Den Besuchern des Doms öffnet sich diese Welt nur bei den begehrten Dach- oder Glockenführungen. Doch für ein Verweilen bleibt da wenig Zeit.
Schätze aus JahrhundertenDas geheime Museum im Südturm des Kölner Doms
Wir stehen im Südturm des Kölner Doms. Auf einer Höhe von 45 Metern. In einem Raum, der für die Geschichte der Kathedrale von besonderer Bedeutung ist. Lässt sich doch an den Wänden erkennen, wo genau der Bau um 1520 eingestellt und erst mehr als 300 Jahre später wieder aufgenommen wurde.
Den Besuchern, die das Glück hatten, ein Ticket für die begehrten Dach- oder Glockenführungen zu ergattern, würde das ohne fachkundige Begleitung niemals auffallen. Deshalb verweilt Matthias Deml, der bei der Dombauhütte für Inventarisation und Öffentlichkeitsarbeit verantwortlich ist, gern für einen Moment an dieser Stelle.
„Man erkennt, dass die Steine im unteren Bereich der Wände eine etwas hellere Farbe haben als im oberen, das ist ein dunklerer Ockerton. In den helleren Steinen unten erkennt man angebackene Glimmerpartikel. Die genaue Bezeichnung ist Sanidin. Bei diesem Stein handelt es sich um Drachenfelser Trachyt. Das ist ein vulkanisches Gestein aus dem Siebengebirge und war das Baumaterial, mit dem das Mauerwerk des Doms im Mittelalter im Wesentlichen gebaut worden ist“, sagt Deml.
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Im Technikdepot lagern Schätze aus fast zwei Jahrhunderten
„Als man dann den Dom im 19. Jahrhundert fertig gebaut hat, hat man diesen Stein nicht mehr brechen können. Das Siebengebirge war damals schon zu einem Landschaftspark erklärt worden. Weil man auch die Burgruine unbedingt erhalten wollte, wurde der Abbau der Trachyt-Steine untersagt und man hat den Dom mit verschiedenen Sandsteinen aus anderen Regionen fertiggestellt. Das hier ist ein Pfälzer Sandstein.“
Für Historiker sei das äußerst praktisch, erklärt Deml. „So können wir direkt erkennen, ob wir es noch mit mittelalterlicher Bausubstanz oder mit solcher aus dem 19. Jahrhundert zu tun haben. Das hier ist die Nahtstelle, an der man mit dem Bau aufgehört hat. Beim Südturm war das schon im 15. Jahrhundert der Fall.“
Bei einer normalen Führung würde Deml diesem Raum keine große Beachtung schenken, mit den Besuchern weiterziehen, um ihnen den spektakulären Blick in den Innenraum zu ermöglichen oder den Glockenstuhl zu erklimmen.
Diesmal nicht. Weil der Raum, den Deml ganz nüchtern als Technikdepot bezeichnet, Schätze beherbergt, die dort zunächst zufällig eingelagert und später auf Initiative der ehemaligen Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner „didaktisch etwas ansprechender aufbereitet wurden“, sagt er.
Kurz gesagt: Wir stehen mitten im technischen Museum des Doms.
„Im Laufe der 200-jährigen Geschichte der Dombauhütte wurden viele technische Geräte genutzt, die zum Glück nicht alle entsorgt worden sind. Man hat schon immer Dinge aufgehoben, die für interessant erachtet worden sind oder von denen man dachte, dass man sie irgendwann noch brauchen kann“, sagt Deml. „Und weil wir immer ein Platzproblem haben, nutzen wir gerne die großen Räumlichkeiten, die es im Bereich des Doms und vor allem der Türme gibt, um sie zu verwahren.“
Begeisterung zu wecken, gelingt mühelos
Verständlich, dass der normale Dom-Besucher wenig Interesse verspürt, sich in der mächtigen Kathedrale mit all ihren Kunstschätzen ausgerechnet mit Gegenständen zu befassen, die Handwerker als zu schade zum Wegschmeißen eingestuft haben. Wer zum ersten Mal nach Manhattan kommt, besucht ja auch das Empire State Building oder den Freedom Tower und nicht die Baustelle der neuen U-Bahn auf der Second Avenue.
