Ohne Massentourismus leiden aktuell viele Gastronomiebetriebe in der Kölner Altstadt.
Doch auch unabhängig von Corona steckt das Viertel in der Krise. Kölner fühlen sich dem Stadtkern kaum verbunden. „Die Altstadt, das Martinsviertel, ist nun mal kein Veedel“, sagt Stadthistoriker Martin Stankowski.
Die Geschäftsidee Altstadt ist in Gefahr. Wie geht es in und nach der Krise weiter?
Köln – In normalen Zeiten müsste die Altstadt brummen – Vatertag, Brückentag, Wochenende. Aber in den Gässchen ist tote Hose. Der „Walfisch“ ist wie viele andere Lokale geschlossen. Gerade mal drei Tage hatte er auf, dann machte Betreiber Philipp Anders wieder zu. „Am Samstag waren acht Gäste da. Das rentiert sich einfach nicht. Das Öffnen kostet mich mehr als das Zulassen.“ Er kann nur 48 von 140 Plätzen anbieten. Touristen fehlen noch und die Kölner Stammgäste – ja, die gebe es durchaus – seien überwiegend älter und trauten sich noch nicht aus dem Haus.
Der Kollege von „Peters Brauhaus“ hat erst gar nicht aufgemacht. „Wir warten auf weitere Lockerungen, jetzt macht das noch keinen Sinn“, sagt Betriebsleiter Uwe Esser. Von den 240 Plätzen darf er 80 besetzen. Für einen so großen Betrieb sei es doppelt schwer. „Unsere Räume sähen auch, wenn alle 80 Plätze besetzt wären, sehr leer aus. Und ein leeres Brauhaus hat keine Atmosphäre.“ Die Situation sei sehr schwierig: „Geschäftsleute und Touristen kommen noch nicht. Und die Kölner gehen zuerst in ihr eigenes Veedel.“
„Die Altstadt ist nun mal kein Veedel“
Und so haben viele weitere Kollegen noch die Türen zu. Einige nutzen den Leerlauf, um zu renovieren. Die Altstadt mit ihren großen Lokalitäten, die fast ausschließlich Touristen ansprechen, sind von der Krise besonders betroffen. Der Kölner unterstützt die Gastronomen in seinem Veedel, aber auf die Idee, die Altstadt zur retten, käme wohl keiner. Denn der Kölner an sich geht eigentlich nicht in die Altstadt. Höchstens, wenn sich ein Besuch von außerhalb mal wünscht, durchgeführt zu werden. Oft genug schämt man sich allerdings für das Schilder- und Bestuhlungswirrwarr, Werbesprüche wie „Betreutes Trinken“ und Kellner, die wie an schlechten Touristenmeilen Gäste in die Lokale zu locken versuchen.
Journalist und Stadthistoriker Martin Stankowski wundert es nicht, dass die Kölner mit dem Areal, das in der ganzen Welt beworben wird und doch eigentlich gehegt und gepflegt werden müsste, fremdeln. „Der Kölner sagt ja typischerweise: Ich war noch nie auf dem Domturm und in der Altstadt.“ Letzteres habe historische Gründe: „Die Altstadt – präziser gesagt das Martinsviertel – ist nun mal kein Veedel, sondern eine Geschäftsidee.“ Historisch gesehen war der Bereich um Groß St. Martin einst ein armes, heruntergekommenes Hafenviertel und Zentrum der Prostitution.
Die Bausubstanz war extrem schlecht. Erst in der 1920er Jahren begann man mit Plänen zur Sanierung – der wertvolle Platz am Rhein sollte für Touristen herausgeputzt werden, die schon damals zahlreich nach Köln kamen. Verwirklicht wurden die Pläne dann von den Nazis: Zwischen 1936 bis zum Beginn des Krieges bauten sie die Häuschen im damals beliebten Heimatstil mit den spitzen Dächern. Mit der Vorgängerbebauung hatte das eigentlich nichts mehr zu tun. „Das war die erste Flächensanierung in Köln“, sagt Stankowski.
