Runde, wie sollte es bei Musikern anders sein, kommt schnell überein: Ein großes Open-Air-Konzert soll es werden, dazu soll eigens eine CD produziert werden, deren Verkauf das Vorhaben finanzieren hilft. Als Termin wird symbolträchtig der 9. November, Jahrestag der Reichspogromnacht gewählt, und als Ort des Geschehens der Chlodwigplatz. Die Fläche vor dem Severinstor sollte reichen. Glaubt man jedenfalls. „Arsch huh, Zäng ussenander!“ soll das Motto der Veranstaltung lauten.
Knapp drei Wochen also bis zum Konzert. Nick Nikitakis hat ein schneidendes Gitarrenriff in der Schublade, Wolfgang Niedecken schreibt den Text, im Weilerswister Can-Studio wird das Motto-Stück aufgenommen: „Wie wöhr et, wemmer selver jet däät...“, Niedecken, Gerd Köster, Peter Brings, Henning Krautmacher, Jürgen Zeltinger, Anke Schweitzer, Tommy Engel und Marion Radtke singen die Strophen. BAP, Bläck Fööss, Brings, Höhner, L.S.E., The Piano Has Been Drinking, Viva la Diva, Jürgen Zeltinger und der erste Kölner Schwulenchor Triviatas sind ebenfalls auf der CD zu hören, deren Produktion auf den letzten Drücker die EMI übernommen hat.
Die Stadt erteilt unbürokratisch Genehmigungen, unter Zeitdruck werden Bühne und Technik organisiert. Alles klappt rechtzeitig, die Medien berichten beinahe täglich. Montag, 9. November 1992. Um 19.30 Uhr soll das Konzert beginnen. Gegen 18 Uhr schauen einige der beteiligten Musiker und Organisatoren oben auf der Severinstorburg aus den Fenstern auf den Platz. Und versuchen, ihre Enttäuschung zu kaschieren. Nur wenige kleine Grüppchen stehen dort unten und warten auf das, was da kommen soll. Die Stimmung ist im Keller.
Nicht nur die Band begeistern, auch die Redner
Aber kurz vor 19 Uhr schlägt Janus Fröhlich von den Höhnern auf einmal Alarm und schreit: „D’r Zoch kütt!“ Und wirklich, auch nach all den Jahren ist es der Gänsehaut-Moment des Abends: Wie Ameisen-Kolonnen strömen die Menschen aus allen Richtungen auf den Chlodwigplatz, sie kommen zum Teil geschlossen von einer Kundgebung, die auf dem Offenbachplatz stattgefunden hat. 100.000, so die Schätzungen, sind es dann gegen 19.30 Uhr, als Jürgen Zeltinger das Konzert eröffnet. Auf 25.000 bis 30.000 hatten die Organisatoren gehofft, jetzt gibt es da unten kein Vor und Zurück mehr, die Menschen knubbeln sich bis in den Ubierring und die Bonner Straße. Der WDR überträgt das Ereignis live im Radio, der Deutschlandfunk als Aufzeichnung.
Wenn man sich an diesen Abend erinnert, denkt man natürlich als erstes an die Musik all derer, die auch auf der CD zu hören sind und zu denen auf der Bühne noch die 4 Reeves gestoßen sind. Dass es eine machtvolle Kundgebung gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit wurde, ist aber auch den Wortbeiträgen zu verdanken: Willy Millowitsch, Elke Heidenreich, Jürgen Becker, Samy Orfgen, Jean Pütz, Klaus Bednarz und nicht zuletzt Edelweißpirat Jean Jülich finden eindringliche Worte.
Am Ende dieses aufwühlenden Abends sind alle Beteiligten platt und erschöpft, trinken still, aber glücklich noch ein paar Kölsch und ziehen sich ungewöhnlich schnell zurück. Was da gerade passiert ist, realisieren sie erst später. In den Wochen danach ist von Seiten der „AG Arsch huh, Zäng ussenander“, die sich nach dem Konzert als gemeinnütziger Verein gegründet hat, erst mal Funkstille. Kritische Stimmen nörgeln, auf dem Chlodwigplatz habe sich die kölsche Musik-Mafia selbst gefeiert. Die ebenfalls gegen Ausländerfeindlichkeit gerichtete Veranstaltung „Heute die – morgen Du“ einen Monat später in Frankfurt am Main, an der sich eine Arsch-huh-Abordnung beteiligt, wird vielfach verrissen – zu seicht, zu sehr von der Plattenindustrie gesteuert, heißt es.
Für ein offenes, tolerantes Köln
Aber die Kölner merken, dass der Chlodwigplatz nur ein Anfang war, dass sie auch ohne Mammut-Veranstaltung etwas ausrichten können. Die Künstler der AGAH bleiben in den Jahren darauf unentgeltlich bei Veranstaltungen aktiv, mit Karl Wachtel wird ein Geschäftsführer installiert, der die Aktivitäten koordiniert. Jetzt geht es nicht mehr nur gegen Rassismus und Neonazis, sondern um eine verantwortungsvolle Stadtgesellschaft, um „ein offenes, tolerantes, solidarisches Köln“ und gegen Rechtspopulismus.
Ein Medienpaket für den Schulunterricht entsteht, 1993 wird der Kongress „173 Völker – eine Stadt“ initiiert. Hinzu kommen nach dem Attentat in der Keupstraße die „Birlikte – Zusammenstehen“-Feste. „Arsch huh, Zäng ussenander“ entwickelt sich über die Jahre zu einer festen und vor allem stabilen Instanz, die in Politik und Gesellschaft Gehör findet.
Es sind heute nicht mehr allein die „altgedienten“ Künstler der AGAH, die sich öffentlichkeitswirksam engagieren. Die „Jungen“ sind hinzugekommen und mischen kräftig mit, etwa Carolin Kebekus, Fatih Cevikkollu, die Band Kasalla, Björn Heuser. Sie alle sind in der Kampagne „Du bes Kölle!“ aktiv, und haben unter anderem mit „Arsch huh im Veedel“ für politisches Engagement geworben.