Oder vielleicht doch? Matthias Deml jedenfalls gelingt es mühelos, Begeisterung für diesen Ort zu wecken. Schließlich ist er nicht nur die Nahstelle zwischen Mittelalter und dem 19. Jahrhundert, sondern auch der Ort, an dem sich das beeindruckendste Relikt der mittelalterlichen Dombauhütte befand.
„Das war der Domkran, den man auf allen mittelalterlichen Stadtansichten sieht. Er war über Jahrhunderte das Wahrzeichen der Stadt, weltberühmt und wird selbst in dem amerikanischen Roman Moby Dick von Herman Melville als Symbol dafür erwähnt, dass die wirklich genialen Werke der Menschheit viele Generationen brauchen, um vollendet zu werden. Dieser Kran stand hier bis Ende der 1860er Jahre. Man hat zunächst den Nordturm auf die Höhe des Südturms gezogen und dann beide gemeinsam hochgebaut. Da musste der Kran dem Turmbau weichen.“
Das wohl spektakulärste Ausstellungsstück aus der Zeit, als die Kathedrale vollendet wurde, steht direkt neben den Werkbänken, an denen die Mitarbeiter der Dombauhütte noch heute ihre Arbeit verrichten. Als könnte es morgen wieder zum Einsatz kommen. Es ist einer von drei eisernen Windenwagen, mit denen die Steinblöcke zum Weiterbau der Kathedrale für das Längs- und Querschiff an ihre jeweilige Einbauposition gebracht wurden. Matthias Deml ist von dieser Technik heute noch begeistert.
„Man hat den Dom in nur 38 Jahren fertiggebaut. Aus heutiger Perspektive ist das eine wahnsinnige Geschwindigkeit. Dass man das so schnell geschafft hat, liegt zum einen an der unglaublichen Zahl von Mitarbeitern. Die Dombauhütte hatte in der Hochphase, als der Turmbau begonnen hatte, zeitweise etwa 500 Mitarbeiter. Zum zweiten hat man auf die modernste Bautechnik gesetzt. Um jeden Punkt genau bedienen zu können, also alle Werkstücke auf der Baustelle zielgenau nach oben ziehen zu können, kamen Versetzwagen zum Einsatz. Das waren riesige Wagen in der vollen Breite des Mittelschiffs von Querhaus und Langhaus, die auf Eisenbahnschienen über die Baustelle gefahren sind. Auf diesen Versetzwagen lagen wieder Schienen, auf denen die Windenwagen fuhren. Anfangs wurde noch per Hand hochgekurbelt. Auf jeder Seite konnten ein oder zwei Mann die Werkstücke hochziehen, nach dem Flaschenzugprinzip. Über die Zahnräder wird der Weg künstlich verlängert und damit der Kraftaufwand verringert. So konnte man gut mit den tonnenschweren Steinblöcken umgehen. Später kamen auch Dampfmaschinen zum Einsatz.“
Warum dieser besondere Ort zum Technikmuseum auserkoren wurde, klärt sich ein paar Meter weiter beim Blick auf die elektrische Läute-Schwinganlage, angetrieben von einem Motor über einen Keilriemen. Eine Maschine, die im Jahre 1909 im Südturm ihren Einzug hielt und auf einen Schlag bis zu 50 Glöckner beschäftigungslos machte, weil es fortan ihre Aufgabe war, die Domglocken in Bewegung zu setzen und zum Klingen zu bringen.
Der abgebrochene Klöppel der Kaiserglocke steht in der Ecke
Darunter auch die Kaiserglocke aus den 1870er Jahren, gestiftet von Kaiser Wilhelm I., die bei den Kölnern wegen ihres nicht perfekten Schlagtons und dem hohen Aufwand, sie in Schwingung zu bringen, unbeliebt war, deshalb nur selten zum Einsatz kam und den Spitznamen „Die große Schweigerin“ erhielt. Ein schwarzer Zeiger auf einer großen Metalltafel an der Schwinganlage zeigt den Neigungswinkel an.