Schaden am Kunstgebilde?
Nachdem im Krieg fast alles zerstört wurde, baute man den Bereich nach den alten Plänen wieder auf. Was man noch an historischen Stücken fand, wurde einfach in die Neubauten integriert – etwa ein großes barockes Portal am Heumarkt. Dementsprechend stehen auch nur wenige Häuser unter Denkmalschutz. „Die Altstadt ist ein Kunstgebilde“, sagt Stankowski.
Das könnte aber nun mit der Krise großen Schaden nehmen, da ihm zur Zeit die Geschäftsgrundlage entzogen ist. Hans Linnartz vom Vorstand der IG Altstadt ist entsprechend alarmiert. „Das ist eine Katastrophe. Hier wurde viel zu sehr auf Massengastronomie gesetzt. Und wenn die nicht überlebt, dann sieht es für die Altstadt schlimm aus.“
Kölner Altstadt: Die richtige Mischung wird gefordert
Die IG kämpfe seit Jahren dafür, dass es zum Beispiel eine einheitliche Satzung für die Werbung und die Bestuhlung gibt. Aber es tue sich nichts. Ein weiteres Problem: Viele Häuser gehörten Menschen, die mit Köln nichts zu tun hätten, die aber aus jedem Quadratmeter den größtmöglichen Ertrag quetschen wollen. Umso enger die Bestuhlung, umso besser. „Das rächt sich nun.“ Ein großes Ärgernis sind auch die vielen Kioske, die durch den Außer-Haus-Verlauf den Gastronomen billige Konkurrenz machen und jede Menge „Müll und Prüll“ produzierten.
Vorstandskollege Wilhelm Wichert, Chef des „Haxenhauses“, ringt der Situation aber auch etwas Positives ab: „Das Ganze kann auch etwas Reinigendes haben. Wir müssen uns jetzt alle gemeinsam mit der Stadt überlegen, was wir eigentlich haben möchten.“ Es gebe seit Jahren kein Konzept für die Altstadt. „Gut wäre es, wenn es bei der Stadt einen Fachmann gäbe, der zum Beispiel beurteilen kann, welche Konzessionen vergeben werden sollten. Der beurteilen kann, welche Mischung von Brauhäusern, kleinen Lokalen und Läden gesund wäre.“ Um Kölner in die Altstadt zu locken, müssten die Gastronomen sich neu aufstellen, sich Programme ausdenken. „Der Kölner freut sich ja immer am meisten, wenn er etwas über die Stadt erfährt.“
„Einige werden es nicht schaffen“
Wichert glaubt durchaus, dass so ein Zusammenraufen aller Kräfte möglich ist: „Beim Hochwasserschutz hat das hervorragend geklappt, da kommen heute noch Delegationen aus aller Welt und schauen sich an, was wir geschafft haben.“ Es werde allerdings Zeit: „Jetzt ist Matthäus am Letzten. Einige werden es nicht schaffen.“
Martin Stankowski allerdings vermutet, dass sich durch die Krise in der Altstadt nur wenig verändern wird, zumindest, was das Erscheinungsbild angeht. „Typisch kölsch ist ja die Klage über Müll und Gerümpel, ebenso typisch ist aber auch, dass am Ende doch nichts dagegen getan wird.“ Er erinnert sich an einen Vorstoß der Grünen vor ungefähr zehn Jahren, nach dem wenigstens die Sonnenschirme am Rheinufer statt der Brauerei-Aufschriften eine einheitliche Farbe tragen sollten: „Keine Chance.“Wilhelm Wichert hat sein „Haxenhaus“ übrigens geöffnet. „Ich zahle im Moment drauf. Ich denke, dass ich bis Februar, März nächsten Jahres im Minus sein werde.“ Das schreckt ihn aber nicht ab. „Ich habe zwei Hochwasser mitgemacht. Was kriegt man da: nasse Fööss. Ich habe keine Angst.“