„Man musste natürlich aufpassen, dass nicht übersteuert wurde, um Schäden an den Glocken zu vermeiden“, sagt Deml. Einer der letzten Glöckner muss im Maschinenraum seinen Hut vergessen haben. „Der hängt schon hier, solange ich denken kann.“
Wenden wir uns den im Vergleich dazu kleineren Dingen zu. In einer Ecke steht nahezu unbeachtet die alte Aufhängung der Petersglocke. Ihr Klöppel, der am Dreikönigstag 2011 nach ein paar Anschlägen wohl aus Altersschwäche abbrach und tagelang das Gesprächsthema Nummer eins in Köln war, „ist wohl gerade ausgeliehen“, sagt Deml.
Es war nicht der erste Klöppelbruch. Das Schicksal des Dicken Pitter ist der Kaiserglocke am 6. Juni 1908 widerfahren und hat zu einer abenteuerlichen Neukonstruktion geführt, einer Eisenkugel, die an Stahlseilen in der Glocke befestigt war.
In der, sagen wir mal, Elektroabteilung des technischen Museums fallen zunächst zwei große Schalttafeln ins Auge, die den Pulten in einem Bahn-Stellwerk ähneln, nach dem Zweiten Weltkrieg für das Licht in der Kathedrale verantwortlich waren und den technischen Fortschritt dokumentieren.
„Man erkennt den Grundriss des Doms und die Leuchtdioden, die man über die Schalter alle einzeln steuern konnte. Das hat man nicht weggeworfen. Links daneben hängt die zweite Schalttafel aus den 1980er Jahren, gesichert durch einen Schlüssel, damit nicht jeder darauf herumdrücken kann. Das System ist 2008 erneuert worden. Heute funktioniert das über einen Touchscreen“, erklärt Deml.
Die ältesten Lampen stammen aus dem 19. Jahrhundert
Oben an der Wand hängt eine monströse Glocken-Schaltanlage aus den 1920er Jahren. Jede Glocke versehen mit kleinen Schildern, auf der ihre Namen stehen. Auch die der Pretiosa und Speciosa aus den Jahren 1448 und 1449. Gleich daneben fällt der Blick auf die Sammlung von Lampen verschiedener Epochen, die dem Dom ihr Licht spendeten. Die ältesten stammen aus dem 19. Jahrhundert, hingen an den Pfeilern und wurden zuerst mit Gas betrieben.
Einen eher kuriosen Anblick bieten die Heizlüfter verschiedener Generationen auf dem Fußboden, der letzte in der Reihe ist ein besonders schlankes Designer-Exemplar von AEG aus den 1970er Jahren. Sie dienten der Beheizung der Beichtstühle im Winter. „Die sind irgendwann alle wegen der Brandgefahr aussortiert worden“, so Deml und verweist auf den Feuerlöschwagen, der auf den ersten Blick gar nicht auffällt und mit Löschsand gefüllt war. „Man hat den Brandschutz schon während des Ersten Weltkriegs ein wenig aufgestockt. Im Zweiten Weltkrieg gab es während der Fliegerangriffe regelmäßige Brandwachen.“
Voller Stolz zeigt Deml zwei weitere Technikschätze, eine alten Steinofen, mit dem Blei erhitzt und geschmolzen wurde und eine Bandsäge, die fast 100 Jahre im Einsatz war. „Blei ist neben Stein bis heute einer der wichtigsten Werkstoffe der Dombauhütte. Zum einen brauchen wir Blei als Dachdeckung. Bereits das mittelalterliche Dach war mit Blei gedeckt und das aus gutem Grund. Es ist sehr steil und hoch. Wir haben dort starke Windverhältnisse. Damit bei Sturm die Dachdeckung nicht davonfliegt, muss sie besonders stabil sein. Dann braucht man Blei für die Fenster, die sich mosaikartig aus Glasstücken zusammensetzen und durch Bleiruten zusammengehalten werden. Und man braucht Blei, um Bauelemente zu verfugen, die besonders filigran und in großer Höhe angebracht sind.“
Spätestens jetzt wird dem Besucher klar, dass sich manche Techniken in der Dombauhütte über die Jahrhunderte bis in die Gegenwart kaum verändert haben. Deml kann das nur bestätigen. „Die Steinmetze arbeiten auch heute noch mit Eisen wie im Mittelalter, der Unterschied ist nur, dass wir heute mit einer elektrischen großen Säge die Steinblöcke schneiden können und man Pressluftmeißel benutzt. Für bestimmte Arbeiten greifen sie immer noch auf den Schlägel zurück, weil man ein anderes Gefühl entwickelt.“
An der Lostrommel hingen viele Kölner Hoffnungen
Zwei besonders schöne Stücke, mit denen die Kölner viele Hoffnungen verbunden haben, hat sich Matthias Deml bis zum Schluss aufbewahrt. Es sind die beiden großen Lostrommeln der Dombaulotterie aus dem 19. Jahrhundert, mit denen der Zentral-Dombauverein seit 1864 bis in die 1990er Jahre Gelder für den Weiterbau und den Erhalt der Kathedrale generierte.
„Man hat sich lange gescheut, Gelder über Glücksspiele für den Dom aufzubringen. In den 1860er Jahren waren das Langhaus und das Querhaus des Doms fertiggestellt worden. Der Innenraum war in seiner Gänze zum ersten Mal erlebbar, aber gleichzeitig gingen die Einnahmen des Zentral-Dombauvereins ein wenig zurück“, erläutert Deml. „Er war mit 60 Prozent der Hauptgeldgeber für den Bau, noch vor dem Staat. Man hat das Ganze dann nicht Lotterie, sondern Prämienkollekte genannt. Das klang weniger anstößig.“
Vergilbte Fotos an der Wand zeigen die 19. Ziehung der Gewinner am 7. Januar 1884. Die erste Ziehung hatte im September 1865 stattgefunden. „Die Ziehung war sehr aufwendig, das machten meistens Waisenkinder mit verbundenen Augen. In der größeren Trommel waren die Losabschnitte aller, die sich Lose gekauft hatten. Einen Abschnitt hat der Käufer behalten, der andere kam in die größere Trommel. Zuerst wurde der Gewinner gezogen. In der kleineren Trommel waren dann die Gewinnlose, die in Holzhülsen steckten. Es gab also verschiedene Geldgewinne, aber auch Sachpreise. Man hat erst immer den Gewinner und dann den Gewinn gezogen. In die großen Losbücher wurden dann die Abschnitte eingeklebt. Wenn man den Gewinn abgeholt hat, musste man seinen Teil des Scheins auch mitbringen, der wurde dann auch eingeklebt.“
Insgesamt, das zeigen die Dokumente, wurden Preise im Wert von 105.000 Talern ausgeschüttet. Ein Los kostete einen Taler, der Hauptgewinn waren 25.000, 200-mal waren 500 Taler zu gewinnen, dazu noch jede Menge Sachpreise. Im Regal stehen die kleineren Lostrommeln, die bis zum Aussetzen der Lotterie in den 1990er Jahren im Einsatz waren. „Danach hat sich das nicht mehr gelohnt“, so Deml. Aber der Dom profitiert noch heute vom Lotto, bekommt aus dem Spiel 77 jährlich rund 1,5 Millionen Euro. Nur die Waisenknaben mit den verbundenen Augen – die haben schon lange ausgedient.
Wo kann ich die Führungen buchen?
Das kleine Technikmuseum kann nur im Rahmen zweier größerer Führungen besichtigt werden, die von der Dombauhütte angeboten werden: bei der Führung durch das Dach der Kathedrale und der Führung zu den Glocken. Sie kosten jeweils 20 Euro pro Person. Jede dauert ungefähr zwischen 90 Minuten und zwei Stunden. Bezahlt wird in bar bevor es losgeht.
Beide Führungen sind sehr gefragt, sodass die Wartezeit durchaus bis zu einem halben Jahr betragen kann. Es lohnt sich aber, regelmäßig in den Terminkalender zu schauen, da immer mal wieder vereinzelt Plätze freiwerden. Buchungen für die Dachführung sind derzeit nur bis Ende November möglich. Alle Informationen und Buchungsmöglichkeiten gibt es hier.